Anerkennung ist der einzige Weg – schafft dem Kosovo endlich begründete Aussicht auf die EU-Mitgliedschaft

Bundesausschuss, 09.12.2023

Anerkennung ist der einzige Weg – schafft dem Kosovo endlich begründete Aussicht auf die EU-Mitgliedschaft

Beschluss im Wortlaut:

Einleitung

Die EU ist ein einzigartiges politisches Projekt, das auf den Prinzipien der Demokratie, des Friedens und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit basiert. Die EU arbeitet nicht nur jeden Tag aufs Neue an der Erhaltung des Friedens auf dem europäischen Kontinent, sondern fördert auch Wohlstand und Stabilität. Auf dem Weg zum europäischen Bundesstaat bietet die Erweiterung der EU die Möglichkeit, die Stärken der EU weiter auszubauen und die Ideale, auf denen sie gegründet wurde, in immer weitere Teile Europas zu tragen.

Der Kosovo, der im Jahr 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hat, hat seitdem beträchtliche Fortschritte in Richtung Demokratie und Stabilität gemacht. Das Land hat eine demokratische Regierung gewählt, Reformen im Justiz- und Bildungswesen durchgeführt und wichtige Schritte zur Förderung der Versöhnung in der Region unternommen. Es ist an der Zeit, dass die EU diese Bemühungen anerkennt und den Kosovo, ohne dabei eine nachhaltige Konfliktlösung mit Serbien außer Acht zu lassen, als potenzielles EU-Mitglied betrachtet. Als letzter der Westbalkanstaaten hat der Kosovo im Dezember 2022 offiziell den Antrag auf einen EU-Beitritt gestellt. Seither wurde dem Land der Kandidatenstatus nicht verliehen. Dennoch sind wichtige Schritte zur Annäherung vorgenommen worden.

Die Aufnahme des Kosovos in die EU würde nicht nur dazu beitragen, die politische und wirtschaftliche Stabilität in der Region zu fördern, sondern auch die europäischen Werte in einem Land verankern. Im Falle Kosovos ist eine vollständige EU-Mitgliedschaft allerdings erst nach einer Einigung mit Serbien möglich, da sonst nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Spannungen tatsächlich in der Region aufhören würden.

Aufbauend auf den Beschlüssen zur EU-Erweiterungspolitik sowie zur Beitrittsperspektive des Westbalkans fordern wir dabei die Berücksichtigung der folgenden Eckpunkte:

  1. Anerkennung des Kosovo durch die gesamte EU

Seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo hat sich innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten keine einheitliche Position zur staatlichen Anerkennung der ehemaligen serbischen Provinz durchsetzen können. Während 22 der 27 EU- Mitgliedstaaten den Kosovo als eigenständigen Staat anerkennen und einige dieser bereits eine Botschaft in Prishtina eingerichtet haben, verweigern bis heute Spanien, Slowakei, Griechenland, Rumänien und Zypern die Anerkennung der Staatlichkeit. Während die Motive dieser Haltung zumeist in der Vermeidung von Sezessionsbestrebungen in den jeweiligen Staaten zu suchen sind, versperrt diese Uneinheitlichkeit innerhalb der Union in plakativer Weise die Bemühungen, eine Friedensordnung auf dem Westbalkan mitsamt dem Kosovo zu etablieren sowie die Gesamtintegration der Region in die EU. Auch die verbleibenden Verweigerer der Anerkennung in der EU sollten ihre Haltung zugunsten einer Anerkennung der Staatlichkeit des Kosovos ändern. In der staatlichen Verfasstheit der jeweiligen Länder begründete Argumente, die dem entgegenstehen mögen, dürfen die Interessen der EU in dieser für die Weiterentwicklung der EU so fundamentalen Region nicht behindern. Die EU sollte in diesem Zuge auch für die Aufnahme des Kosovo in weitere internationale Organisationen werben.

  1. Offizieller Beitrittsstatus

Trotz Antragsstellung wurde dem Kosovo der offizielle Kanditatenstatus bisher nicht verliehen. Nachdem Bosnien und Herzegowina Ende 2022 als letzter übriger Staat der Region diesen Status bereits erhielt, sollte trotz der widrigen geopolitischen Umstände Kosovo ebenfalls offizieller Beitrittskandidat werden. Der Westbalkan kann nur mit dem Kosovo eine realistische Beitrittsperspektive der Gesamtregion entwickeln. Die Region ist naturräumlich, wirtschaftlich sowie ethnisch derart verwoben, dass zumindest in der Langfristperspektive eine Aufnahme nur einiger Staaten der Region nicht realistisch ist, bzw. zu neuen politischen Problemen führen würde. Ein Kandidatenstatus Kosovos würde diesen Weg vorzeichnen und den Westbalkan als Gesamtregion würdigen. Auch die politische Frage zwischen Serbien und Kosovo steht einem solchen Vorgehen nicht im Wege, vielmehr kann und sollte diese insbesondere mit einem Kandidatenstatus beider Staaten gelöst werden. Auch dass die Ukraine sowie Moldau – berechtigterweise, jedoch verhältnismäßig schnell – den Kandidatenstatus verliehen bekamen, spricht für eine Schaffung klarer Verhältnisse auf dem Westbalkan mit Berücksichtigung des Kosovo. So steht doch der aktuelle geopolitische Konflikt um den Kosovo verglichen mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine schwerlich in einem Verhältnis, was das Ausmaß an kriegerischen Auseinandersetzungen und gesellschaftlichen Verwerfungen angeht. Dennoch müssen bei den Beitrittsverhandlungen die Kopenhagener Kritierien für jeden gleich gelten, um das Risiko neuer Frustration auf dem Westbalkan möglichst gering zu halten. Wir fordern den Kandidatenstatus für alle Länder des Westbalkans einschließlich Kosovos, ein eng abgestimmtes Vorgehen des Beitrittsprozesses in der Region sowie die Lösung der weiterhin bestehenden Konflikte der Region innerhalb dieses Status.

  1. Visaerleichterungen

In diesem Zusammenhang begrüßen wir den wichtigen Schritt der Unterzeichnung des Visaübereinkommens aus April 2023, das sowohl Kosovar:innen als auch EU- Bürger:innen das Reisen erheblich erleichtern wird und zu einer Angleichung des Visaregimes in der Westbalkanregion führt.

  1. Wirtschaftliche Integration

Der Kosovo ist das ärmste Land der Region. Durch das Instrument for Pre- Accession Assistance (IPA) unterstützt die EU bereits seit 2014 die wirtschaftliche Entwicklung im Kosovo. Durch diese Unterstützungspakete sowie eine engere Anknüpfung des im Rahmen des Berliner Prozess geschaffenen sogenannten “Gemeinsamen Regionalen Marktes” an den EU-Beitrittsprozess kann die ökonomische Integration des Kosovo gelingen. Ein besonderer Fokus auf nachhaltige Energiepolitik ist hier empfehlenswert. Auch vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine oder auch der wachsenden chinesischen Wirtschaftsinteressen in der Region ist eine enge wirtschaftliche Kooperation zwischen der EU und dem Kosovo unabdingbar.

  1. Friedensprozess

Die Basis für den Beitritt des Kosovos ist der Frieden und die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien. Dementsprechend sollte die EU ihre Vermittlerrolle im Friedensprozess noch weiter verstärken. Die bisherigen Bemühungen und die Aushandlungen eines Grundlagenabkommens, auf welches sich der Kosovo und Serbien im Frühjahr 2023 einigen konnten, stellen einen Erfolg dar. Damit wurde ein bedeutender Schritt in Richtung Normalisierung getan. An diesen muss die EU anknüpfen und ihre Rolle als Friedensvermittlerin wahrnehmen und auf beide Länder diplomatischen Druck ausüben, damit die mühsam ausgehandelten Erfolge aus dem Abkommen implementiert werden. Eine Situation wie Ende Mai 2023, bei der es zu gewaltsamen Ausschreitungen, ausgehend von militanten Serben, kam, die unter anderem die Verwundung von 30 KFOR-Soldaten zur Folge hatten, muss unbedingt vermieden werden.

Auch begrüßen wir weitere diplomatische Errungenschaften wie die Vermittlung von vertrauensbildenden Maßnahmen für die Zusammenarbeit bei der Vermisstensuche. Darüber hinaus sollte sich die EU bemühen, auch bei weiteren solcher Maßnahmen zu unterstützen z.B. vermehrte Gefangenenaustausche zur Annäherung und Schaffung von Vertrauen.

  1. Rechtsstaatlichkeit

Seit 2011 soll die EULEX Rechtsstaatsmission dabei helfen, das Polizei-, Justiz- und Zollwesen im Kosovo aufzubauen. Das Exekutivmandat ist 2018 ausgelaufen und es kam zu einer Funktionsänderung, sodass Richter:innen und Staatsanwält:innen vor Ort nicht mehr ersetzt werden, sondern nur noch sehr begrenzte Exekutivbefugnisse haben und ansonsten unterstützen und beaufsichtigen. Dieses Mandat wurde bis 2025 verlängert. Wir begrüßen die Verlängerung des Mandats und fordern, dass das Rechtstaatslichkeitsprogramm in Zukunft so gestaltet wird, dass es effektiv dazu beiträgt, die Korruption im Land zu bekämpfen und die Rechsststaatlichkeitsmechanismen zu verbessern, während die Souveränität des Landes respektiert wird. Die Übernahme exekutiver Aufgaben wäre unter Berücksichtigung der bestehenden Institutionen nicht mehr angemessen. Vielmehr muss der Kosovo als unabhängiges Rechtssystem respektiert werden. Gleichzeitig muss der Kosovo seinen Verpflichtungen bei der Korruptionsbekämpfung nachkommen, um die Funktion der rechtsstaatlichen Systeme zu garantieren.

  1. Kontext 

In Bezug auf die konkreten Forderungen zum Kosovo sollte auch berücksichtigt werden, dass ein gemeinsamer, gleichzeitig voranschreitender Beitrittsprozess aller Westbalkanstaaten forciert werden sollte, um die Verständigung und Zusammenarbeit in der Region zu garantieren.

emmelineAnerkennung ist der einzige Weg – schafft dem Kosovo endlich begründete Aussicht auf die EU-Mitgliedschaft
Weiterlesen

Europa im Visier hybrider Kriegsführung

Bundesausschuss, 09.12.2023

Europa im Visier hybrider Kriegsführung

Beschluss im Wortlaut:

Einleitung

Spätestens seit dem 24.02.2022 befindet sich Europa in einer außerordentlichen sicherheitspolitischen Lage. Die europäischen Staaten müssen weiterhin alles in ihrer Macht stehende tun, um die Ukraine dabei zu unterstützen, sich gegen den völkerrechtswidrigen und brutalen Angriffskrieg Russlands zu verteidigen.

