Die Zukunft des Nahost-Konflikts: Reflektionen der JEF Deutschland
Stand: 14.12.2024, English version below
Über ein Jahr ist seit den von der Hamas koordinierten Terrorangriffen am 7. Oktober 2023 in Israel vergangen, die eine neue Gewaltspirale rund um den komplexen historischen Konflikt im Nahen Osten verursacht haben. Dieser umfasst unter anderem Akteur:innen aus Israel, Palästina, Libanon, Syrien und dem Iran.
Seitdem war es von unserer Seite still. Dies heißt nicht, dass keine Debatten geführt, Positionen ausgearbeitet und Argumente ausgetauscht wurden – im Gegenteil. Kein Konflikt spaltet junge Menschen in Deutschland im Jahr 2024 so sehr wie dieser. So zeigt die Shell Studie 2024, dass von den befragten 15 bis 25 Jährigen knapp ein Drittel (30 %) begrüßt, dass sich Deutschland klar auf die Seite Israels gestellt hat, genauso viele lehnen dies jedoch ab. Etwa ein Viertel (27%) ist in dieser Frage unentschieden.
Die Komplexität des Konfliktes in seiner Gänze nur ansatzweise abzubilden ist unmöglich und die katastrophale humanitäre Lage sowie die historische Dimension des Leids machen den Konflikt hoch emotional. Wir beobachten, wie wenig Raum für konstruktive Debatten und Empathie besteht und ein offener Diskurs zunehmend nicht mehr möglich ist.
Trotzdem möchten wir uns als Junge Europäische Föderalist:innen äußern und unsere Rolle begreifen.
Wir verurteilen die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel am 7.Oktober 2023. Nie zuvor hat Israel eine derart menschenverachtende Gewalt und Brutalität erleben müssen. Dieser schreckliche Tag hat die höchste Zahl jüdischer Opfer seit der Existenz des Staates Israel zur Folge gehabt und generationenübergreifendes Trauma für Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt wieder aufkommen lassen. 1200 Menschen wurden bei dem Anschlag ermordet und 240 Menschen entführt, von denen sich weiterhin 97 Geiseln noch immer in Gewalt der Hamas befinden. Israel hat im Rahmen des Völkerrechts das Recht, sich zu verteidigen und eine Zerschlagung der terroristischen Vereinigung Hamas anzustreben. Die zahlreichen Geiseln, die nach wie vor in Gaza gefangen gehalten werden, müssen befreit werden!
Gleichzeitig beobachten wir mit Schrecken die sich mehrenden organisierten antisemitischen und rassistische Angriffe in Deutschland, Europa und der Welt. In unserem Europa hat Antisemitismus und Diskriminierung keinen Raum. Das Land, das sich dem schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hat, ist nun wieder ein Ort, an dem sich Menschen aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit nicht mehr sicher fühlen. Dies ist beschämend. Die Vergangenheit darf sich nicht wiederholen!
Der Ursprung der europäischen föderalistischen Bewegung liegt im Schaffen von Frieden zwischen verschiedenen Nationen in einem vereinten Europa. Ein nachhaltiger Frieden zwischen Israel und Palästina kann durch die aktuelle Kriegsführung Israels, repräsentiert durch die Regierung Netanjahu, und der Hamas, nicht erreicht werden. Aktuelle Diskussionen geben ernsthafte Anzeichen dafür, dass mittlerweile die Grenzen der Selbstverteidigungshandlungen Israels ausgereizt werden. Seit dem 7.Oktober 2023 wurden schätzungsweise mindestens 43.000 Menschen (Zivilist:innen als auch Hamas Kämpfer) in Gaza getötet und 102.000 verletzt. Da Opferzahlen aus unmittelbaren Kriegsgeschehen nicht objektiv verifizierbar sind, belaufen sich die Zahlen auf Schätzungen der Kriegsparteien sowie individuellen Zählungen. Bereits im Januar 2024 berichteten die Vereinten Nationen, dass rund die Hälfte aller Gebäude in Gaza, darunter Schulen, Universitäten, religiöse Gebäude und Krankenhäuser, zerstört wurden und große Teile der Region somit unbewohnbar sind. Die Verstöße beider Akteure gegen das Völkerrecht und das humanitäre Völkerrecht sind nicht zu rechtfertigen. 80 % der Bevölkerung Gazas, sind auf der Flucht und die humanitäre Lage in den Flüchtlingslagern untragbar. Die Versorgungslage der Zivilbevölkerung in Gaza ist eine Katastrophe und kann so nicht hingenommen werden. Massive Proteste in der israelischen Zivilgesellschaft zeigen, dass ein Teil der israelischen Bevölkerung mit dieser Art der Kriegsführung nicht einverstanden ist.
Es ist eine Illusion, dass die Europäische Union (EU) ohne eine geeinte außenpolitische Stimme Frieden in die Region bringen kann. Ihre Stimme muss im Kräftemessen der “Global Player” wichtiger sein denn je und sollte über humanitäre Hilfe in Gaza hinaus gehen. Doch die historischen Feindschaften sitzen tief. Gleichzeitig finden sich momentan keine Friedensbestrebungen seitens der Konfliktparteien vor Ort. Eine politische Lösung des Konfliktes wird abgelehnt.
