Beschluss im Wortlaut:
Analyse
Bereits mit der Gründung der Jungen Europäischen Föderalist*innen in Deutschland und der transnationalen Organisation unseres Verbandes bildeten sich Jugendbegegnungen und -austausche als zentrale Merkmale unserer Arbeit heraus. Europa erfahrbar und erlebbar machen, indem wir junge Menschen zusammenbringen und versuchen, Grenzen aufzulösen, war seither unser selbst formulierter Anspruch.
Mit dem Schengener Abkommen sind die stationären Grenzkontrollen zwischen Deutschland und den Niederlanden 1995 abgeschafft worden. In der Folge entfielen Grenzkontrollen zwischen den teilnehmenden Staaten der Europäischen Union wie an der deutsch-österreichischen Grenze ab dem 1. April 1998 und seit dem 21. Dezember 2007 an den Grenzen zu Tschechien und Polen. Der Grundstein z.B. für die deutsch-niederländische Zusammenarbeit, die seit über 50 Jahren immer weiter intensiviert und
gefestigt wird, wurde jedoch schon sehr viel früher gelegt.
1958 wurde zwischen Niedersachsen und den Niederlanden die erste und heute älteste EUREGIO ins Leben gerufen. Diesem Beispiel folgten wie in nahezu allen Grenzregionen Deutschlands beispielsweise auch die EUREGIO Bayerischer Wald – Böhmerwald – Unterer Inn ab 1993 mit der Verbindung der Grenzgebiete Deutschlands, Tschechiens und Österreich, die seit 2012 in der trinationalen Europaregion Donau Moldau eingebettet ist.
Die Europaregionen stehen dabei stellvertretend für besonders enge und freundschaftliche Beziehungen zwischen kommunalen Akteur*innen beiderseits der Grenzen. Die Zusammenarbeit zwischen den deutschen Bundesländern Bayern und Sachsen und der tschechischen Grenzregion wird im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und der europäischen territorialen Zusammenarbeit (ETZ) mit den Programmen INTERREG V-A Freistaat Bayern-Tschechische Republik und Freistaat Sachsen-Tschechische Republik gefördert. Mit dem deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, dem deutsch-tschechischen Gesprächsforum und dem deutsch-tschechischen Jugendforum werden Völkerverständigung, kultureller, wissenschaftlicher, politischer und Jugendaustausch seit 1998 gefördert.
Diese Art des strukturierten und projektgebundenen Austauschs hat sich zum Ziel gemacht die Zivilgesellschaften beider Länder zu verbinden. Auf Regierungsebene gibt es seit 2015 einen Strategischen Dialog zwischen den Außenministerien beider Länder, ein Format, dass, trotz regelmäßiger Treffen, etwa auf bayerisch-tschechischer Ebene fehlt. Diese Beziehungen haben nicht zuletzt zu einer Vielzahl an europäischen, nationalen, Landes- und kommunalen Initiativen geführt, die die Staatsgrenze und unterschiedliche Landessprachen in ihrer Bedeutung für den Austausch von Waren,
Dienstleistungen und Arbeitskräften immer mehr in den Hintergrund treten lassen.
Die Grenzregion Schleswig-Holsteins zum europäischen Nachbarland Dänemark ist beidseitig besonders durch die institutionell organisierten Minderheiten geprägt. Die dänische Minderheit auf deutscher Seite wird hierbei einerseits durch die politische Partei „SSW – Südschleswigscher Wählerverband“ und den Verein „SSF – Sydslesvigsk Forening (Südschleswigscher Verein)“ repräsentiert. Der SSW ist als Minderheitenpartei von der Fünf-Prozent-Klausel ausgenommen und somit stetig im schleswig-holsteinischen Landtag vertreten. Ferner ist der SSW auch in einigen Kommunalparlamenten vertreten. In den kreisfreien Städten Flensburg und Kiel sowie den Kreisen Schleswig-Flensburg, Rendsburg-Eckernförde sowie Nordfriesland sind nicht nur der Apparat der Selbstverwaltung durch die dänische Minderheit geprägt, sondern auch die Verwaltungsapparate durch Mitglieder der dänischen Minderheit besetzt. Diese gesellschaftspolitische Verzahnung ist in dieser Form in der deutschen
Grenzregion einzigartig.