Die militärischen und nichtmilitärischen Maßnahmen, die die russische Regierung seit mehreren Jahren einsetzt, sind passende Beispiele für die Gefahren hybrider Kriegsführung. Lange vor der militärischen Eskalation hat Russland sowohl in der Ukraine, als auch weltweit nichtmilitärische Methoden verwendet, um Staaten und Gesellschaften zum eigenen Vorteil zu destabilisieren. Besonders verwundbar gegenüber nichtmilitärischen Maßnahmen sind, aufgrund ihrer Offenheit, liberale Demokratien. Dabei ist die russische Regierung bei weitem nicht die einzige Staatsgewalt, die demokratische Werte nicht nur nicht teilt, sondern einen Schritt weitergeht und diese als Bedrohung ansieht. Deshalb ist Russland auch bei weitem nicht der einzige Akteur, wenn es darum geht, nichtmilitärische Maßnahmen einzusetzen, um demokratische Gesellschaften zu spalten. Die BRICS Staaten stehen beispielhaft für das wachsende Machtpotential von Staatensystemen, die die westlichen Werte nicht teilen.

Entscheidend ist, dass sich aufgrund der Globalisierung die Interdependenzen und Anfälligkeiten von Gesellschaften erhöht haben. Sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure können sich aufgrund gesunkener Transaktionskosten weit über den eigenen Herrschaftsbereich hinaus Einfluss verschaffen.

Im Falle der hybriden Kriegsführung handelt es sich um die aktive Kombination von Maßnahmen in verschiedenen Bereichen, die wiederum Kaskadeneffekte auslösen und sich im zeitlichen Verlauf anpassen können. Meist handelt es sich nicht um deutlich erkennbare Angriffe, die man genau zurückverfolgen kann. So können Staaten und Gesellschaften in einen dauerhaften Konflikt- oder Krisenzustand versetzt werden, was langfristig eine Spaltung der Gesellschaft und einen Vertrauensverlust in demokratische Institutionen zur Folge haben kann. In Europa ist seit Jahren eine verstärkte Polarisierung zu beobachten. Der Brexit, die Konflikte um Migration und Rechtsstaatlichkeit und der Aufstieg rechtsextremer Parteien sind nur einige Beispiele dafür. Hybride Kriegsführung ermöglicht Akteuren von außen, solche Konflikte anzuheizen und zu instrumentalisieren, ohne selbst vor Ort zu sein. Cyberattacken, Spionage, die Bildung wirtschaftlicher Dependenzen und die Verbreitung von Desinformation über soziale Netzwerke sind geeignete Beispiele. Insbesondere die Verbreitung falscher Informationen während der Corona-Pandemie und der Cambridge-Analytica- Skandal haben gezeigt, wie neuartige Technologien den Kampf zwischen Wahrheit und Viralität und das Verschwimmen zwischen Online und Offline Polarisierung antreiben können. Die weitreichenden Folgen und Wirkungen eines bloßen Hashtags sind heutzutage nicht mehr zu leugnen.

Hybride Kriegsführung schafft es, die größte Stärke liberaler Demokratien, die öffentliche Debatte, in eine Schwäche zu verwandeln. Die EU muss sehr akut darauf aufpassen, dass außenstehende Akteure es nicht schaffen, den demokratischen Diskurs innerhalb Europas in eine antidemokratische Richtung zu verschieben. Denn dann stünde nichts weniger als das gesamte Projekt der Europäischen Union auf dem Spiel.

Trotz aller berechtigten Kritik ist die EU jedoch das wirkungsvollste Mittel, um Frieden, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Europa zu sichern. Daher muss die EU dringend stärkere Maßnahmen ergreifen, um sich nachhaltig gegen hybride Formen der Kriegsführung verteidigen zu können. Aus diesen Gründen fordern wir:

  1. Weiterhin verstärkt die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU.

Das Einstimmigkeitsprinzip führt zu einer Verlangsamung bis hin zu einer potentiellen Blockade von Prozessen, was im Widerspruch zur steigenden Schnelligkeit von auftretenden und sich veränderten Bedrohungslagen steht. Das Tempo demokratischer Entscheidungsfindungsprozesse darf nicht dazu führen, dass, sobald eine Entscheidung steht, diese aufgrund veränderter Ausgangsbedingungen, wieder irrelevant ist.

 

  1. Verstärktes Engagement für den gesamtgesellschaftlichen Resilienzaufbau in Europa.

Die Maßnahmen aus der 2016 verabschiedeten Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik sind offensichtlich nicht ausreichend. Sieben Jahre später ist die Demokratie in der EU so gefährdet wie noch nie seit ihrem Bestehen. Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik müssen in einem sicherheitspolitischen Kontext gedacht werden, da sie die effektivsten Maßnahmen zum Resilienzauau bieten. Sozialer Zusammenhalt, politische Bildung und gesellschaftliche Medien- und Nachrichtenkompetenz sind keine “Wohlfühl-Wünsche”, sondern haben sich zu sicherheitspolitischen Notwendigkeiten entwickelt. Die EU muss hier präventiv handeln, anstatt erst zu reagieren, nachdem es möglicherweise schon zu spät ist. Auch wenn einige Entscheidungen viel Zeit und Geld kosten und in der kurzen Frist eher unattraktiv zu sein scheinen. Durch die enge Kooperation mit der NATO und die Gründung der PESCO hat die EU die Gelegenheit, sich auf die zivilen Aspekte der Verteidigung zu fokussieren.

  1. Eine deutliche Definition der Strategischen Autonomie Europas und der europäischen Beistandsklausel (Art. 42, Abs. 7 EUV).

Da die Bedeutung ziviler Methoden der Kriegsführung stark gestiegen ist, bleibt die militärische Abschreckung weiterhin von enormer Wichtigkeit und Priorität. Daher fordern wir bereits seit mehreren Jahren eine gemeinsame Europäische Armee. Diese kann unter anderem dazu beitragen, Abhängigkeiten im militärischen Bereich zu verringern. Die transatlantische Partnerschaft ist sehr wichtig, jedoch nicht mehr so zuverlässig wie früher. Die EU muss daher für sich und ihre Bürger:innen deutlich definieren, wann sie eigenständig handelt und sich verteidigt. Dazu gehört auch die Frage, ob nicht-militärische Angriffe die Beistandsklausel auslösen können.

  1. Vermehrte Einbeziehung des Parlaments in die GASP/GSVP und die Etablierung von SEDE und ING2 als vollwertige Ausschüsse.

Als einzig direkt gewähltes Organ muss das Europäische Parlament deutlich stärker in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GASP/GSVP) mit einbezogen werden. Die Themen Sicherheit, Verteidigung und Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der EU werden uns in Zukunft verstärkt beschäftigen. Daher sollten die EP- Ausschüsse SEDE (Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung) und ING2 (Sonderausschuss zur Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation, und zur Stärkung der Integrität, Transparenz und Rechenschaftspflicht im Europäischen Parlament) als dauerhafte und vollwertige Ausschüsse etabliert werden.

  1. Erweiterte Einbeziehung von Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft bei der Umsetzung des Strategischen Kompasses.

Der Strategische Kompass legt Leitlinien der EU in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung fest und enthält u. a. auch strategische Maßnahmen zur Cybersicherheit. Die Zivilgesellschaft, insbesondere Journalist:innen, Medien, Online-Plattformen, NGOs, Expert:innen und Wissenschaftler:innen, sowie private Unternehmen werden oftmals als erste Verteidigungslinie einer liberalen demokratischen Gesellschaft bezeichnet. Zum Beispiel sind die Sozialen Netzwerke in privater Hand, über welche in heutiger Zeit schon massenhaft Desinformationskampagnen gestreut werden. Diese Netzwerke sind zu einem Raum der demokratischen Partizipation und Entscheidungsfindung geworden, obwohl sie nicht dafür konzipiert worden sind. Ebenso kommen die meisten Unternehmen, die sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen, aus der Privatwirtschaft. Diese Technologie wird zukünftig enormen Einfluss auf alle Bereiche des alltäglichen Lebens nehmen. Von der Entwicklung hochmoderner Waffensysteme bis hin zu automatisierten Bots auf Instagram oder TikTok. Aufgrund oftmaliger Profitorientierung und schwächerer Sicherheitsstrukturen sind private Unternehmen und Organisationen potenziell einfacher zu beeinflussen als staatliche Institutionen. Ohne ihre Partizipation und Einbeziehung in den Strategischen Kompass der EU wird eine erfolgreiche Verteidigung gegen hybride Angriffe unmöglich.

  1. Die Ausweisung von demokratischen Wahlprozessen als kritische Infrastruktur.

Zu einem Ziel von hybriden Angriffen können auch demokratische Wahlen sowie der damit verbundene Wahlkampf werden. Um eine Einflussnahme auf den wichtigsten demokratischen Entscheidungsprozess von außen zu verhindern, fordern wir, dass Wahlen als kritische Infrastruktur ausgewiesen werden.



emmelineEuropa im Visier hybrider Kriegsführung
Weiterlesen

Europa und Afrika – Eine Bildungspartnerschaft auf Augenhöhe

Bundesausschuss, 09.12.2023

Europa und Afrika – Eine Bildungspartnerschaft auf Augenhöhe

Beschluss im Wortlaut:

Die EU muss die Bildungspolitik in ihren Mitgliedsstaaten mit Blick auf den afrikanischen Kontinent neu denken.

Wir als JEF bekennen uns zu einer guten Zusammenarbeit zwischen der EU und den afrikanischen Staaten auf Augenhöhe. Als Verband unterstützen wir die Verständigung zwischen den Völkern. Hierzu ist es jedoch notwendig, dass man einerseits kulturelle, politische und soziale Hintergründe des Gegenüber kennt, andererseits aber auch ein Bewusstsein für die gemeinsame, oft belastete, Vergangenheit besitzt.

Dass ein Großteil der europäischen Bürger:innen wenig oder keine Kenntnisse über aktuelle Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent und der gemeinsamen Historie haben, ist maßgeblich den Versäumnissen in der Bildungspolitik geschuldet. Die Kolonialpolitik ist an deutschen Schulen nur ein kleines Kapitel im Geschichtsunterricht an Gymnasien und wird häufig nur oberflächlich behandelt. Gerade vor dem Hintergrund, dass zunehmend Geflüchtete aus dem globalen Süden in die Europäische Union kommen und in den Mitgliedstaaten der EU Schutz suchen, ist in allen Bereichen der Gesellschaft eine erhöhte Aufmerksamkeit und Sensibilität erforderlich.

Woher soll diese Sensibilität und Aufnahmebereitschaft kommen, wenn in einem Großteil der Gesellschaft kein Bewusstsein über die Historie und z. B. die Ausbeutung aus der Kolonialpolitik entwickelt wird?

Daneben ist es wichtig, dass wir den afrikanischen Kontinent als das sehen, was er ist: Es gibt nicht nur nach unserer Ansicht, kein einheitliches Afrika, sondern einen Kontinent, der aus vielfältigen einzelnen Ländern besteht und von kultureller, menschlicher und landschaftlicher Diversität geprägt ist. Eine solche erhöhte Sensibilität zeigt auch unseren afrikanischen Partner:innen, dass Europa und die Europäische Union gewillt sind, eine Partnerschaft auf Augenhöhe einzugehen und eben nicht nur an günstigen Ressourcen interessiert sind. Es sind unter anderem auch die Versäumnisse in der historischen Aufarbeitung, die zum ambivalenten Ruf Europas auf dem afrikanischen Kontinent beigetragen haben.

Die Bildungslücken an europäischen Schulen im Hinblick auf den afrikanischen Kontinent müssen geschlossen werden.

