Beschluss des gemeinsamen Bundesausschusses der Europa-Union und
der Jungen Europäischen Föderalist:innen vom 15.03.2025
Beschluss im Wortlaut:
Die geopolitischen Entwicklungen zeigen deutlich, dass Europa nur geschlossen und mit vereinter Kraft seine Freiheit und seine Unabhängigkeit bewahren können wird. Deshalb muss die Europäische Union (EU) dringend handlungsfähiger werden. Die Pariser Klimaschutzziele zur effektiven Verlangsamung der menschengemachten Erderwärmung bleiben trotz Kriegsgefahr und Rezession von überragender Bedeutung. Die schwierige Lage besonders der Wirtschaft, die Sicherung offener Märkte und wichtiger Zugänge zu Ressourcen sowie einer verlässlichen und nachhaltigen Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen, die weitere Vertiefung des Binnenmarkts, vor allem seine Ergänzung um eine Kapitalmarktunion, sowie Demografie und Migration sind Herausforderungen, denen wir nur vereint erfolgreich begegnen können. Deutschland, als bevölkerungsreichster Mitgliedstaat und größte Volkswirtschaft der EU, trägt hierbei besondere Verantwortung. Die Krisen unserer Zeit, sei es die Verteidigung der Demokratie, die Gewährleistung von Sicherheit oder die Stärkung des europäischen Zusammenhalts, erfordern eine aktive und vorausschauende europäische Politik – einen europäischen Bundesstaat.
Europa-Union Deutschland (EUD) und Junge Europäische Föderalist:innen (JEF) Deutschland setzen sich als überparteiliche und überkonfessionelle Verbände seit über 75 Jahren für ein föderales Europa ein. Gemeinsam fordern wir die zukünftige deutsche Bundesregierung auf, sich in den kommenden vier Jahren proaktiv für eine wirkungsvolle Stärkung Europas einzusetzen. Dabei muss Deutschland als Motor der Integration vorangehen und darf wichtige Entwicklungen nicht blockieren, sondern muss selbst Impulse setzen.
Mit unserer Kampagne „Deutschland wählt, Europa zählt“ haben wir gezeigt, dass große Teile der deutschen Gesellschaft ein geeintes, starkes und zukunftsfähiges Europa wollen. Dies bestätigt auch eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Europäischen Bewegung Deutschland e.V. (EBD). Gleichzeitig verschärfen sich die Bedrohungen demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien von innen und von außen. Deutschland muss gemeinsam mit Frankreich und Polen und weiteren reformwilligen EU-Staaten Führungsverantwortung übernehmen und eine ambitionierte Vision mit klaren Ansprüchen definieren. Jetzt ist die Zeit für entschlossenes Handeln! Was für uns zählt – von der neuen Bundesregierung fordern wir:
1) Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und zivilgesellschaftliches Engagement stärken!
Zivilgesellschaftliche Strukturen sind eine unverzichtbare Säule der Demokratie. Sie fördern den Austausch und die Beteiligung an politischen Prozessen und sind ein wichtiger Wächter der demokratischen Ordnung. Vor allem Verbände und zivilgesellschaftliche Organisationen tragen dazu bei, junge Menschen frühzeitig zu empowern, die die Werte der Demokratie aktiv vertreten. Wir fordern, dass dies auch in einem Gesetz zur Stärkung der Demokratie verankert wird. Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass sie die Unabhängigkeit, den Schutz und die Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen stärkt und mit den nötigen finanziellen und strukturellen Ressourcen ausstattet. Dies gilt insbesondere für eine Inflationsanpassung des Kinder- und Jugendplans. Nur durch ein starkes zivilgesellschaftliches Engagement kann die Grundlage für eine stabile, gerechte und demokratische Gesellschaft erhalten bleiben. In einer Welt, in der rechtsstaatliche Prinzipien zunehmend unter Druck geraten – etwa durch autoritäre Tendenzen, die Einflussnahme privater Tech-Unternehmen oder die Instrumentalisierung von Macht – muss die Bundesregierung sich entschieden für die Stärkung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und zivilgesellschaftliches Engagement in Deutschland, Europa und global einsetzen. Rechtsstaatlichkeit ist kein Hindernis für die effiziente Durchsetzung politischer Vorha-
ben. Sie ist wesentliche Grundlage für Checks and Balances und ein regelbasiertes Zusammenleben auf nationaler und internationaler Ebene und muss verteidigt werden. Besonders wichtig ist die Durchsetzung europäischen Rechts zum Schutz der demokratischen Öffentlichkeit davor, von
algorithmisch verstärktem Hass und Lügen ertränkt zu werden. Europa hat sich demokratisch entschieden, Aufrufe zu Hass und Gewalt online genauso wie offline zu verbieten, und Plattformen wie X, Facebook, YouTube, TikTok und Google verpflichtet, europäisches Recht durchzusetzen. Die Trump-Regierung verleumdet die Durchsetzung von EU-Gesetzen als Handelsnachteil. Die Bundesregierung muss helfen, mit dem Digitale Dienste Gesetz (DSA) die demokratische Öffentlichkeit zu verteidigen, und verhindern, dass die EU-Kommission Straffreiheit für die Plattform X gegen Zollfreiheit für Autos tauscht. Wir lassen uns auf die Rhetorik von Trump, Musk und Co. nicht ein und bieten ein demokratisches europäisches Gegenmodell!