Zwar gehören faktische und stationäre Grenzen der Vergangenheit an, jedoch müssen wir nach wie vor erleben, dass die Grenze beispielsweise zwischen Niedersachsen und den Niederlanden sowie die Grenzen von Bayern zu Tschechien und Österreich in einzelnen Bereichen noch immer zu spüren ist. Als Hürden für eine konsequente Umsetzung der Idee einer europäischen Zivilgesellschaft in einem geeinten Europa offenbaren sich dabei nationale Unterschiede und historisch anders gewachsene Strukturen in den Ländern. Die auffälligsten Besonderheiten sind in den Bereichen der Raum-, Infrastruktur- und Entwicklungsplanung, bei der Berufsbildung und der
Anerkennung von Qualifikationen vorzufinden. Insbesondere grenzübergreifende Investitions- und Infrastrukturvorhaben werden durch Unterschiede im staatlichen Verwaltungsaufbau und die oft unzureichende Kenntnis der Verfahrensabläufe und Zuständigkeiten im jeweils anderen Land gehemmt.
Gerade in wirtschaftlich und strukturell weniger stark aufgestellten Grenzräumen, wie etwa der Euroregion Pomerania im dünn besiedelten Grenzgebiet zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Polen, zeigt sich die Wirksamkeit gezielter und bedarfsorientierter Struktur- und Investitionsmaßnahmen. Nicht nur dringend benötigte Investitionen in die regionale und kommunale Infrastruktur, sondern auch konkrete Projekte zur Vernetzung beiderseits der Grenze, wie etwa die Möglichkeiten zum deutsch-polnischen Abitur oder die Initiierung eines grenzüberschreitenden Rettungsdienstes haben ihren Anteil am Aufleben dieses Grenzraums beigetragen.
Umso besorgniserregender erscheint in dieser Situation die drohende Umdefinierung von Grenzräumen auf Abschnitte von 25 km neben der Grenze, die ab dem Förderzeitraum 2021 dazu führen könnte, dass große Teile der Region aus den jetzigen Maßnahmen herausfallen. Davon betroffen wäre beispielsweise der Kreis Mecklenburgische Seenplatte. Für erfolgreiche Projekte der Euroregion könnte dies eine Einbuße von zwei Dritteln der Fördersumme und somit das faktische Aus bedeuten.
Die grenzübergreifende Zusammenarbeit zwischen Niedersachsen und den Niederlanden hat europaweite Vorbildfunktion, denn sie konnte in den Jahrzehnten durch die fortschreitende europäische Einigung zahlreiche innovative Projekte ermöglichen, durch die die nördlichen Provinzen der Niederlande und das nordwestliche Niedersachsen ihre ehemalige Randlage fast vollständig abstreifen und sich zu einem gemeinsamen Lebens- und Wirtschaftsraum weiterentwickeln konnten. Ein maßgeblicher Erfolgsfaktor ist dabei, dass der Bedarf an Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften nicht allein aus nationalen Ressourcen gedeckt werden muss und so über die Grenzregion hinaus gesellschaftliche sowie ökonomische Strahlkraft entfalten kann.
Auch im Grenzraum bayerischer Wald ermöglicht es die EUREGIO im Rahmen von INTERREG die grenzüberschreitende Koordination, Planung und Entwicklung in politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Themenbereichen weiterzuentwickeln. So ist eine gemeinsame Erfolgsstrategie entstanden, um den bayerischen Wald als gemeinsames, grenzübergreifendes europäisches Kultur- und Naturerbe zu schützen, die Biodiversität auszuweiten und gleichermaßen attraktiv mitzugestalten. Weitere Vorteile ergeben sich im dünn besiedelten Grenzgebiet des bayerischen Waldes vor allem im Bereich der sozialen Daseinsvorsorge, der polizeilichen Zusammenarbeit sowie bei Feuerwehren und Krankenhäusern. Vor allem in diesen Gebieten kann eine bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit die Lebensrealität der Bürger*innen grundlegend verbessern.
Vielmehr ist festzuhalten, dass auch im Bereich des Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftswesens eine enge Verknüpfung mit der dänischen Minderheit in der nördlichsten Grenzregion der Republik besteht. Diese spiegelt sich in Form von dänischen Schulen (Deutscher Abiturabschluss möglich), dänischen Sport-/Kulturvereinen sowie nicht zuletzt in der Hochschulkooperation Syddansk Universitet Sønderborg – Europa-Universität Flensburg wieder. Sowohl Niedersachsen und den Niederlanden als auch dem ländlichen Raum der deutsch-polnischen Grenzregion und im bayerischen Wald stehen große Herausforderungen bevor, die hauptsächlich durch den demographischen Wandel in ihrer jeweiligen Bevölkerung und der Fortentwicklung zu einer modernen industriellen Dienstleistungsgesellschaft ausgelöst wurden. Eine Erkenntnis, die wir bereits jetzt mit Sicherheit vertreten können, ist, dass diese Herausforderungen insbesondere in den Grenzregionen nicht allein mit
nationalen Lösungen überwunden werden können. Um diesen also angemessen begegnen zu können, werden Bildung und vernetzte Mobilität zentrale Instrumente sein, die jedoch eine noch intensivere Beschäftigung erfordern werden. Gerade Bildung und Mobilität können in der Verbindung zukunftsweisende Antworten zur spezifischen Grenzregion-Problematik liefern.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist ein elementarer Bestand fortschreitender europäischer Integration. Die JEF hat sich schon früh, nämlich 1950 in St. Germanshof, am Niederreißen der Grenzpfähle beteiligt, und sieht sich auch heute in dieser Tradition, wenn sie den Erhalt und weiteren Ausbau grenzüberschreitender Zusammenarbeit einfordern.
