Bundeskongress, 13.10.19

Stellungnahme zur brasilianischen Regenwaldpolitik im Zusammenhang mit dem EU-Mercosur Freihandelsund Assoziierungsabkommen

Beschluss im Wortlaut:

Am 28. Juni 2019 erreichten die vier Mitgliedstaaten des südamerikanischen Wirtschaftsblocks Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) und die Europäische Union nach 20 Jahre andauernden Verhandlungen eine politische Einigung über ein Freihandelsabkommen (FTA), das im Falle seiner Ratifizierung den Grundstein für die größte Freihandelszone der Welt legen würde. Der Einigung über ein FTA war im Juni 2018 bereits eine Einigung über ein Assoziierungsabkommen (AA) vorausgegangen, das Prinzipien und Mittel einer engeren politischen Kooperation etabliert. Das ausgehandelte FTA- und AA-Paket bedarf nun noch der Zustimmung durch die Parlamente der Mitgliedstaaten sowie durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat.

Gleichzeitig vollzieht sich in Brasilien eine besorgniserregende umweltpolitische Wende, die den Schutz der Regenwälder den Interessen der Agrarindustrie feilbietet. So sind in Brasilien allein im Jahr 2019 hunderte Quadratkilometer Regenwald einer populistischen Politik zum Opfer gefallen, die kurzfristige Absatzmärkte höher schätzt als die Zukunft unseres Planeten. Die über 70.000 Regenwaldbrände allein im Jahr 2019 waren in den meisten Fällen das Produkt absichtsvoller Rodungen der Agrarindustrie, die von der Regierung des Präsidenten Jair Bolsonaro aktiv unterstützt werden. Mit der weitestgehenden Beseitigung von Zöllen auf Importe  landwirtschaftlicher Erzeugnisse wie Soja und Rindfleisch würde das FTA weitere Anreize für die Fortsetzung bzw. den Ausbau dieser Praxis schaffen.

Die Jungen Europäischen Föderalisten Deutschland rufen daher alle an der Ratifizierung beteiligten Akteure dazu auf, ihr Abstimmungsverhalten nicht nur von aus dem FTA erwachsenden wirtschaftlichen Vorteilen, sondern – insbesondere mit Blick auf die verheerende Situation der brasilianischen Regenwaldbestände – von dessen umweltpolitischen Implikationen abhängig zu machen.

Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten wäre sicherlich aus vielerlei Gründen wünschenswert. Die im Kontext des sino-amerikanischen Handelskonflikts geschwächte europäische Industrie würde von den durch das Abkommen geschaffenen neuen Absatzmärkten profitieren – mit positiven Begleiterscheinungen für Wirtschaftswachstum und davon abhängige Arbeitsplätze. Daneben könnte die EU mit der Ratifizierung des Abkommens dem US-amerikanischen Protektionismus in beispielhafter Weise Paroli bieten und ihre Verteidigung des regelbasierten internationalen Freihandels unter Beweis stellen.
Auch von ihrem Systemkonkurrenten China könnte sich die EU mit dem Abkommen absetzen: So stagniert bzw. sinkt derzeit das zwischen der EU und den Ländern des Mercosur ausgetauschte Handelsvolumen (2015: 100 Mrd. €; 2018: 87 Mrd. €) unter anderem, deswegen, weil China der EU dort Konkurrenz macht. 2017 löste China die EU sogar als wichtigsten Handelspartner des Mercosur ab (chinesischer Anteil am Handel mit den Staaten des Mercosur 2018: 24,1 %; EU: 20,1 %; USA: 14,4 %). Mit der Abschaffung von Zöllen auf 91 % der europäischen Exporte in die Länder des
Mercosur, insbesondere auf Industriegüter wie Autos, Maschinen, Pharmazeutika oder Textilien, und der Öffnung des Mercosur-Marktes für das öffentliche Beschaffungswesen, würde das FTA der EU also in Zeiten weltwirtschaftlicher Unwägbarkeiten neue Wachstumspotentiale eröffnen, die Möglichkeit für ein Bekenntnis zum Multilateralismus bieten und gegenüber ihrem chinesischen (System-)Konkurrenten erhebliche Vorteile bringen.

Doch zu welchem Preis? Im Gegenzug zur weitestgehenden Abschaffung von Zöllen auf europäische Industriegüter sieht das Abkommen die Abschaffung europäischer Zölle auf 92 % der aus den Ländern des Mercosur in die EU exportierten Güter vor – und damit vornehmlich auf Agrarprodukte wie Soja und Rindfleisch. Zwar sind in
dem FTA für sogenannte „sensible landwirtschaftliche Güter“ beschränkte Zollkontingente, quotenbezogene Zölle, Produktsegmentierung und weitere
Schutzinstrumente angedacht, jedoch können diese nicht darüber hinwegtäuschen, dass das FTA der (in den Ländern des Mercosur von multinationalen Konzernen dominierten) Landwirtschaft neue Absatzmärkte in der EU eröffnen würde, die den hiesigen – vergleichsweise familiären Agrarbetrieben – potentiell substantiell gefährliche Konkurrenz machen würde.