Vor diesem Hintergrund fordern wir:

  1. Die EU-Bürger:innen sollen ein stärkeres historisches Bewusstsein für die  Kolonialpolitik und den Kolonialismus sowie die afrikanischen Kulturen entwickeln. Konkret geht es darum, die bestehenden Inhalte der Lehrpläne zu prüfen, um an passenden Stellen Inhalte zu diesen Themen zu ergänzen. Hier sind vor allem die Bildungsministerien der Länder, aber auch z. B. die Universitäten, die den Forschenden Mittel zur Verfügung stellen, gefordert. 
  2. Die EU soll in Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union mehr Austauschprogramme (Schüleraustausch, Studium und Ausbildung, Erasmus+ etc.) anbieten. Wir fordern außerdem, dass für diese Programme mehr finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. 
  3. Die EU soll größere und sicherere Investitionen in Bildungseinrichtungen der Subsahara-Länder und in westafrikanischen Ländern tätigen.
emmelineEuropa und Afrika – Eine Bildungspartnerschaft auf Augenhöhe
Weiterlesen

Mehr Raum für Europa in der Schule

Bundeskongress, 20.10.2023 – 22.10.2023

Mehr Raum für Europa in der Schule

Beschluss im Wortlaut:

2020 haben die Europäische Kommission und die europäischen Bildungsminister:innen das Projekt “Europäischer Bildungsraum” ins Leben gerufen. Damit sollen europaweit vernetzte Bildungssysteme mit vielfältigen Angeboten für Lernende und Lehrende geschaffen werden. Das Projekt, ebenso wie auch das Erasmus+ Programm, betrifft aber in erster Linie die Berufs- und Hochschulbildung. Der schulische Bereich hat dabei das Nachsehen.

Es ist aber der Bereich der formalen Schulbildung, der für alle Kinder und Jugendlichen der Start ihrer Bildungslaufbahn und ein wichtiger Teil ihrer persönlichen Entwicklung ist. Die Schule ist einerseits der Ort, an dem alle jungen Menschen, gleich welchen kulturellen oder sozio-ökonomischen Hintergrund sie haben, zusammenkommen, um den Grundstein für ihre Zukunft zu legen. Andererseits ist die Schule ein Ort, an dem junge Menschen persönlichkeitsprägende Momente, zwischenmenschliche Beziehungen und erste Erfahrungen mit Demokratie erleben. In den Schulen werden aus Kindern und Jugendlichen verantwortungsvolle und kritisch denkende Bürger:innen. Auf dem Weg dahin gilt es, nachhaltig und ganzheitlich ihr Europa-Bewusstsein und ihre Europakompetenz zu stärken. Denn hier kann eine gemeinsame europäische Identität entwickelt werden, die – davon sind wir überzeugt – letztlich auch zum Abbau nationalistischer Tendenzen und kultureller Barrieren, zur Steigerung der Wahlbeteiligung sowie zu mehr Akzeptanz gegenüber Europa führt.

Wir richten uns daher an Entscheidungsträger:innen auf der europäischen Ebene, an Entscheidungsträger:innen in der Bildungspolitik der Länder und insbesondere auch die Kultusministerkonferenz und fordern:

“Gebt Europa in der Schule mehr Raum!”

 

Wir fordern dabei die Berücksichtigung der folgenden Eckpunkte:

1. Europabildung und Europakompetenz müssen in allen Schulformen ankommen.

Dazu müssen die Lehrpläne aller Schulformen bestimmte Mindestinhalte zu Europa enthalten, die zielgruppengerecht didaktisch aufbereitet sind. Europa ist zu wichtig, als dass es sich als “Elitenthema” nur an Schüler:innen richtet, die Abitur machen.

2. Außerschulischen Europa-Projekten mehr Raum geben

Schulen müssen sich nach außen öffnen und mehr europabezogene Workshops, Planspiele oder Exkursionen zulassen. Hierfür sollten sie auch auf externe Expert:innen und Pädagog:innen zurückgreifen, die zielgruppenorientierte Konzepte entwickelt haben. Erfahrungen, die hier gemacht werden, sind mindestens genauso wichtig wie der bloße Wissenserwerb.

3. Europa-Erfahrungen stärken: Internationaler Austausch muss allen offenstehen und inklusiver sein.

Dazu braucht es eine bessere und einfachere Verfügbarkeit von Erasmus+ Förderungen, die verstärkt sozial benachteiligte und politikferne Zielgruppen erreicht. Für solche Zielgruppen sollen eigene Angebote geschaffen werden. Außerdem sollen konkrete Programme für Auslandsaufenthalte geschaffen werden, die vor der Klassenstufe 11 stattfinden. Nur so können auch Schüler:innen erreicht werden, die kein Abitur machen.

4. Europabildung interdisziplinär umsetzen.

Europabildung soll nicht nur im Politik-Unterricht stattfinden. Europa ist ein Querschnittsthema, das in nahezu jedes Schulfach integriert und dort angesprochen werden muss. Dafür benötigt es neben übergreifenden Ansätzen auch eine konkrete Verankerungen in den fächerspezifischen Curricula. Das Thema Europa kann auch aus verschiedenen Blickwinkeln fächerübergreifend an speziellen Projekttagen beleuchtet werden. Schulen sollten angeregt werden, Europa auch in ihre Programme aufzunehmen, um das Thema in die Schulkultur einfließen zu lassen.

5. Netzwerk und Partnerschaften zwischen Schulen in Europa stärken.

Das Ziel sollte sein, dass jede Schule eine Partnerschule im europäischen Ausland hat. Neben Treffen in Präsenz können auch regelmäßige virtuelle “Austauschrunden” zwischen Schüler:innen und auch zwischen Lehrkräften geschaffen werden.”Das zu Erasmus+ gehörende Portal eTwinning ist für letzteres ein gutes Beispiel.

6. Kontroversen und kritische Reflexionen zulassen.

Europabildung muss stets von einem kritischen Denken auf Seiten der Lehrenden und Lernenden begleitet werden. Sie darf weder eurozentristisch noch eine Werbeveranstaltung für die EU und ihre Projekte sein. Schüler:innen sollen zu kritischen Reflexionen über bestimmte Vorgänge angeregt werden und sollen den status quo auch hinterfragen dürfen.

7. Ressourcen für qualitative Europabildung bereitstellen.

Die für schulische Bildung zuständigen Bundesländer müssen konkrete Maßnahmen ergreifen, damit die inhaltlichen Empfehlungen auch reell umgesetzt werden müssen. Dazu zählen entsprechende projektunabhängige Budgets, Anpassungen der Stundentafeln, Garantie von Entlastungsstunden bzw. die Schaffung von entsprechenden Funktionsstellen, aktualisierte Lehrkräfte(fort-)bildung. Die Kommunen sollten über ihre lokalen Büros für Europaaktivitäten, die Europe-Direct-Zentren sowie kommunale bzw. regionale Bildungsbüros ihren Beitrag leisten. Der Bundesebene fällt insbesondere bei der Finanzierung der Kooperation zwischen schulischen und außerschulischen Partner:innen eine wichtige Rolle zu.

Zentrales Instrument ist ein nachhaltiger und planungssicherer Kinder- und Jugendplan (KJP), damit zivilgesellschaftliche Projekte, gerade bei ehrenamtlich getragenen Jugendorganisationen, abgesichert sind. Darüber hinaus braucht es einen Inflationsmechanismus und einen Aufwuchs der Mittel.

Begründung

2024 dürfen bei den Europawahlen in Deutschland erstmals schon 16- und 17-jährige Menschen wählen. Damit steigt die Anzahl der Wahlberechtigten in Deutschland um knapp 2,3 Prozent. Wann, wenn nicht jetzt, müssen wir diese jungen Menschen und kommende Generationen nicht auch mit verstärkter Europabildung in ihrer alltäglichen Umgebung, der Schule, erreichen?

paula2Mehr Raum für Europa in der Schule
Weiterlesen

Europäisch-demokratischer Antifaschismus heißt: Null Toleranz gegenüber einer Normalisierung der AfD

Bundeskongress, 20.10.2023 – 22.10.2023

Europäisch-demokratischer Antifaschismus heißt: Null Toleranz gegenüber einer Normalisierung der AfD

Beschluss im Wortlaut:

Die JEF ist ein überparteilicher und demokratisch-antifaschistischer Jugendverband. Die AfD positioniert sich für die Europawahl im Juni 2024 hingegen als offen faschistische Partei. Sie hat sich in den letzten Jahren äußerst besorgniserregend radikalisiert. Zur Einordnung als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz führte ihre völkische, militante, homophobe und antisemitische sowie rassistische Politik und Gesinnung. Diese hat die AfD in den letzten Jahren normalisiert und salonfähig gemacht.

Gegenüber den Anfangsjahren hat die AfD in letzter Zeit jegliche Hemmungen fallen gelassen. Sie sieht die EU als “nicht reformierbar und als gescheitertes Projekt” an. Den menschengemachten Klimawandel leugnet die AfD nicht nur, sondern spricht darüber hinaus in ihrem Europawahlprogramm von einer “CO2-Hysterie, die unsere Gesellschaft, Kultur und Lebensweise strukturell zerstört”. Die AfD fantasiert von einer “Großmacht Deutschland” und sieht Russland als “in den Krieg gegen die Ukraine getrieben”. Dieser Zustand – zuletzt im Europawahlprogramm 2024 zementiert – ist für uns nicht hinnehmbar.

Daher sehen wir uns sieben Jahre nach unserer ersten Positionierung gegen die AfD und ihre Werte und sechs Jahre nach ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag vor der Europawahl 2024 erneut veranlasst,

1. alle auf dem freiheitlich-demokratischen Boden stehenden politischen Entscheidungsträger:innen auf allen Ebenen zu mahnen und aufzufordern:

– der Normalisierung der AfD und ihren radikal-destruktiven Positionen entgegenzuwirken.

– die Europafeindlichkeit der AfD als das zu bezeichnen, was sie ist: Eine ernst zu nehmende Gefahr für die Fortentwicklung eines demokratischen Europas.

– sich entschlossener und klarer als bislang gegen die AfD zu Normalisierung der AfD positionieren.

– alles in ihrer Macht stehende zu tun, um Abstimmungen zu vermeiden, bei denen die Zustimmung der AfD für die Mehrheit für oder gegen den Antrag entscheidend ist.

2. Bundes- und Landesregierungen aufzufordern, zivilgesellschaftliche Organisationen und Projekte, die sich gegen Nationalismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzen, mit finanziellen Mitteln auszustatten.

3. die Zivilgesellschaft zu ermutigen, sich entschieden gegen die AfD zu positionieren.

Des Weiteren haben Parteien und Politiker:innen, die in der Öffentlichkeit stehen, Grenzüberschreitungen durch die AfD klar zu benennen, zu verurteilen und ihre Gegenpositionen aufzuzeigen. Denn alles, was unkommentiert bleibt, geht in die Normalität über und wird Teil des Sagbaren im alltäglichen politischen Diskurs. Der Ausschluss aus dem öffentlichen Diskurs und das Ignorieren des Problems genügen nicht (mehr). Ständiger Gegenwind muss von allen Seiten geboten werden. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Neonazis und Rechtsextremist:innen im Bundestag, im Europäischen Parlament oder in irgendeinem anderen Volksvertretungsorgansitzen. Denn diese wollen nicht nur ein geeintes Europa verhindern sie sind zugleich darauf ausgerichtet, proeuropäische progressive Vorhaben zu manipulieren und über Jahrzehnte erkämpfte Fortschritte im Prozess der europäischen Einigung zurückzudrehen.