2) Junge Menschen an der Gestaltung der Zukunft beteiligen!
Die multiplen Krisen der letzten Jahre – der Krieg in Europa, der Klimawandel und die Wirtschaftskrise – treffen insbesondere die junge Generation und haben langfristige Folgen für ihre Zukunft. Junge Menschen, die wie alle gesellschaftlichen Gruppen vielschichtig sind, dürfen nicht nur passiv diese Entwicklungen beobachten, sondern müssen aktiv an der Gestaltung ihrer Zukunft mitwirken können. Die Ergebnisse der letzten Wahlen haben jedoch verdeutlicht, dass ihre Lebensrealitäten in der Politik nicht ausreichend berücksichtigt werden. Um ihre Anliegen angemessen einzubinden, ist eine stärkere politische Teilhabe notwendig. Ein entscheidender Schritt wäre die europaweite Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Gleichzeitig muss Demokratie über Wahlen hinausgehen: Jugendparlamente und verbindliche Beteiligungsmechanismen auf allen Ebenen sind essenziell, damit junge Menschen aktiv in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Darüber hinaus braucht es eine intensivere politische Bildung, um das Demokratieverständnis junger Menschen zu stärken und ihnen frühzeitig ein Bewusstsein für ihre demokratischen Rechte, insbesondere auch auf der europäischen Ebene, zu vermitteln. Die politische Bildung, insbesondere die europapolitische Bildung, kommt in den modernen Bildungssystemen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union viel zu oft zu kurz. Selbst in der Bundesrepublik Deutschland gibt es erhebliche Diskrepanzen in der Qualität und im Umfang der politischen Bildung – nicht nur zwischen der Sekundarstufe und der gymnasialen Oberstufe, sondern auch zwischen den einzelnen Bundesländern. Das darf nicht sein! Ein Maßnahmenpaket zur politischen Bildung, beginnend mit der Grundschule und auch in der Lehrkräfteausbildung, ist essenziell, um diese Diskrepanz mindestens teilweise aufzuheben. Dies ist ein entscheidender Punkt, um die Jugend und künftige Generationen auf die Komplexität unserer Gegenwart vorzubereiten. Dabei darf Jugendbeteiligung keine symbolische Geste sein, sondern muss als demokratische Notwendigkeit verstanden wer-
den.
3) Europäische Integration vertiefen, um den Bundesstaat zu verwirklichen!
Gerade jetzt, da der Autoritarismus eines Donald Trump, der russische Faschismus sowie die Volksrepublik China unser auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie basierendes Modell gefährden, ist es notwendig, unsere Art zu leben nicht nur zu verteidigen, sondern sie selbstbewusst gesamteuropäisch weiterzuentwickeln. Europa muss nicht nur sicherheits- und wirtschaftspolitisch eigenständig, sondern wirklich einig werden. Die aktuellen globalen Herausforderungen verlangen es, dass wir als EU gemeinsam und stark auftreten – um die Werte von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen und eine echte Alternative zu den autoritären Systemen zu bieten, die weltweit an Einfluss gewinnen. Es ist höchste Zeit, diese Chance zu ergreifen und eine europäische Zukunft zu gestalten, die auf unseren gemeinsamen Werten basiert.