Forderungen
In diesem Sinne erscheint es daher sinnvoll, noch zielgerichteter und strukturierter als bisher an der Kompatibilität von Bildungswegen und Abschlüssen zu arbeiten, um Ungleichgewichte auf den Arbeitsmärkten auch über die Staatsgrenzen hinweg ausgleichen zu können.
Gerade in den Grenzregionen sollten knappe Ressourcen gebündelt und Menschen möglichst für Tätigkeiten beiderseits der Grenze ausgebildet werden. Damit dieses auch gelingen kann, sind wechselseitiger Spracherwerb und regelmäßige Kontakte zu einem frühen Zeitpunkt bspw. im Rahmen von Austauschprogrammen, Praktika im jeweiligen Nachbarland und andere Wege der Verständigung essentiell.
Auch wenn es bereits heute Projekte und Clusterbildung im Bereich der Hochschulzusammenarbeit der Grenzregionen gibt, muss diese Kooperation insbesondere im Bereich der beruflichen Bildung weiter verstärkt werden. So sollte etwa die Verwaltungsschule in Hof deutsch-tschechische Austausche künftiger Beamt*innen fördern und organisieren. Aus den verschiedenen Kooperationen im Bereich des Bildungs- und Wissenschaftswesens wird deutlich, dass insbesondere im Bereich der Hochschulkooperation noch starker Verbesserungsbedarf im Bereich der
schleswig-holsteinischen/deutschen sowie dänischen Grenzregion besteht. So wird im Rahmen der Hochschulkooperation Syddansk Universitet Sønderborg – Europa-Universität Flensburg zwar ein doppelter Hochschulabschluss erworben, jedoch fällt eine europäische Rahmenrichtlinie, welche langen Linien im Zuge einer grenzübergreifenden Hochschulkooperation verfolgt werden sollen. So wird seitens der dänischen Seite stets die Marschrichtung verfolgt, dass ihre Vorgaben maßgeblich für die Hochschulkooperation ist und die deutsche Seite sich stets an diesen Vorgaben orientieren muss. Ferner werden staatliche Förderungen für grenzübergreifende Studiengänge seitens der dänischen Seite nicht ausgeschüttet. Ein kombiniertes System aus dem deutschen Bafög und der dänischen Förderung wäre ideal, um die hier entstandene Finanzierungslücke der sonstigen europäischen Förderungsprogramme zu schließen.
Für eine erfolgversprechende grenzübergreifende Zusammenarbeit ist die Mobilität ein entscheidender Faktor, so dass hierauf ein Arbeitsschwerpunkt liegen sollte. Die Belebung der Mobilität zwischen grenznahen Landesteilen setzt aber vor allem weitere Investitionen in die grenzübergreifende Infrastruktur voraus, oder eine Harmonisierung der Beförderungsentgelte. Zusammenfassend lässt sich die Erkenntnis ableiten, dass der grenzübergreifende ÖPNV zwischen Deutschland und seinen Nachbarländern bisher ungenützte Potentiale bietet, dies gilt im Besonderen für die deutsch-dänische und deutsch-tschechische Grenzregion.
Allerdings steht der unzureichende Ausbau der grenzüberschreitenden Zugverbindungen sinnbildlich für eine mangelnde Kooperation im grenznahen
Raum. Symptomatisch für eine nur schleppend voranschreitende Zusammenarbeit ist darüber hinaus oftmals, dass Planungen, Wirtschaftlichkeitsanalysen und Bewertungen auf beiden Seiten der Staatsgrenze getrennt voneinander und in Unkenntnis der Zuständigkeiten, Verfahren, Abläufe und Prioritäten im jeweils anderen Land erfolgen. Diese Problematik könnte jedoch damit überwunden werden, dass man durch Schaffung oder Benennung von Ansprechpartner*innen mit Koordinierungsfunktion für die Realisierung solcher Projekte benötigtes Wissen aufbaut und über das einzelne Vorhaben hinaus erhält, damit es für Anschlussprojekte nicht erneut aufgebaut werden muss.