Die vergangenen Jahre haben eindeutig gezeigt, dass eine Vielzahl der AfD-Abgeordneten, unabhängig vom Kommunal- Landes-, bzw. Bundesmandat, für keinen demokratischen politischen Kurs bereit ist. Eine Zusammenarbeit mit der AfD, in welchem Parlament auch immer, darf es aus unserer Sicht nicht geben. Wir verlangen von den demokratischen Parteien und Entscheidungsträger:innen vielmehr: Klare Abgrenzung wo möglich und ein konsequentes Hervorheben und Verurteilen der Menschen- und Europafeindlichkeit der AfD.

Gleichzeitig darf keine Partei und kein Mandatsträger die vereinfachende rechtspopulistische Sprechweise der AfD aufnehmen, insbesondere nicht zu Wahlkampfzwecken. Denn wir sind überzeugt, dass hierdurch das Gegenteil des Beabsichtigten eintreten wird: Die Normalisierung der AfD und ihrer Parolen, sowie ein “Hineinrücken” der AfD in den für immer größere Teile der Bevölkerung akzeptierten Bereich des Wählbaren.

Aber nicht nur Parteien und ihre Mandatsträger:innen sind in der Pflicht: Der demokratische Diskurs, welcher im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stattfindet, muss gestärkt werden. Dazu ist besonders die Förderung einer konstruktiven Diskussionskultur und politische Bildung z.B. innerhalb der Schule wichtig. Politische Bildung und soziale Teilhabe sind in unseren Augen der Schlüssel, um der Radikalisierung in der Parteienlandschaft wie in der Zivilgesellschaft entgegenzuwirken. Dazu sind Organisationen und Projekte, die sich hierfür einsetzen, mit ausreichenden Ressourcen auszustatten. Nur eine mutige und aufgeklärte Zivilgesellschaft mit dem nötigen Rückhalt aus der Politik wird – vor allem mit Blick auf zukünftige zu treffende Wahlentscheidungen – in der Lage sein, die AfD als destruktive Gefahr für die Demokratie, ein geeintes Europa und den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland zu erkennen.

Die aktive Positionierung gegen die Forderungen und Mandatsträger:innen dieser antidemokratischen Partei ist für uns bei allem demokratisch-inklusiven Diskurs nicht verhandelbar. Eine wehrhafte Demokratie verfügt über juristische Mittel, um die Demokratie zu schützen, aber ist vor allem darauf angewiesen, dass die Mitglieder der Gesellschaft diese Mittel auch nutzen und sich aktiv für die Demokratie einsetzen.

Denn Gleichgültigkeit ist die größte Gefahr für eine Demokratie, in welcher sich Rechtsextremismus bis in die Mitte der Gesellschaft ausbreitet. Wir stellen uns als pro-europäischer, demokratischer Jugendverband dem entschieden entgegen.

paula2Europäisch-demokratischer Antifaschismus heißt: Null Toleranz gegenüber einer Normalisierung der AfD
Weiterlesen

Gegen die Chatkontrolle – Europäische digitale Grundrechte sichern

Bundeskongress, 20.10.2023 – 22.10.2023

Gegen die Chatkontrolle – Europäische digitale Grundrechte sichern

Beschluss im Wortlaut:

Vor anderthalb Jahren, im Mai 2022, hat die Europäische Kommission einen Verordnungsentwurf zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (CSAM-Verordnung) eingebracht. Der Entwurf soll demnächst im Trilog-Verfahren verhandelt werden, eine Übergangsregelung ist im August 2023 ausgelaufen.

Worum geht es in der Verordnung?

Die Verordnung richtet sich zum Einen darauf, die Verbreitung und Nutzung von Materialien des sexuellen Kindesmissbrauchs zu bekämpfen, zum anderen auf die Bekämpfung des sogenannten Cyber-Groomings, also der Kontaktaufnahme Erwachsener an Minderjährige mit sexuellen Motiven. Dazu sieht sie verschiedene Schritte vor: Es sollen zentrale nationale Meldestellen eingerichtet werden, alle Anbieter von Messenger-Diensten und Cloud-Services sollen Risikoanalysen durchführen und ggf. risikomindernde Maßnahmen ergreifen und bei bleibend hohem Risiko soll die nationale Behörde die Durchsuchung der versendeten Inhalte auf verdächtige Nachrichten anordnen können. Dies betrifft nicht nur Messenger Dienste, sondern jegliche Form der Online-Kommunikation und -Speicherung, also auch bspw. E-Mail, Videospiele und Onlineforen.

Zur Überprüfung, ob es sich um Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs handelt, sollen jegliche über einen Online-Dienst versandten oder gespeicherten Bilder und Videos mittels eines sogenannten „Hash-Abgleichs” mit einer Datenbank von bekannten Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs abgeglichen werden. Für den Hash-Abgleich wird mittels mathematischer Verfahren aus einer größeren Datei (z.B. einem Bild) eine eindeutige Zeichenfolge erzeugt. Die Ausgangsdatei ist dabei nicht aus der Zeichenfolge rekonstruierbar, aber durch den Abgleich mit gespeicherten Hashes lässt sich feststellen, ob eine bestimmte Datei schon mal erfasst wurde. Um die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung dabei nicht zu durchbrechen, wäre ein sogenanntes Client-Side-Scanning auf dem Handy selbst möglich, was de facto allerdings jegliche Verschlüsselung umgehen würde. Um auch unbekannte Materialien zu finden, verweist der Verordnungsentwurf auf künstliche Intelligenz bei der Überprüfung aller verschickten oder gespeicherten Materialien.

Um Cyber-Grooming zu bekämpfen, wäre es zudem erforderlich, das Alter und ggf. weitere personenbezogene Daten wie Verwandtschaftsgrad oder Wohnort der beteiligten Personen zu erfassen und nicht nur Bilder und Videos, sondern auch Nachrichten und Sprachnachrichten zu überprüfen. Auch für die Prüfung der Nachrichten und Sprachnachrichten würde eine KI zum Einsatz kommen. Jeder Verdachtsfall würde den nationalen Stellen gemeldet werden, individuell von einer Person unter tatsächlichem Zugriff auf die Nachricht geprüft und ggf. ein Strafverfahren eingeleitet werden.

Wozu würde das Gesetz führen?

Die Chatkontrolle soll nur bei hohem Risiko angeordnet werden – realistisch betrachtet, fallen aber praktisch alle Anbieter digitaler Dienste unter die Verordnung, von denen viele mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein werden, das Risiko entscheidend zu senken, darunter auch die großen Anbieter wie Google oder Meta.

Sollte die Verordnung beschlossen werden, würde sie zu umfassender Überwachung jeglicher digitaler Kommunikation führen: Wer schreibt was mit wem, wer macht welche Fotos wo und von was? Das digitale Briefgeheimnis wäre aufgehoben, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller EU-Bürger:innen, die Pressefreiheit, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht der Anbieter auf unternehmerische Freiheit, und sogar die sexuelle Selbstbestimmung der Kinder und Jugendlichen selbst wären massiv eingeschränkt. Insbesondere im digitalen Raum ist Massenüberwachung besonders leicht automatisiert möglich und birgt aufgrund der Speicherbarkeit und Durchsuchbarkeit gravierende Gefahren im Vergleich zu papierbasierter Kommunikation.

Unsere Kritik

Wir halten diese allumfassende verdachtsunabhängige Überwachung für gefährlich und für nicht verhältnismäßig. Wir bekennen uns klar zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch. Dennoch sehen wir in dem Verordnungsentwurf ein erhebliches Missbrauchspotential und halten die genannten Maßnahmen in dieser Form für nicht zielführend. Die Maßnahme ist nicht geeignet, das erklärte Ziel der Bekämpfung der Verbreitung von Materialien zu sexuellem Kindesmissbrauch zu erreichen, sondern bindet für die Strafverfolgung bestätigter Verdachtsfälle dringend notwendige Ressourcen. Dieses gesellschaftliche und sozial vielschichtige Problem kann nicht alleine durch KI gelöst werden! Entscheidend sind dafür die personelle und finanzielle Ausstattung der zuständigen Behörden und zuallererst der Schutz von Kindern und Jugendlichen, sodass sie gar nicht erst zu Opfern sexuellen Missbrauchs werden.

Dafür ist Aufklärung erforderlich, keine Massenüberwachung! Dafür spricht insbesondere, dass sich auch einige Kinderschutzorganisationen und sogar von Missbrauch Betroffene gegen die Verordnung aussprechen.

Nach Auffassung unter anderem verschiedener Sachverständiger, dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags und des Europäischen Parlaments steht die Reichweite des Eingriffs, der im Prinzip eine allgemeine Überwachung ermöglicht – eine Chat-Kontrolle – nicht in einem angemessenen Verhältnis zum erreichten Mehrwert für den Schutz der Rechte der Kinder und anderer Internetnutzer:innen. Es ist gleichzeitig zweifelhaft, inwiefern die automatisierte Abgleichung und die Erkennung neuer Darstellungen überhaupt technisch funktioniert – oder einfach zu einer erhöhten Zahl fehlerhafter Meldungen führt.

Aus diesem Grund positionieren wir uns gegen die Verordnung in ihrer aktuellen Form. Wir lehnen die Einführung einer KI-basierten allgemeinen Chatkontrolle und Alterskontrolle strikt ab.

Forderungen

In diesem Sinne fordern wir als Junge Europäische Föderalist:innen: Dass wir uns erneut zu unserem beim Bundesausschuss vom 30.06. bis 03.07.2022 in Brüssel gefassten Beschluss „Digitale Grundrecht wahren – Keine Chatkontrolle in Europa!“ bekennen.

Dass wir darüber hinaus unsere Netzwerke dafür nutzen, um andere politische Gruppierungen und Politiker:innen für das Thema zu sensibilisieren und sich gegen die geplante Verordnung einzusetzen.

Dass wir außerdem das Thema digitale Rechte stärker in unserer Bildungsarbeit thematisieren und junge Menschen dabei über die Gefahren digitaler Überwachung aufklären.

Dass wir uns zudem mit dem Thema in seiner europäischen Perspektive befassen, insbesondere angesichts der Position Spaniens zum Verordnungsentwurf, in dessen Hauptstadt Madrid auch der diesjährige European Congress stattfinden wird.

Begründung

Die Überwachung digitaler Kommunikation betrifft uns als junge Menschen und letztlich auch uns als europäischen Jugendverband, der sich hauptsächlich digital organisiert und austauscht – in einigen europäischen Ländern könnte diese Überwachung für ehrenamtlich Engagierte sogar gefährlich werden. Die Verordnung sollte ein wichtiges Thema im europäischen Wahlkampf werden, sodass wir uns jetzt positionieren und dagegen werben wollen. Auch wenn die Verordnung klar gegen Grundrechte verstößt und vor dem EuGH in ihrer aktuellen Form keinen Bestand hätte, sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass sie hinterher eingeschränkt wird, sondern vorher aktiv werden!

paula2Gegen die Chatkontrolle – Europäische digitale Grundrechte sichern
Weiterlesen

Für Menschenrechte und Sicherheit an Europas Außengrenzen

Bundeskongress, 20.10.2023 – 22.10.2023

Für Menschenrechte und Sicherheit an Europas Außengrenzen

Beschluss im Wortlaut:

Als Junge Europäische Föderalist:innen Deutschland steht der Schutz von Leben und von Menschenrechten für uns über allen anderen Werten. Die erschreckenden und menschenverachtenden Zustände an Europas Außengrenzen, an denen jedes Jahrtausende unschuldige Menschen zu Tode kommen, erfüllt uns daher mit großer Trauer. Wir setzen uns für ein sofortiges Ende des Leidens und Sterbens an unseren europäischen Land- und Seegrenzen ein.