Basierend auf unserer Geschichte möchten wir als Junge Europäische Föderalist:innen daher eines tun: Zivilgesellschaftliche Jugendinitiativen, die den Dialog und das gegenseitige Verständnis zwischen palästinensischen und israelischen Jugendlichen fördern, unterstützen. Dies geschieht bereits seit einigen Monaten im Rahmen unserer Dachorganisation JEF Europe und der strukturierten Kooperation mit dem Federal Forum. Dieses vereint junge Israelis und Palästinenser:innen, die an regionalen föderalistischen Lösungen für einen nachhaltigen Frieden arbeiten. Die einzige Sprache, die im Rahmen dieser aussichtslosen Situation gesprochen werden kann, ist die der regelbasierten internationalen Ordnung, Achtung des Völkerrechts, der menschlichen Sicherheit, der Toleranz, Versöhnung, Freiheit und des Friedens.
Jede weitere Aktion, die Leid und Verluste unter der Zivilbevölkerung verursacht, ist inakzeptabel und muss sofort gestoppt werden. Die internationale Gemeinschaft muss sich für eine neue regionale Ordnung, basierend auf einer Zwei-Staaten-Lösung, die ausgehend von der regionalen politischen Diskurstradition föderal weitergedacht werden kann, einsetzen. Nachhaltiger Frieden, der über die Abwesenheit von Krieg hinausgeht, und eine zukunftsfähige Lebensgrundlage für alle Menschen in der Region, muss gefördert werden. Dabei sollten einzelne ehemalige europäische Kolonialmächte ihre Verantwortung begreifen und keine Machtstrukturen reproduzieren. Nur ein Paradigmenwechsel hin zu einer geeinten Außenpolitik wird es der EU ermöglichen, ein glaubwürdiger Brückenbauer zu sein.
English Version:
The future of the Middle East conflict: reflections by JEF Germany
As of: 14 December 2024
More than a year has passed since the Hamas-coordinated terrorist attacks in Israel on October 7th, 2023, which resulted in a new spiral of violence around the complex historical conflict in the Middle East. This includes, among others, actors from Israel, Palestine, Lebanon, Syria and Iran.
Since then, it has been quiet on our side. This does not mean that debates were not held, positions have been worked out and arguments have been exchanged – on the contrary. No other conflict divides young people in Germany as much as this one does in 2024. The Shell Study 2024 shows that of the 15 to 25-year-olds surveyed, almost a third (30%) welcome Germany´s support for Israel, but just as many reject this. About a quarter (27%) are undecided on this issue.
It is impossible to fully grasp the complexity of the conflict in its entirety, and the catastrophic humanitarian situation as well as the historical dimension of the suffering make the conflict highly emotional. We observe how little space there is for constructive debate and empathy and how an open discourse is increasingly no longer possible.
Nevertheless, we as Young European Federalists Germany would like to express ourselves and understand our role.
We condemn the terrorist attacks by Hamas on Israel on October 7th, 2023. Never before has Israel had to experience such inhuman violence and brutality. This terrible day has resulted in the highest number of Jewish victims since the founding of the state of Israel and has reawakened cross-generational trauma for Jewish people around the world. 1200 people were killed in the attack and 240 people were abducted, of whom 97 are still being held as hostages by Hamas. Israel has the right to defend itself and to seek the destruction of the terrorist organisation Hamas under international law. The numerous hostages who are still being held in Gaza must be freed!
At the same time, we are horrified to see an increase in organised antisemitic and racist attacks in Germany, Europe and globally. There is no place for antisemitism and discrimination in our Europe. The country that is guilty of the worst crime against humanity is now once again a place where people feel unsafe because of their religious affiliation. This is shameful. The past must not be repeated!
The origin of the European federalist movement lies in creating peace between different nations in a united Europe. A sustainable peace between Israel and Palestine cannot be achieved through the current war waged between Israel, represented by Netanyahu´s government, and Hamas. Current discussions give serious indications that Israel is acting beyond the scope of the right of self-defence. Since October 7th, 2023, an estimated 43,000 people (civilians and Hamas fighters) have been killed in Gaza and 102,000 injured. Since casualty figures from the immediate fighting cannot be objectively verified, the numbers are based on estimates by the warring parties and individual counts. As early as January 2024, the United Nations reported that around half of all buildings in Gaza, including schools, universities, religious buildings and hospitals, had been destroyed, rendering large parts of the region uninhabitable. The violations of international and humanitarian law by both parties cannot be justified. 80 % of the population of Gaza are displaced and the humanitarian situation in the refugee camps is intolerable. The supply situation of the civilian population in Gaza is a catastrophe and cannot be accepted. Massive protests by Israeli civil society show that part of the Israeli population is not satisfied with how the war is being waged.
It is an illusion that the European Union (EU) can bring peace to the region without a united foreign policy. Its voice must be more important than ever in the power struggle between global players and should go beyond humanitarian aid in Gaza. But the historical enmities run deep. At the same time, there are currently no peace efforts on behalf of the parties to the conflict on the ground. A political solution to the conflict is rejected.
Based on our history, we as Young European Federalists would therefore like to do one thing: support civil society youth initiatives that promote dialogue and mutual understanding between Palestinian and Israeli young people. This has already been happening for several months within our umbrella organisation JEF Europe and the structured cooperation with the Federal Forum. This brings together young Israelis and Palestinians who are working on regional federalist solutions for a sustainable peace. The only language that can be spoken in the context of this hopeless situation is that of the rules-based international order, respect for international law, human security, tolerance, reconciliation, freedom and peace.
Any further action that causes suffering and loss among the civilian population is unacceptable and must be stopped immediately. The international community must work towards a new regional order based on a two-state solution, which can be further developed into a federal one based on the regional political discourse tradition. Sustainable peace, which goes beyond the absence of war, and a sustainable livelihood for all people in the region must be promoted. In doing so, individual former European colonial powers should recognise their responsibility and not reproduce power structures. Only a paradigm shift towards a unified foreign policy will enable the EU to be a credible bridge-builder.