Dies beträfe nicht nur die hiesige landwirtschaftliche Produktionsstruktur, sondern auch Fragen der Ernährungssicherheit. Den aus unserer Sicht bedeutungsschwersten Posten auf der Rechnung nimmt allerdings die umweltpolitische Dimension des Abkommens ein. Zwar enthält das FTA auch Kapitel zu Umweltschutz und verpflichtet die Vertragsparteien zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens, doch sind die Regeln nur im Rahmen eines Konsultativprozesses durchsetzbar. Diese  Durchsetzbarkeit hat sich in der Vergangenheit als nicht effektiv erwiesen. Die von der
Herabsetzung bzw. dem gänzlichen Wegfall von auf agrarwirtschaftliche Produkte erhobenen Zöllen ausgehenden Anreize zur weiteren Rodung der Regenwälder allerdings beruhen auf tarifären und nichttarifären Regeln für den bilateralen Handel, die von der jeweils anderen Vertragsseite wirksam durchgesetzt werden können. Diese stehen unserer Meinung nach jedoch den Zielen des Pariser Abkommens diametral gegenüber, da sie Anreize zur weiteren Regenwaldrodung schaffen. Wir sehen daher den Schutz der grünen Lunge unserer Erde durch das Abkommen gefährdet.

Erschwerend hinzukommt, dass die von der brasilianischen Agrarindustrie vorgenommenen Rodungen auch vor den Rechten indigener Bevölkerungsgruppen nicht Halt machen.

Wir, als Junge Europäische Föderalisten, finden: Die wirtschaftlichen Vorteile eines FTA mit Mercosur können seine katastrophalen Auswirkungen für die Umwelt nicht  ausgleichen. Die EU darf sich der in Brasilien vorherrschenden Logik, die kurzfristige Absatzchancen über die langfristige Gesundheit unseres Planeten stellt, nicht fügen, sondern muss sich ihr mit ihrem ganzen Gewicht entgegenstemmen. Wenn die EU auf internationaler Ebene die Verteidigerin nicht bloß des Freihandels, sondern auch der umweltpolitischen Weitsicht sein will, so muss sie den sicherlich schwierigeren, aber auf lange Sicht einzig richtigen Weg in Richtung einer internationalen Wirtschaftsordnung einschlagen, die Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechtsstandards ins Zentrum rückt. Sie muss es sich leisten können, kurzfristige Absatzmärkte zugunsten des Werbens für diesen Zweck hintanzustellen. Gegenüber den USA und China kann sie sich nur mit der Ablehnung des Abkommens, wie es jetzt ist, als
glaubwürdiger Anführer einer multilateralen, humanen und nachhaltigen Wirtschaftsordnung positionieren.

Das EU-Mercosur FTA ist noch nicht in Kraft getreten. Dafür muss es noch vom Europäischen Parlament, von den im Europäischen Rat vertretenen Regierungen sowie von den Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Wir rufen daher alle an der Ratifizierung Beteiligten dazu auf, das Abkommen in seiner jetzigen Form zu stoppen und um geeignete Sanktionsmechanismen zu ergänzen. Nicht, weil wir gegen eine stärkere Zusammenarbeit mit den Mercosur-Ländern wären – das AA findet darin unsere volle Unterstützung – sondern, weil wir der Meinung sind:“ durch
„weiterhin Druck auszuüben und weitere verbindliche Umweltstandards auszuhandeln, denn: FTAs müssen mit Weitblick ausgehandelt werden, nicht mit Blick auf kurzfristige Wachstumspotentiale. Das Abkommen muss vielmehr einer grundlegenden Überarbeitung unterzogen werden, damit darin enthaltene Umweltschutzstandards nicht bloß schmückendes Beiwerk, sondern fundamentale Voraussetzung für mehr Handel sind. Die EU kann durch ihre Handelspolitik dazu beitragen, dass Umweltkapitel in Freihandelsabkommen effektiv durchgesetzt und eingeklagt werden können. Der bisher verfolgte Kurs des politischen Prozesses reicht nicht aus. Wir fordern die EU daher auf, ihrer umweltpolitischen Verantwortung nachzukommen und für eine effektive Durchsetzung des Umweltkapitels im Mercosur-Abkommen zu sorgen.

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