Gleichzeitig darf sich Europa nicht in eine Spirale der Abhängigkeit von autoritären Regimen begeben, welche unsere Hilfsbereitschaft für ihre eigenen menschenverachtenden Forderungen ausnutzen wollen. Deshalb setzen wir uns für einen humanen, völkerrechts- und gesetzeskonformen Grenzschutz ein, welcher Leben und Menschenrechte schützt, individuelle Asylantragstellung garantiert, sowie geltendes Einwanderungsrecht durchsetzt. Dabei gilt es nicht nur, wie wir bereits 2020 gefordert haben, private Seenotrettungsorganisationen zu entkriminalisieren, sondern auch ein europäisches bzw. staatliches System der Seenotrettung aufzubauen. Es darf nicht Aufgabe privater Seenotrettungsorganisationen sein, international geltende Regelungen umzusetzen. Dabei gilt es, ein europäisches bzw. staatliches System der Seenotrettung aufzubauen, da es nicht Aufgabe privater Seenotrettungsorganisationen sein kann und soll, die Aufgabe international geltende Regelungen der Seenotrettung staatlicherseits auszusetzen, wie die Italiener es 2013 mit “Mare Nostrum” gemacht haben.

In diesem Zuge stellen wir fest, dass die bisherigen gesetzlichen Regelungen (u.a. durch das Dublin Abkommen) als auch das politische Selbstverständnis der Mitgliedstaaten als gemeinsame Union nicht ausreichend sind, um die allgegenwärtigen Realitäten anhand unserer Vorstellungen gerecht zu werden.

Daher lauten die Forderungen der JEF Deutschland:

1. Wir fordern den Aufbau einer eigenständigen europäischen Agentur für Seenotrettung auf den an Europa grenzenden Gewässern. Das Handeln von Frontex in der Seenotrettung zeigt, dass Grenzschutz und Seenotrettung nicht in einer einzigen, Agentur vereint bleiben darf. Stattdessen braucht Europa eine eigenständige, umfassend ausgestattete und ausgebildete Agentur, die sich ohne Interessenkonflikt auf die Seenotrettung an den europäischen Seegrenzen fokussieren kann. Die Arbeit dieser Agentur muss durch zivilgesellschaftliche Akteur:innen transparent einsehbar sein und notfalls rechtlich durchgesetzt werden können.

2. Wir fordern die Umgestaltung von Frontex zu einer transparenten und rechtsstaatlichen Institution. Auch im Grenzschutz weist die Arbeit von Frontex in den vergangenen Jahren schwerwiegende Mängel auf. Menschenrechtswidrige Pushbacks, fragwürdige Mittelverwendung und grassierende Intransparenz sind die traurige Bilanz dieser künstlich aufgeblähten und undemokratisch gestalteten Grenzschutzagentur. Wir fordern die Einrichtung eines institutionellen Kontrollgremiums zur besseren Überwachung und Sanktionierung etwaiger menschenrechtswidriger Vorgehensweisen von Frontex und den eingesetzten Mitgliedstaaten. Dieses soll nicht nur, wie in unserem 2022 verabschiedeten Beschluss “Frontex an die kurze Leine nehmen” gefordert, als unabhängige Ombudsstelle fungieren, sondern auch ein mit der Ausarbeitung von Reformvorschlägen für Frontex betrautes Gremium sein. Es soll jährlich Vorschläge zur demokratischeren und transparenteren Umgestaltung von Frontex erarbeiten und der Europäischen Kommission unterbreiten. Zudem soll es jedem Mitglied des Gremiums freistehen, sich zu den gewonnenen Erkenntnissen zu äußern.

3. Wir fordern das sofortige Ende von illegalen Pushbacks an Europas Außengrenzen, auch unabhängig von der von uns geforderten Umgestaltung von Frontex. Da für uns das Recht auf Leben sowie der Schutz der Menschenrechte über allen anderen Werten stehen, sehen wir keinen Grund, flüchtenden Menschen das Recht auf individuelle Antragstellung zu versagen und sie stattdessen unter Lebensgefahr auf dem Land- oder Seeweg zurückzudrängen. Wir fordern Frontex auf, aktiv für den Schutz von Leben und Menschenrechten an unseren Grenzen zu sorgen.

4. Die beste Seenotrettung hilft nicht, wenn flüchtende Menschen bereits auf dem Weg nach Europa durch autoritäre Regime bedroht werden. Deshalb fordern wir die Überprüfung aller beschlossenen und geplanten Flucht-Abkommen, mit denen wir uns der Verantwortung für Menschen auf der Flucht entziehen wollten. Flucht-Abkommen, welche direkt oder indirekt das Leben und Wohlergehen flüchtender Menschen gefährden, müssen unverzüglich beendet werden. Diese Überprüfung soll in Zusammenarbeit von Politik und Zivilgesellschaft transparent umgesetzt werden. An Stelle der menschenverachtenden Flucht-Abkommen fordern wir die EU auf, die Verantwortung für flüchtende Menschen zu übernehmen. Dazu müssen wir unsere Fluchtpolitik unabhängig von benachbarten Autokratien gestalten.

Neben den bereits genannten Umgestaltungen ist dazu auch der Aufbau einer menschenwürdigen und wirksamen Sicherung unserer Außengrenzen nötig. Denn erst wenn Europa die Kontrolle über seine Grenzen in die eigenen Hände nimmt, können wir der Bestechung und Erpressung durch benachbarteAutokratien standhalten. Die Inhaftierung unschuldiger Menschen, insbesondere von Schwangeren und Minderjährigen, lehnen wir strikt ab.

paula2Für Menschenrechte und Sicherheit an Europas Außengrenzen
Weiterlesen

Hoffnung entfachen, damit Europa Zukunft hat

Bundeskongress, 20.10.2023 – 22.10.2023

Hoffnung entfachen, damit Europa Zukunft hat

Beschluss im Wortlaut:

Europa hat die Wahl. In wenigen Monaten entscheiden die Bürger:innen der EU über die Zusammensetzung des nächsten Europäischen Parlaments. Eine Wahl, die wie keine andere zuvor von einer Vielzahl von Krisen begleitet ist. In ganz Europa gewinnen rechte Kräfte an Macht, die Inflation treibt viele und insbesondere junge Menschen in existentielle Nöte, die Folgen der Klimakatastrophe sind spürbarer denn je und der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der eine Zäsur unserer europäischen Sicherheitsordnung darstellt, wird weiterhin mit menschenverachtender Grausamkeit geführt.

Als sei diese Situation nicht schon ausreichend herausfordernd für junge Menschen, hat die deutsche Bundesregierung angekündigt den Kinder- und Jugendplan, dem Hauptfinanzierungsmittel für den Jugendverbandssektor um knapp 20% zu kürzen. Ein harter Schlag, nicht nur für das tatsächliche Engagement von Jugendverbänden, sondern auch für alle, die sich für eine widerstandsfähige und nachhaltige Demokratie einsetzen. Ganz konkret bedeuten diese Kürzungen, dass das Ehrenamt geschwächt, hauptamtliche Stellen gekürzt werden müssen und dadurch viele sehr greifbare Angebote für Kinder und Jugendliche faktisch nicht mehr oder nur noch in einem stark begrenzten Rahmen stattfinden können. Entfaltungsräume für junge Menschen, internationale Begegnungen, Austausche und Bildungsangebote werden wegfallen oder nur eingeschränkt möglich bleiben. Schon seit Jahren beobachten wir, dass Jugend strukturell zu wenig gefördert wird. Ohne diese Entfaltungsmöglichkeiten fehlt es jungen Menschen an essentiellen Erfahrungen, die maßgeblich für ein demokratisches Verständnis und europäisches Zusammenleben sind. Besonders mit Blick auf den Rechtsruck in Deutschland bedeutet die Kürzung der KJP-Mittel eine bewusste Schwächung der Demokratie und der demokratischen Prinzipien einer freien Entfaltung. Auch ein Jahr nach dem “Europäischen Jahr der Jugend” wird Jugend zwar als Aushängeschild für die Zukunft gehandelt, aber gleichzeitig auf allen Ebenen geschwächt. Dieser Entwicklung stellen wir uns – Schulter an Schulter mit anderen Jugendverbänden in Deutschland und Europa – entschieden entgegen. Die Zukunft braucht Demokratie – braucht Jugend – braucht Förderung. Wird letzteres geschwächt, fällt der erste Stein einer Dominokette, an deren Ende nicht weniger als unsere Zukunft in einem geeinten, friedlichen und demokratischen Europa steht. Die nächste Europawahl ist daher von besonderer Bedeutung für unsere Generation. Denn hier geht es nicht nur um die Art und Weise unseres Zusammenlebens als Gesellschaft, sondern auch, wie wir unsere Zukunft gestalten und in welchem Europa wir zukünftig leben wollen.

Eine der aktuellen Hauptbedrohungen ist der Angriff auf die Demokratie durch immer stärker werdende rechtsextreme und antidemokratische Kräfte, die vermehrt Zuspruch aus den europäischen Gesellschaften erhalten. Nicht nur, aber gerade auch in Deutschland. Wenn in Umfragen eine Partei zweitstärkste Kraft ist, deren Spitzenkandidat Maximilian Krah ein offenkundiger Faschist ist, der den Taliban seinen Respekt ausdrückt, weil diese Kabul im Pride Month erobert haben, und sich offen mit Putins Angriffskrieg solidarisiert, ist es an uns, der demokratischen Zivilgesellschaft, diese Entwicklungen nicht einfach ohnmächtig hinzunehmen. Im Gegenteil! Wir müssen aktiv werden. Denn nur in einem demokratischen System, das unsere Rechte und Freiheiten schützt, können wir Europa formen.

Als Föderalist:innen blicken wir auf eine Verbandsgeschichte zurück, die ihren Ursprung im Widerstand gegen das faschistische Regime in Italien fand. In einer Situation, die wir heute als die dunkelste Stunde Europas bezeichnen, fanden Europäer:innen den Mut, einen Gegenentwurf zu der damaligen Realität aufzustellen – und waren damit erfolgreich. Sie hatten Hoffnung. Hoffnung, dass ein Europa in Frieden möglich ist, Hoffnung, dass Einendes über Trennendes siegt und Hoffnung, dass Krisen überwunden werden können. Diese Hoffnung gilt es heute wiederzufinden. Denn auch wenn wir anderen Krisen gegenüberstehen, so ist es doch an uns, Europa und die europäische Idee immer wieder neu als Gegenentwurf zu den Herausforderungen unserer Zeit zu denken, die föderalistische europäische Idee immer wieder neu zu interpretieren und weiterzudenken. Als überzeugte Europäer:innen wissen wir, diese Hoffnung liegt in einem vereinten Europa. #EurHope ist daher unsere Antwort auf die Krisen unserer Zeit.

