Bundeskongress, 11.11.20

Gemeinsames Vorgehen Corona

Beschluss im Wortlaut:

Seit Beginn des Jahres 2020 breitet sich SARS-CoV-2 in der Welt aus, wodurch sich die größte Pandemie seit der Spanischen Grippe entwickelte. Die rasche Verbreitung des Virus führte zu erheblichen Beschränkungen von Freiheitsrechten der Bevölkerung und zum größten Wirtschaftseinbruch seit dem zweiten Weltkrieg. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vermochten es nicht, solidarisch und gemeinschaftlich gegen das Virus vorzugehen und sich gegenseitig Hilfe zu leisten.

Zunächst breitete sich das Virus ungehindert aus, bis die Nationalstaaten zum Teil sehr unterschiedliche Maßnahmen ergriffen. Es entstand ein Flickenteppich von Regelungen und unabgestimmten und unkoordinierten Vorgehensweisen zwischen den Mitgliedstaaten, wie etwa gegenseitige Einstufungen als „Risikogebiete” nach zum Teil ganz unterschiedlichen Maßstäben.

Anstatt die vorhandene Infrastruktur auf europäischer Ebene, nämlich das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) einzubinden, hat im März 2020 das deutsche Robert-Koch-Institut etwa pauschal die französische Region „Grand Est,” die flächenmäßig größer als die Niederlande oder die Schweiz ist zu einem Risikogebiet erklärt, obwohl tatsächlich nur ein kleiner Teil dieser Region überdurchschnittlich von der Verbreitung des Virus betroffen war.

In der Folge wurde eine der wesentlichsten Säulen der Europäischen Union und für europäische Bürger*innen das offenkundigste Zeichen der europäischen Einigung, nämlich der sogenannte Schengen-Acquis beeinträchtigt. Seit dem 26. März 1995 waren die Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums weggefallen, sodass wir bis zur SARS-CoV-2-Pandemie auf nunmehr 25 Jahre weitestgehend freien Grenzverkehr für Waren und Personen zurückblicken konnten. Ohne Absprache mit den europäischen Partnern wurden ab dem 16. März 2020 durch die Bundesrepublik Deutschland und ihre Nachbarländer wieder dauerhafte Grenzkontrollen eingeführt und es wurden zahlreiche wichtige Grenzübergänge vollständig geschlossen. Das Übertreten der „grünen Grenze“ wurde unter Strafe gestellt.

Während der Flüchtlingskrise und für wenige Wochen dauernde Großereignisse gab es in den letzten 25 Jahren wieder Grenzkontrollen. Auch wenn wir diese Grenzkontrollen scharf zurückweisen (siehe Beschluss “Zurück zu Schengen” des Bundesausschusses der JEF Deutschland vom 30. November 2019), so waren diese bei weitem nicht so einschneidend wie die Grenzkontrollen und vor allem Grenzschließungen während der Coronakrise.

Die starke Einschränkung der Personenfreizügigkeit, und die Verletzung des Rechtes auf Nichtdiskriminierung führte dazu, dass besonders EU-Bürger*innen in Grenzregionen starke negative Auswirkungen zu spüren bekamen. Über die staatlichen Fehlgriffe hinaus, kam es zu Anfeindungen in Form von verbalen und tätlichen Beleidigungen zwischen den Bürger*innen untereinander. Die politische Grenzschließung wurde als Symbol verstanden, alte Ressentiments wieder aufleben zu lassen und diese im Alltag auszuleben. Hierbei wurden auch Pendler*innen, die gerade im Gesundheitswesen wichtige Arbeit leisteten, aufgrund banaler Erkennungsmerkmale, wie eines Autokennzeichens des Nachbarlandes verbal und non- verbal attackiert. Diese Maßnahmen im Zuge der SARS-CoV-2-Pandemie haben nachhaltig zur Vergiftung des Klimas mit unseren Nachbarländern, insbesondere in den Grenzregionen zu Frankreich und Luxemburg, geführt. Drei der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union, nämlich der freie Warenverkehr, die Dienstleistungsfreiheit und vor allem die Personenfreizügigkeit, wurden massiv beeinträchtigt.

Ein solch unverhältnismäßiger Eingriff in Europäische Werte und Rechte der Bürger*innen ist jedoch auch durch eine Krise wie die SARS-CoV-2-Pandemie nicht zu rechtfertigen. Die Jungen Europäischen Föderalist*innen erkennen ausdrücklich an, dass Abstandsregeln sowie Kontakt- und Hygieneregeln notwendig sind, um die Krise zu bewältigen. Insgesamt dürfen die politischen Maßnahmen nicht in der Aushöhlung oder Missachtung der gemeinsamen politischen Errungenschaften münden und dürfen sich deshalb nicht an politischen Grenzen orientieren, die nur ein historischer Strich in der Landschaft sind. Vielmehr müssen sie sich an dem tatsächlichen epidemiologischen Geschehen orientieren. Daher verbieten sich Grenzschließungen und Unilateralismus von sich aus.

Die Jungen Europäischen Föderalist*innen fordern daher:

  • Die Bekämpfung einer globalen Pandemie kann nur durch gezielte und koordinierte Aktionen erreicht werden. Eine eigene Kompetenz auf EU-Ebene ist daher unerlässlich.
  • Nationale Alleingänge müssen unterbleiben, um nicht die in der 70-jährigen Friedensgeschichte der EU zugeschütteten Gräben wieder aufzureißen, und durch solidarisches Handeln gemäß der Solidaritätsklausel im Vertrag von Lissabon ersetzt werden.
  • Eine Bewertung von Risikogebieten sollte europaweit einheitlich durch das ECDC vorgenommen werden und als Maßstab für regionale und lokale Maßnahmen dienen. Risikogebiete sollten in einer einheitlichen Größenordnung, nämlich den NUTS-3-Regionen, ausgewiesen werden.
  • Die Kompetenzen des ECDC müssen ausgeweitet werden und die nötigen Ressourcen bereitgestellt werden, sodass dieses in Zukunft EU-weite Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie veranlassen und nationalen Regierungen konkret Hilfe leisten kann.
  • Grenzschließungen und somit eine Verletzung des Schengen-Abkommens und der damit verbundenen Freizügigkeit dürfen keine Maßnahme zur Pandemiebekämpfung sein. Die Jungen Europäischen Föderalist*innen werden gemäß dieser Forderung im Falle erneuter pandemiebedingter Grenzschließungen der Bedeutung des Schengen-Acquis für die Europäische Union angemessenen Aktionen (Demonstrationen, Protest-Aktionen, etc.) durchführen und sich öffentlich deutlich gegen einen solchen Eingriff positionieren.
  • Abstandsregeln sowie Kontakt- und Reisebeschränkungen dürfen sich nicht am Kriterium der Staatsangehörigkeit orientieren und müssen diskriminierungsfrei anhand objektiver Kriterien bestimmt werden.
BundessekretariatGemeinsames Vorgehen Corona