Deshalb fordern wir die neue Bundesregierung auf, die europäische Integration nicht nur in Einzelfragen, sondern in der ganzen Breite zu vertiefen. Dabei muss auch der pragmatische Ansatz der Zusammenarbeit „der Willigen“ zugelassen werden, wenn schnelle Lösungen erforderlich sind. So können einzelne Integrationsschritte in Bereichen wie Verteidigung, Klima- oder Wirtschaftspolitik in einer engeren Gruppe von Mitgliedstaaten vorangetrieben werden, um Fortschritte zu erzielen, die auf die gesamte EU ausstrahlen. Die Zeit ist reif für kühne Entwürfe, besonders da der mögliche Rückzug der USA aus der freien Welt die EU-Mitgliedstaaten dazu zwingt, enger zusammenzurücken. Die EU darf nicht nur als Wirtschafts- und Sicherheitsgemeinschaft existieren, sondern muss auch politisch und institutionell enger zusammenarbeiten. Deutschland muss als treibende Kraft in der EU auftreten und konkrete Schritte zur Stärkung des europäischen Integrationsprozesses setzen. Dazu gehört die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips, die Etablierung einer Verteidigungsunion und die Stärkung des Initiativrechts des Europäischen Parlaments. Die Zeit ist jetzt, eine europäische Alternative zu den verschiedenen Autoritarismen zu formulieren. Nicht nur, weil wir es müssen, um nicht unterzugehen, sondern weil wir es können und wollen. Es ist Zeit für den europäischen Bundesstaat!
4) Eine handlungsfähige EU durch gemeinsame Verteidigung fördern!
Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss stärker integriert werden, um die EU unabhängiger und handlungsfähiger zu machen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt, dass Europa seine Sicherheit nicht länger von den USA abhängig machen kann – erst recht nicht seit der zweiten Trump-Präsidentschaft. Die EU braucht auf dem Weg zu Europäischen Streitkräften eine echte Verteidigungsunion, die die nationalen Streitkräfte enger verzahnt und Ressourcen effizienter nutzt. Dazu gehören auch gemeinsame Beschaffungen und schnell umsetzbare europäische Lösungen, um die militärische Zusammenarbeit zu vertiefen. Kurzfristig fordern wir eine gemeinsame Kredit- und Schuldenaufnahme für Verteidigung, um dringend notwendige Investitionen in Ausrüstung und strategische Fähigkeiten zu ermöglichen. Besonders eng muss hierbei mit den nordischen, baltischen, zentral- und osteuropäischen Mitgliedstaaten zusammengearbeitet werden, die bereits jetzt eine Schlüsselrolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur spielen und über wertvolle strategische Expertise in der Abschreckung und Verteidigung gegen die russische Bedrohung verfügen. Während manche dringend benötigten Waffen und Munition außerhalb der EU und auch in den USA gekauft werden müssen, sollte die große Mehrheit neuer Gelder in europäische Produkte fließen.
Dabei darf Verteidigung nicht gegen den sozialen Frieden ausgespielt werden. Sicherheit bedeutet mehr als nur militärische Stärke – sie erfordert auch wirtschaftliche Stabilität und den Schutz demokratischer Werte. Die Unterstützung der Ukraine macht deutlich, dass Europas Verteidigungsfähigkeit auch eine Frage der Solidarität ist. Neben der Stärkung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung (PESCO) und einer vertieften Zusammenarbeit in der Weltraum- und Cyberabwehr fordern wir die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips insbesondere in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik. Zudem braucht es eine strategische Kultur, die gemeinsame Militäreinsätze ermöglicht, etwa durch ein “Erasmus for Soldiers”- Austauschprogramm und eine Diskussion über die Nutzung der EU-Battlegroups. Eine selbstbewusste europäische Verteidigungspolitik ist kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung für Frieden, Stabilität und Handlungsfähigkeit in einer sich wandelnden Welt.
5) Europäische Freizügigkeit schützen und Schengen verteidigen!