Denn seit den 1940er Jahren hat sich viel verändert. Viele der damaligen Forderungen konnten umgesetzt werden. Wir leben in einem Europa, das einen gemeinsamen Binnenmarkt, verlässlichen Standards in vielen Bereichen, Freizügigkeit und regen kulturellen Austausch hat. Dennoch merken wir, dass sich seit dem Vertrag von Lissabon kaum etwas verändert hat. Es fehlt die Innovation, das Weiterdenken. Die aktuellen Verträge geben keine Antwort auf die bevorstehende Erweiterung, obwohl die Menschen auf dem Westbalkan, in der Ukraine, in Moldau und Georgien hoffnungsvoll auf eine Mitgliedschaft in der EU schauen. Europa stagniert. Und genau dieses Gefühl haben besonders junge Menschen. Europa bleibt hinter seinen Versprechungen zurück. Insbesondere in den Ländern, die sich seit Jahren im Integrationsprozess befinden, droht die Hoffnung auf einen EU-Beitritt allmählich in Frustration umzuschlagen. Es bleibt die Erkenntnis, dass die EU unvollendet ist und angesichts der aktuellen Herausforderungen machtlos erscheint. Wir sind es ihnen daher schuldig, weiter zu gehen und Europa immer wieder neu zu definieren, um gemeinsam eine europäische Zukunft bauen zu können .

Im Jahr 2023 sieht sich der europäische Kontinent mit alten und neuen Herausforderungen konfrontiert.

[1] Die Klimakatastrophe ist kein neues Phänomen und doch haben sich in diesem Jahr in bisher nicht dagewesener Form die absehbaren Folgen der menschengemachten Erderwärmung gezeigt: Waldbrände, Überflutungen und Ernteausfälle sind keine Seltenheit mehr.

[2] Die Reformunfähigkeit der EU in der Asyl- und Migrationspolitik ist ebenfalls kein neues Phänomen. Erschreckend ist aber, dass die Mitgliedstaaten der EU in diesem Jahr eine Reform beschlossen haben, die mit den europäischen Werten bricht. Tausenden Geflüchteten an den EU-Außengrenzen, die dort in menschenunwürdigen Auffanglagern isoliert werden, wird somit das Recht auf individuelle Prüfung von Asylanträgen verwehrt. Ein Verstoß gegen eines der fundamentalen Menschenrechte. Stattdessen schließt die Europäische Kommission im Alleingang Deals mit autoritären Staaten wie Tunesien, einem Land, das Menschen auf der Flucht ohne Wasser und Nahrung in der Wüste aussetzt und bereits in der Vergangenheit immer wieder durch illegale Pushbacks im Mittelmeer auffällig wurde.

[3] Die langwierigen und teilweise ausgebremsten Erweiterungsprozesse in den Ländern der östlichen Partnerschaft und des Westbalkans gefährden die pro-europäische Haltung der Menschen in diesen Ländern und werden ihren Anstrengungen für einen EU-Beitritt nicht gerecht. Schlimmstenfalls hat dies eine Abkehr von der EU und eine Hinwendung an Staaten wie Russland oder China zur Folge, die bereits jetzt versuchen, die Enttäuschung über die langwierigen Prozesse für sich zu nutzen.

[4] Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird seit 2014 mit menschenverachtender Brutalität geführt. Die Ukraine wurde zunehmend in die Lage versetzt, Gebiete zu verteidigen und zurückzuerobern. Die Zerstörung von Dörfern und Städten, die Plünderung von ukrainischem Besitz und Kulturgut, die Verschleppungen von Kindern, die Vergewaltigung von Frauen und die Ermordung von ukrainischen Zivilist:innen zeigen, dass mit Putin kein Frieden verhandelt werden kann. Auch seine Unterstützung des Systems in Belarus, wo Maryja Kalesnikawa, Maxim Znak, Ales Bjaljazki und tausende weitere Menschen wegen ihres Traumes von einem Leben in Freiheit und Selbstbestimmung mit Gefängnis, Folter und vielleicht sogar den Tod erleiden müssen, zeigt den Charakter des Putinschen Systems und die Notwendigkeit seines Endes.

[5] Knapp 52 Jahre nach der Einführung der Direktwahl des Europäischen Parlaments leidet die EU weiterhin unter einem massiven Demokratiedefizit. Solange die nationalen Interessen der Mitgliedstaaten vor denen der europäischen Bürger:innen stehen und einzelne Mitgliedstaaten ein Vetorecht besitzen und die ganze EU dadurch lahmlegen können, solange Institutionen wie die Europäische Kommission sich stärker dem Willen nationaler Regierungen verpflichtet fühlt und das Europäische Parlament kein Initiativrecht besitzt, solange kann die Europäische Gemeinschaft nicht vollends zusammenwachsen.

Ohne Hoffnung, keine Zukunft.

Gegen die widrigen Umstände, gegen unsere Angst, setzen wir daher Hoffnung. Denn Hoffnung, so der Friedensnobelpreisträger Vaclav Havel, ist nicht der naive Glaube, dass morgen alles besser wird, sondern das Wissen, dass es etwas gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Sie ist die Überwindung unserer Angst. Und was an ihre Stelle treten soll, ist für uns klar: Unsere Hoffnung ist ein Europa, das Schritt halten kann mit den Veränderungen dieser Welt, ein Europa, das Zukunft schafft.

Deshalb wollen wir jetzt, im Jahr vor den entscheidenden Wahlen auf unserem Kontinent, angesichts der vielen Kräfte, die versuchen, negative Gefühle zu schüren und Spaltungen zu forcieren, einen Gegenentwurf anbieten. Einen Gegenentwurf, der den Menschen in Europa einen anderen Weg in die Zukunft aufzeigt, einen konkreten Weg zur Umgestaltung und Wiederbelebung Europas und seiner Demokratie.

Ein Weg, der damit beginnt, denjenigen zuzuhören, die die Last der Zukunft auf ihren Schultern tragen werden: der Jugend Europas. Im Zeitalter der sozialen Medien sind junge Menschen in besonderem Maße der Desinformation ausgesetzt und wurden von den jüngsten Ereignissen wie Pandemie, Krieg, Inflation und Klimaangst stark beeinflusst. Unser Ziel ist es, den positiven und inklusiven Dialog zwischen jungen Menschen zu stärken, über Grenzen und Sprachbarrieren und soziale Hintergründe hinweg – in all ihrer Vielfalt. Wir werden die politische Debatte wieder auf die Prioritäten der jungen Menschen ausrichten, um ihr Vertrauen wiederherzustellen. Und auch, um mehr Eigenverantwortung zu schaffen und ihre Prioritäten für die Zukunft Europas in den Mittelpunkt unserer Kampagne 2024 zu stellen. Das Spielen mit der Angst und die bewusste Spaltung der Gesellschaft durch rechte Kräfte wollen wir durch eine “Agenda der Hoffnung” ersetzen.

Auf diese Weise werden Europa und Hoffnung wieder denselben Klang haben: EurHope. Heute rufen wir alle jungen Bürger:innen, alle Mitglieder der Zivilgesellschaft, alle Mitgliedstaaten, Städte und Regionen und alle engagierten Organisationen auf, sich dieser Idee der Hoffnung anzuschließen!

Wir rufen dazu auf, Hoffnungsträger:innen zu sein und gemeinsam Hoffnung zu entfachen.

[5] #EurHope für Demokratie: Die Forderung nach einer echten europäischen Demokratie ist kein bloßes Wunschdenken, sondern eine klare Notwendigkeit für ein zukunftsfähiges Europa. Die EU muss endlich entschiedene Schritte zu einer Demokratiereform der Institutionen einleiten. Dazu gehören unter anderem die Einführung eines europäischen Wahlrechts, die Schaffung eines europaweiten Wahlkreises zur Formalisierung des Spitzenkandidatenprinzips, die Einführung des Initiativrechts für das Europäische Parlament sowie die Ersetzung des Einstimmingkeitsprinzips durch Mehrheitsentscheidungen im Rat.

[4] #EurHope für Frieden und Freiheit: Die Europäische Union muss endlich entschlossen zusammenstehen und eine eigenständige, gemeinsame Verteidigungspolitik begründen, nicht als Konkurrenz zur NATO, sondern im Zusammenspiel mit den Verbündeten. Ohne eigenständige europäische Streitkräfte kann die EU nicht mehr glaubwürdig als Garant für Frieden in Europa auftreten. Wir befürworten zudem das Verfolgen von Ansätzen des Konzepts der Feministischen Außenpolitik für die Europäische Union, da dieses die Grundwerte der EU in sich vereint.

[3] #EurHope für Erweiterung: In Anbetracht der möglicherweise jahrzehntelangen Beitrittsprozesse mit Ländern der östlichen Partnerschaft und dem Westbalkan ist es notwendig, dass Beitrittskandidaten bereits vor der Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union eine Teilmitgliedschaft erhalten. So sollte Ländern wie zum Beispiel Albanien bereits vor dem endgültigen Abschluss aller Beitrittskapitel der Zugang zum Binnenmarkt eingeräumt und die Personenfreizügigkeit in der EU eingeräumt werden.

[2] #EurHope für Menschlichkeit und Solidarität: Die Missachtung von Menschenrechten, zu deren Wahrung sich die EU in Artikel 2 ihrer Verträge bekennt, muss von ihr unaufhörlich angeprangert und sanktioniert werden. Zugleich muss die EU aber auch selbst ihrer Pflicht zur Wahrung der Menschenrechte nachkommen, insbesondere an ihren Außengrenzen. Sie darf menschenrechtsverachtende Systeme nicht noch durch bilaterale Deals belohnen. Um das tagtägliche Leid von Geflüchteten an den Außengrenzen der EU zu beenden, braucht es eine tatsächliche Seenotrettungsinitiative von der EU, legale Fluchtwege nach Europa, eine europaweite Koordination zur Unterbringung der Schutzsuchenden und nicht zuletzt ein Europa, das sich als Einwanderungskontinent versteht und eine weltoffene Mentalität, die nicht auf Abschottung und Festungsnarrativen beruht.

[1] #EurHope für einen lebenswerten Planeten: Mit voller Anstrengung die Klimakatastrophe bekämpfen. Die Europäische Union muss sich auf globaler Ebene für Klimagerechtigkeit zwischen den Kontinenten und Regionen der Welt einsetzen. Denn aktuell leiden vor allem Menschen in den Regionen nahe des Äquators unter den Folgen der Klimakatastrophe und können sich aus eigener Kraft häufig nicht weiter helfen, als aus diesen Regionen zu flüchten, weil sie durch Wüstenbildung und Dauererhitzung unbewohnbar werden. Darüber hinaus muss die EU einen Jahrhundertplan aufstellen, um sich bereits jetzt gegen die drohenden dauerhaften Überflutungen aufgrund des Meeresspiegelanstieges im Norden Europas zu wappnen. Nicht zuletzt müssen massive gemeinschaftliche Investitionen in eine nachhaltige und klimaneutrale Wirtschaft und Industrie sowie in energieeffizientes Wohnen und in den Ausbau erneuerbarer Energien getätigt werden, um die globale Erwärmung langfristig so gering wie möglich zu halten.