In den Grenzregionen wird die Zivilgesellschaft besonders von den regionalen Entscheidungsträgern gefordert, da die Behörden nur in ihren eigenen Kompetenzgrenzen agieren können. Da der politische Wille oftmals an den sprachlichen und nationalen Grenzen endet, wird die praktische Arbeit auf die Zivilgesellschaft und Vereine abgewälzt.
Teilhabe und Öffentlichkeit gehören deshalb zu den wichtigsten Merkmalen moderner Demokratien. Eine fehlende grenzübergreifende Teilhabe und eine fehlende grenzübergreifende Öffentlichkeit wirken sich besonders in den Grenzregionen negativ auf das europäische Gemeinschafts- und Gesellschaftsgefühl aus.
Daher fordern wir als Junge Europäische Föderalist*innen, folgende Punkte zielgerichtet umzusetzen, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nachhaltig zu fördern:
● Sich bei der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament dafür einzusetzen, dass die grenzübergreifende Zusammenarbeit in ihrer heutigen Gebietskulisse weiter mit ausreichenden europäischen Finanzmitteln, beispielsweise durch INTERREG und LEADER unterstützt wird.
● Auf beiden Seiten der Staatsgrenze dafür Sorge zu tragen, dass Qualifikationen und Berufsabschlüsse weitestgehend gegenseitig anerkannt werden, damit Arbeitskräfte nicht nur aus nationalen Ressourcen generiert werden müssen.
● Sich mit den zuständigen Körperschaften der berufsständischen Selbstverwaltung und gegebenenfalls weiteren Institutionen, wie z.B. der Deutsch-Dänischen, Deutsch-Niederländischen, Deutsch-Polnischen oder Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer, auszutauschen, wie diese Anerkennung schnellstmöglich umgesetzt werden kann.
● Prüfen zu lassen, ob die wechselseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen dadurch erreicht oder erleichtert werden kann, dass Auszubildende zusätzliche Ausbildungsmodule im jeweils anderen Land absolvieren und dadurch zudem der Austausch untereinander sowie das Knüpfen von grenzüberschreitenden Kontakten gefördert wird.
● Bereits existierende Modelle europäischer Schulen, wie z.B. EUREGIO-Profilschulen, die deutsch-französischen Gymnasien oder das deutsch-luxemburgische Schengen-Lyzeum, in den Grenzregionen müssen stärker als bisher in grenzübergreifende Bildungskooperationen eingebunden werden, um die Lebenswirklichkeit des Nachbarlandes über frühe und regelmäßige Kontakte erfahrbar und selbstverständlich werden zu lassen. Zudem kann dadurch der Abbau von Sprachbarrieren unterstützt sowie die Durchlässigkeit grenzüberschreitender Systeme erhöht werden.
● Eine grenzüberschreitende Kooperation im Bereich der Wissenschaft an Hochschulen und Universitäten zu intensivieren, die Wissenschaftscluster wie sie beispielsweise im bayerischen Wald und den 30 damit verbundenen Universitäten in Deutschland, Tschechien und Österreich heute schon bestehen, auszuweiten oder die Voraussetzungen für solche Kooperationen zu schaffen.
● Informationsplattformen zu schaffen, um z.B. über Internetpräsenzen mit intelligenter Zweisprachen-Suche und prominenterer Verlinkung der Angebote, den faktisch bereits weitgehend einheitlichen Arbeitsmarkt als solchen erkennbar werden zu lassen und Arbeitnehmer*innen- sowie Unternehmer*innenmobilität zu fördern.
● Sich dafür einzusetzen, dass grenzübergreifende Planungs- und Realisierungsarbeiten bei der Umsetzung von Infrastrukturmaßnahmen im Rahmen bestehender Strukturen noch besser koordiniert oder hierfür geeignetere Formen der institutionalisierten Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn gefunden werden können.
● Die Ausweitung von grenzüberschreitenden Flächen als „Europaschutzgebiete“, also Gebiete die auf Ebene der EU einem besonderen Schutz unterstehen, zu forcieren, um dadurch eine Verbesserung der Biodiversität durch grenzüberschreitende Managementstrukturen von Schutzgebieten, Biodiversitätspartnerschaften, Arten und Bodenschutzprojekte zu erreichen.
● Sicherzustellen, dass erfolgreiche Maßnahmen wie die Euroregion Pomerania in ihrem jetzigen Umfang bestehen bleiben können, ohne dass in künftigen Förderperioden Mittelkürzungen und Verkleinerungen der von Maßnahmen umfassten Regionen zu befürchten sind.