Wir fordern die Bundesregierung auf, die eingeführten Grenzkontrollen an allen deutschen Außengrenzen umgehend abzuschaffen und sich entschieden gegen deren Verlängerung oder gar Verstetigung einzusetzen. Im Jahr seines 40-jährigen Bestehens muss der Schengenraum als Kernstück der europäischen Integration verteidigt und geschützt werden. Einschränkungen der Freizügigkeit schaden der Wirtschaft, behindern den Binnenmarkt und belasten Unternehmen sowie Menschen, die täglich die Grenze überqueren, massiv. Zudem fehlen der Polizei die Kapazitäten, um flächendeckende Grenzkontrollen aufrechtzuerhalten, ohne andere sicherheitsrelevante Aufgaben zu vernachlässigen. Die Jungen Europäischen Föderalist:innen haben bereits 1950 mit dem symbolischen „Grenzsturm“ gegen die innereuropäischen Grenzkontrollen demonstriert, weil die föderalistische Bewegung wusste: Ein vereintes Europa braucht offene Grenzen. Heute gilt es mehr denn je, dieses Ziel zu verteidigen. Statt nationale Alleingänge fortzusetzen, braucht es gemeinsame europäische Lösungen – gerade in der Migrationspolitik. Der Schutz der Freizügigkeit muss mit einer funktionierenden Zusammenarbeit in der EU und auch an den EU-Außengrenzen einhergehen, um irreguläre Migration effektiv zu begrenzen, dem völkerrechtlich verankerten Schutzversprechen gerecht zu werden, eine gerechtere Verteilung von Asylberechtigten und Schutzbedürftigen zu ermöglichen und reguläre Migration, die aufgrund der demografischen Alterung in erheblichem Umfang gebraucht wird, gemeinsam im Sinne des europäischen Arbeitsmarkts zu steuern. Die Bundesregierung muss sich aktiv für den Erhalt und die Stärkung des Schengenraums einsetzen, anstatt durch ihre Politik neue Hürden zu errichten. Europas Antwort auf aktuelle Herausforderungen muss mehr Zusammenarbeit sein – nicht neue Binnengrenzen.
6) Das Parlament als Herzstück der Demokratie betonen!
Das Parlament muss als Herzstück der Demokratie gestärkt werden. Wir fordern ein Initiativrecht des Europäischen Parlaments, um seine Rolle als gleichwertiger Partner der Kommission und des Rates zu festigen. Um dies zu erreichen, muss die Bundesregierung die Einführung entsprechender Vertragsänderungen auf EU-Ebene aktiv vorbringen und so die demokratische Legitimation der EU langfristig stärken und ihre Handlungsfähigkeit verbessern. Darüber hinaus fordern wir die Einführung von transnationalen Listen für die Europawahlen, um die direkte Wahl durch ein Spitzenkandidatensystem zu ermöglichen und so die europäische Demokratie weiterzuentwickeln. Die bestehende deutsch-französische parlamentarische Versammlung muss weiter ausgebaut, um Polen erweitert und als Modell für verstärkte Zusammenarbeit genutzt werden, um gemeinsam europäische Themen voranzutreiben.
Zudem muss die europäische Politik in der deutschen Bundesregierung kohärent und effizient koordiniert werden. Der Europaausschuss sollte stets vor Abstimmungen im Rat befasst werden, um sicherzustellen, dass europäische Themen unter einem gemeinsamen Dach bearbeitet werden. Es darf keine unkoordinierte Haltung oder „German Votes“ mehr geben. Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass alle Ministerien europäische Themen mitdenken und miteinander koordinieren, um die Handlungsfähigkeit Deutschlands in der EU zu stärken und die europäische Demokratie zu fördern.
7) Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz vorantreiben!
Die Verbesserung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit wird im Zentrum der neuen von der Leyen-Kommission stehen. Wie die Berichte von Draghi und Letta betonen, braucht es hierfür ein substanziell größeres Investitionsvolumen, das auf privatem und öffentlichem Kapital basiert, sowie die Weiterentwicklung gemeinsamer finanzpolitischer Instrumente, insbesondere im Zusammenhang mit dem nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU. Deutschland ist als einer der wirtschaftlichen Motoren der EU immens von den geopolitischen Rahmenbedingungen betroffen und kann seine Wirtschaft nur stärken, indem es die Vorteile des europäischen Binnenmarktesvoll nutzt und Reformen vorantreibt. Statt libertärem Deregulierungswahn, der digitalen Plattformen wie denen von Musk und Zuckerberg ungebremste Freiheiten in der Verarbeitung privater Nutzerdaten aber auch der Beeinflussung der öffentlichen Meinung gibt, fordern wir ein Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft und zu einer wertebasierten europäischen Ordnungspolitik. Notwendig sind zugleich eine Umsetzung und Weiterentwicklung der Europäischen Säule Sozialer Rechte.
Die EU muss mehr als nur eine Wirtschaftsunion sein – sie muss ein Vorreiter in der globalen Zusammenarbeit und einer nachhaltigen Transformation werden. Dies bedeutet nicht nur eine ambitionierte Klima- und Umweltpolitik innerhalb der EU, sondern auch eine verstärkte Rolle in der globalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit. Deutschland muss sicherstellen, dass die EU den Europäischen Green Deal entschlossen vorantreibt und weltweit eine führende Rolle übernimmt.