In diesem Sinne müssen wir Hoffnung entfachen, um die vielfältigen Herausforderungen zu bewältigen und die Zukunft Europas in unseren Händen zu halten. Denn Europa bedeutet für uns Hoffnung! Und zwar nicht weil wir glauben, dass es schon irgendwie gut werden wird, sondern weil wir die Gewissheit haben, das Richtige zu tun, damit Europa eine Zukunft hat.

paula2Hoffnung entfachen, damit Europa Zukunft hat
Weiterlesen

Für Europawahlen nach dem partiellen Tandemsystem – unser Plan B für eine europäische Wahlrechtsreform

Bundeskongress, 20.10.2023 – 22.10.2023

Für Europawahlen nach dem partiellen Tandemsystem – unser Plan B für eine europäische Wahlrechtsreform

Beschluss im Wortlaut:

Aktuelles System der Europawahlen und seine Probleme

Nach dem aktuellen Europawahlrecht gibt es keine gemeinsamen Europawahlen, stattdessen wählen die EU-Bürger:innen mittels 27 nationaler Wahlen ihre Abgeordneten ins Europäische Parlament (EP). Die europäische Perspektive ist dadurch kaum sichtbar, obwohl es europäische Parteien gibt, die auch im Europäischen Parlament zusammenarbeiten. Dadurch spielen europäische Themen auch im Wahlkampf und in der europäischen Politik der nationalen Parteien nur eine untergeordnete Rolle.

Weiterhin trägt auch die degressiv proportionale Sitzverteilung zum Demokratiedefizit der EU bei, d.h. große Mitgliedsländer haben zwar absolut mehr Sitze im EP als kleine, aber relativ zu ihrer Bevölkerung gesehen, sind sie unterrepräsentiert. Dadurch zählt eine Stimme in einem kleinen Land deutlich mehr als in einem großen Land. Somit wird der Gleichheitsgrundsatz als elementarer Grundsatz demokratischer Wahlen verletzt. Die degressive Proportionalität sorgt aber dafür, dass kleine Mitgliedstaaten im EP nicht vollkommen marginalisiert werden können.

Da diese Probleme uns als JEF ein Dorn im Auge sind, unterstützen wir den Vorschlag des EPs für die Einführung transnationaler Listen. Wir müssen aber auch feststellen, dass dieser Reformvorschlag an der fehlenden Einstimmigkeit des Europäischen Rates zu scheitern droht.

Es ist daher nötig, über einen Plan B nachzudenken. Unser Vorschlag ist das partielle Tandemsystem, bei dem nicht alle EU-Mitgliedstaaten sich beteiligen müssen und das nicht durch Vetos einzelner Mitgliedstaaten blockiert werden kann.

Das partielle Tandemsystem – Schritt für Schritt

Oberste Priorität des Tandemsystems hat die Abbildung des gesamteuropäischen Wahlergebnisses. Dafür bilden jeweils alle Mitgliedsparteien einer europäischen Partei über Ländergrenzen hinweg eine transnationale Listenverbindung. Die Wählerin/der Wähler gibt dann einer Listenverbindung ihre/seine Stimme. Alle Wähler:innenstimmen werden zu einem europaweiten Gesamtergebnis zusammengerechnet und mit diesem wird die Sitzverteilung der europäischen Parteien im Europäischen Parlament bestimmt. Diese Parteiensitze müssen dann auf die festgelegten Sitzkontingente der Mitgliedstaaten aufgeteilt werden. Im Folgenden werden diese Schritte genauer erklärt:

Das partielle Tandemsystem ist ein doppelproportionales Wahlrecht, d.h. zwei Sitzverteilungen werden parallel abgebildet. Die eine Sitzverteilung ist das gesamteuropäische Wahlergebnis und die zweite sind die festgelegten Sitzkontingente der Mitgliedstaaten. Für ersteres bilden jeweils alle nationalen Listen einer europäischen Partei oder eines Parteienbündnisses eine transnationale Listenverbindung. Dies ist vergleichbar mit der bisherigen Bildung von Fraktionen im EP, allerdings gibt es für transnationale Listenverbindungen keine Mindestanforderungen. Mehrere nationale Parteien können sich derselben transnationalen Listenverbindung anschließen und mit getrennten Listen antreten, auch wenn sie aus demselben Mitgliedsland kommen. Um unfaire Vorteile zu verhindern, dürfen sich die Mitgliedsparteien einer europäischen Partei nicht auf mehrere transnationale Listenverbindungen aufteilen. Dabei ist es unerheblich, ob die Europäische Partei bereits offiziell von der Behörde für europäische politische Parteien und Stiftungen anerkannt ist oder durch Strukturen und Absprachen bzw. eigenständige Erklärung als solche durch eine zu einzurichtende europäische Wahlleitung zu erkennen ist. Da die transnationalen Listenverbindungen entscheidend für das europäische Gesamtergebnis sind, werden sie vor den nationalen Parteien auf den Wahlzetteln angegeben.

Nach der Wahl erfolgt die Ermittlung der Sitzverteilung in zwei Schritten: Als Erstes wird die gesamteuropäische Sitzverteilung bestimmt. Alle Stimmen aus allen Mitgliedstaaten werden dabei zusammengeführt und entsprechend ihrer europäischen Stimmenanteile erhalten die transnationalen Listenverbindungen Anteile an den Sitzen des Europäischen Parlaments. Alleinstehende nationale Parteien, die die europäische Sperrklausel (mindestens in Höhe der natürlichen Sperrklausel) überwinden, sammeln für die eine technische transnationale Listenverbindung Stimmen. Als Schutz vor Missbrauch werden auch transnationale Listenverbindungen, die über 70% ihrer Stimmen in einem Mitgliedsland bekommen haben, mit all ihren Stimmen der einen technischen transnationalen Listenverbindung zugerechnet.

Im zweiten Schritt wird die europäische Sitzverteilung der Listenverbindungen auf die Mitgliedstaaten unterverteilt. Hier muss nun nach Staaten unterschieden werden, die sich am Tandemsystem beteiligen und solchen die ein Opt-out haben. Für letztere werden die Sitzverteilungen wie bisher rein national bestimmt. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass eine transnationale Listenverbindung in den Opt-out-Ländern bereits mehr Sitze erhalten hat, als ihr europaweit zusteht, wird die gesamteuropäische Sitzverteilung erneut ermittelt unter Ausschluss dieser Listenverbindung und mit den übrig gebliebenen Sitzen. Eine ausgeschlossene Listenverbindung besetzt nur die Sitze, die sie in den Opt-out- Ländern erhalten hat. Solche Überhangmandate gibt es auch mit der derzeitige Rechtslage, das partielle Tandemsystem kann ihre Anzahl stark verringern, aber nur wenn sich alle Mitgliedstaaten beteiligen würden, wären sie gänzlich auszuschließen.

Zuletzt werden die noch offenen Sitze der gesamteuropäischen Sitzverteilung auf die Sitzkontingente der sich beteiligenden Mitgliedsländer verteilt. Diese Unterverteilung erfolgt so, dass die transnationalen Listenverbindungen möglichst dort Sitze erhalten, wo sie auch gewählt wurden. Tritt eine transnationale Listenverbindung in einem Mitgliedsland mit mehreren Parteilisten an, werden die in dem Land gewonnenen Sitze zwischen diesen weiter aufgeteilt. Da die degressive Proportionalität ausgeglichen wird, können nationale Teilergebnisse in den sich beteiligenden Mitgliedsländern nicht perfekt abgebildet werden. Oberste Priorität hat die Abbildung des europäischen Gesamtergebnisses. Die nationalen Sitzkontingente werden damit faktisch zu Quoten degradiert, die keinen Einfluss mehr auf die Zusammensetzung des europäischen Parlaments bezogen auf die europäischen Parteien haben.

Das Tandemsystem ist flexibel und kann beispielsweise um feste Geschlechterquoten erweitert werden (bei Teilnahme aller Mitgliedstaaten), sodass kein Geschlecht unter den Mitgliedern des EPs, den Sitzkontingenten der Mitgliedstaaten und der einzelnen europäischen Parteifamilien überproportional vertreten ist.

Unterstützend zur Durchführung des Tandemsystems sollte eine europäische Wahlleitung eingerichtet werden. Die staatliche Wahlkampferstattung sollte auf europäischer Ebene erfolgen, da alle Stimmen europaweit gleichwertig sind.

Das partielle Tandemsystem ist der beste Kompromiss zwischen Umsetzbarkeit, dem Prinzip der degressiven Proportionalität und dem Grundsatz der Wahlgleichheit und verbessert somit die Legitimation des Europäischen Parlaments.

Zusammenfassung: Welche Vorteile hat das partielle Tandemsystem?

  • Eine Wahl für ein geeintes Europa
  • Der demokratische Grundsatz der Stimmengleichheit wird endlich erfüllt – One person = One vote
  • Kleine Mitgliedstaaten bleiben garantiert relevant vertreten – Keine Marginalisierung
  • Europäische Parteien treten in den Vordergrund
  • Europäische statt nationale Themen bestimmen die Wahl
  • Durch gesamteuropäische Umfragen europäisiert sich die Berichterstattung
  • Minimaler Eingriff in bisheriges nationales Wahlrecht
  • Alle nationalen Parteien können innerhalb ihrer Listenverbindung mit eigener Liste antreten
  • Eine simple Wahl – Die Wähler:innen setzen nur ein Kreuz
  • Stärkt das Spitzenkandidat:innenprinzip

Forderungen

Wir fordern die Mitgliedstaaten, insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, auf, das partielle Tandemsystem umzusetzen. Das partielle Tandemsystem würde maßgeblich zu dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel eines einheitlichen europäischen Wahlrechts auf dem Weg der Weiterentwicklung der Europäischen Union zu einem föderalen Bundesstaat beitragen.

Wir fordern das Europäische Parlament auf, sich eindeutig zum Tandemsystem zu bekennen und die Umsetzung in den Mitgliedstaaten aktiv zu fördern.

Wir fordern den Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament auf, den europäischen Direktwahlakt zu ändern und das partielle Tandemsystem mit Opt-outs einzuführen. Sollten Mitgliedstaaten trotz Opt-out die Reform blockieren, sollte auch eine Einführung am Rat vorbei mittels zwischenstaatlichen Vertrags ins Auge gefasst werden. Dieser Vertrag würde dazu dienen, die nationalen Europawahlgesetze koordiniert im Sinne des partiellen Tandemsystems anzupassenund eine europäische Wahlleitung außerhalb der EU-Institutionen einzurichten.

Begründung

Die JEF Deutschland sollte das partielle Tandemsystem unterstützen, da es ein effektives Mittel sein kann, die europäische Perspektive bei Europawahlen zu stärken. Es ist durch die partielle Umsetzbarkeit ein Ziel, das wirklich von uns erreicht werden kann. Dieses doppelproportionale Wahlrecht steht auch in keinem Widerspruch zu anderen Vorschlägen der JEF, wie beispielsweise transnationalen Listen, sondern könnte deren Einführung sogar erleichtern, denn die Bindung nationaler Parteien zu bisher rein nationalen Europawahlen wird aufgeweicht. Für die Wählenden ist das Tandemsystem es sogar einfacher, da sie wie bisher ein Kreuz setzen und kein zweites für eine transnationale Liste. Der Aufbau der Wahlzettel ändert sich nicht, es stehen jetzt nur die Listenverbindungen der Europaparteien auf ihnen, weil wir diese wählen.

Die Idee des Tandemsystems ist nicht neu, wir können auf der Arbeit von Expert:innen und Erfahrungen aus Gebieten mit ihm aufbauen. 2006 führte der Kanton Zürich dieses Wahlrecht ein, nachdem das bisherige Verhältniswahlrecht mit Wahlkreisen zu großen Verzerrungen bei Wahlen geführt hatte und das Schweizer Bundesgericht es wegen des Bruchs des Wahlgleichheitsgrundsatzes als verfassungswidrig aburteilte.

Prof. Pukelsheim, der den Kanton maßgeblich an der Ausarbeitung des neuen Wahlrechts unterstützt hat, und Jo Leinen, Vorsitzender des Ausschusses für konstitutionelle Fragen 2004-2009, stellen in einem Aufsatz dar, wie das Tandemsystem auf europäischer Ebene umgesetzt werden kann (https://mip.pruf.hhu.de/article/view/353/370). Allerdings gehen sie nicht auf die Möglichkeit ein, das Tandemsystem nur partiell einzuführen.

Im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas haben Olivier Costa (Director of Studies at the European Political and Governance Studies Department of the College of Europe) und Pierre Jouvenat (UEF) im College of Europe Policy Brief #2.21 auch für die Einführung des doppelproportionalen Verhältniswahlrechts plädiert, da sie die Akzeptanz für die Einführung als hoch einschätzen. (abrufbar unter: https://www.coleurope.eu/system/files_force/research-paper/cepob-cofoe_2-21_costa_jouvenat_en.pdf?download=1)

Am 30.08.2023 haben wir ein Expertengespräch mit Prof. Pukelsheim und Prof. Meinel veranstaltet. Dabei konnten JEFer:innen aus ganz Deutschland Fragen stellen. Wir haben aus dem Gespräch mitgenommen, dass im besten Fall alle Mitgliedstaaten sich am Tandemsystem beteiligen sollten und auch dass die Nennung der Europaparteien auf den deutschen Wahlzetteln ein wichtiger erster Schritt sei. Eine Einführung am Europäischen Rat vorbei sei schwierig juristisch einzuschätzen. Dieser Weg sei in den europäischen Verträgen nicht vorgesehen, aber den Mitgliedstaaten würde bei ihren nationalen Europawahlgesetzen viel Spielraum zugestanden. Ein großer Vorteil des Tandemsystems sei, dass die europäischen Parteien in ihrer Vielfalt an Mitgliedsparteien an den Wahlen teilnehmen könnten.

Das Tandemsystem lässt sich am besten an einem einfachen Beispiel erklären:

Unsere vereinfachte EU besteht aus drei Ländern, die die großen, mittleren und kleinen Mitgliedstaaten repräsentieren, und zur Wahl treten drei Europaparteien an. Bisher werden den Parteienfamilien die Sitze im EP auf Basis ihrer nationalen Wahlergebnisse zugeteilt, beispielsweise erhält Partei A in den großen Mitgliedstaaten 135 der 360 Sitze, weil sie 45 der 120 Mio. Stimmen für sich gewinnen konnte.

Priorität hat die Abbildung des nationalen Wähler:innenwillens vor der Abbildung des europäischen Wähler:innenwillens, denn die europäische Sitzverteilung passt nur ungefähr zur Verteilung aller Stimmen. Mit dem „kompletten“ Tandemsystem dreht sich das um, d.h. wir ermitteln erst das europäische Gesamtergebnis und verteilen dieses so gut wie möglich auf die Mitgliedsländer:

Dabei müssen wenige Sitze, insbesondere in den Ländern wo sie nur knapp an eine Partei gehen würden, umverteilt werden (oft in den großen Mitgliedsländern). Priorität hat die Abbildung des europäischen Wähler:innenwillens vor der Abbildung des nationalen Wähler:innenwillens.

Das partielle Tandemsystem unterscheidet sich dann vom „kompletten“ dadurch, dass Mitgliedstaaten eine Opt-Out-Option gewährt werden kann, d.h. diese Mitgliedstaaten verteilen wie bisher ihre Sitze nach ihren nationalen Wahlergebnissen, während die sich beteiligenden dafür sorgen, dass europäische Gesamtergebnis stimmt. In unserem Beispiel beteiligen sich nur die großen Mitgliedsländer am Ausgleichsmechanismus:

Es ist immer erstrebenswert, dass sich möglichst viele Mitgliedstaaten beteiligen, damit der Ausgleich nicht durch wenige geschultert werden muss. Gleichzeitig ermöglicht diese Opt-Out-Möglichkeit, dass wir nicht auf das letzte Land warten müssen, um eine effektive Wahlrechtsreform durchzusetzen.

Wäre bei der Europawahl 2019 das partielle Tandemsystem genutzt worden, hätte sich eine Sitzverteilung ergeben können, wie sie auf der folgenden Seite zu finden ist (Bild nicht einfügbar). Der Rechner, mit dem dieses Ergebnis bestimmt wurde, kann unter https://hoffmanncl.shinyapps.io/PartialTandem/ aufgerufen werden. (Nur 25h pro Monat nutzbar, bitte sparsam benutzen. Ergebnisse können über den pdf-Drucker des Browsers abgespeichert werden. Keine mobile Ansicht verfügbar, bitte nur an einem Desktop-Gerät aufrufen.)

paula2Für Europawahlen nach dem partiellen Tandemsystem – unser Plan B für eine europäische Wahlrechtsreform
Weiterlesen

Hamas Terror verurteilen, Eskalation verhindern, Jüdisches Leben verteidigen

Bundeskongress, 20.10.2023 – 22.10.2023

Hamas Terror verurteilen, Eskalation verhindern, Jüdisches Leben verteidigen

Beschluss im Wortlaut:

Der terroristische Angriff der Hamas auf Israel ist eine Zäsur. Wer Zivilist:innen ermordet, entführt und vergewaltigt, ist niemals im Recht. Die akut entfachte Gewaltspirale im Nahen Osten hat allein die Hamas zu verantworten. Als Junge Europäische Föderalist:innen sind wir zutiefst betroffen über das Leid, das den Menschen in Nahost widerfährt.

Israel hat nie zuvor eine derart menschenverachtende Gewalt und Brutalität erleben müssen. Dieser schreckliche Tag hat die höchste Zahl jüdischer Opfer seit der Existenz des Staates Israel zur Folge gehabt. Wir, als Junge Europäische Föderalist:innen, stehen solidarisch an der Seite Israels. Den Menschen dort gilt unser Mitgefühl und wir verurteilen diesen Akt des Terrors aufs Schärfste. Das Bekenntnis zur Existenz Israels gilt uneingeschränkt. Deutschland trägt hier eine besondere historische Verantwortung gegenüber allen Jüd:innen.

Der Angriff der Hamas gibt Israel das Recht, die eigenen Bürger:innen und das eigene Territorium – auch militärisch – zu verteidigen. Das humanitäre Völkerrecht bildet dabei den Rahmen zum Schutz unschuldiger Zivilist:innen in Israel und im Gazastreifen. Die umfassende Blockade des Gazastreifens überschreitet diesen Rahmen.

Die Hamas opfert mit ihrem Angriff bewusst das Leben der palästinensischen Bevölkerung zur Durchsetzung ihrer eigenen Ideologie des Hasses. Sie streben nicht weniger als die Vernichtung des Staates Israel sowie aller Jüdinnen und Juden auf der Welt an. Sie werden darin durch weitere antizionistische und antisemitische Akteur:innen unterstützt.

Vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden humanitären Katastrophe im Gazastreifen steht die Europäische Union in der Verantwortung in enger Abstimmung mit ihren Partnern auf die Einrichtung sicherer Fluchtkorridore und gezielter humanitärer Unterstützung zu dringen. Ziel der diplomatischen Bemühungen muss es sein, durch einen Dialog mit den Kriegsparteien eine weitere Eskalation der Kriegshandlungen zu verhindern und eine Waffenruhe zur Durchsetzung humanitärer Grundvoraussetzungen zu erreichen.

Wir verurteilen die neue Dimension antisemitischer Übergriffe in Deutschland. Es darf uns nicht kaltlassen, wenn Jüd:innen wieder Angst haben, in Deutschland auf die Straße zu gehen und ihren Glauben in Freiheit zu leben. Wir sehen, wie Mitbürger:innen den Terror der Hamas öffentlich verharmlosen und verherrlichen, die Ermordung unschuldiger Zivilist:innen feiern und den Staat Israel in seiner Existenz in Frage stellen. Es braucht das entschiedene Handeln des Rechtsstaats, genauso wie eine Zivilgesellschaft, die allen Formen von Antisemitismus entschieden entgegentritt.

Wir müssen jetzt in Deutschland und Europa zusammenhalten: Für ein friedliches Miteinander, auf der Grundlage unserer gemeinsamen europäischen Werte. Als Demokrat:innen stehen wir für ein klares Wertefundament. Wir wenden uns entschieden gegen jede Form des Missbrauchs des Rechts auf Meinungsfreiheit zu ideologischen Zwecken. Es gilt auch hier: Antisemitismus, Rassismus sowie jede weitere Form der Diskriminierung sind keine Meinung, sondern als Straftaten zu verfolgen.

Lasst uns gemeinsam ein Zeichen dafür setzen, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in unserem Land entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus, Terrorismus und Hass eintritt und sich solidarisch mit Israel und der unschuldigen Bevölkerung in Gaza zeigt.

Dies vorausgeschickt, fordern wir darüber hinaus:

1. Die unverzügliche und bedingungslose Freilassung aller durch die Hamas verschleppten Geiseln.

2. Die Zerschlagung der terroristischen Vereinigung Hamas.

3. Humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen und darüber hinaus, wobei sichergestellt werden muss, dass mit EU-Mitteln weder direkt noch indirekt Terrorismus finanziert wird.

4. Eine unabhängige Untersuchung und Aufklärung angesichts der vielen zivilen Toten.

5. Eine umfassende Aufklärung bezüglich der Rolle, die Iran und anderen Ländern wie Katar und Russland bei der Finanzierung und Unterstützung des Terrorismus in der Region zukommt; im Fall einer nachweisbaren Unterstützung muss die EU Sanktionen gegen die Verantwortlichen erwirken.

6. Betreiber:innen von sozialen Netzwerken in die Pflicht zu nehmen, intensiv gegen die massive Desinformation und Hassrede, die im Internet in diesem Zusammenhang verbreitet wird, vorzugehen, was auch durch EU-Recht vorgeschrieben ist.

7. Im Kontext der zunehmenden antisemitischen Reden, Kundgebungen und Angriffe, die sich seit Beginn der Terroranschläge durch die Hamas gegen jüdische Menschen richten, rufen wir die EU und all ihre Mitgliedstaaten dazu auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit für jüdisches Leben zu gewährleisten.

Ergänzend fordert der Bundeskongress den Bundesvorstand und alle Landesverbände auf, sich verbandsintern vertieft mit den komplexen Dynamiken des Nahostkonflikts und der Verantwortung von Europa auseinanderzusetzen.

paula2Hamas Terror verurteilen, Eskalation verhindern, Jüdisches Leben verteidigen
Weiterlesen