Bundesausschuss, Dezember 2024
PUBLIC HEALTH EUROPÄISCH ORGANISIEREN
Beschluss im Wortlaut:
Im Zuge der Coronapandemie erließ die Europäische Union (EU) zahlreiche Maßnahmen, um die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Implikationen der Coronakrise zu minimieren. Während es der EU gelungen ist, die unvollständige Architektur der Eurozone weiterzuschließen, gab es im Bereich der Gesundheitspolitik weniger Fortschritte. Die EU-Gesundheitspolitik umfasst dabei mehrere Elemente. Für diesen Antrag liegt der Begriff der öffentlichen Gesundheitspolitik der EU von Greer (2014) zugrunde. Dieser gliedert die
öffentliche Gesundheitspolitik der EU in drei Bereiche: 1. Die explizite gesundheitsfokussierte Politik, worunter z.B. der öffentliche Gesundheitsschutz zählt, 2. Market-Making und Regulationspolitik und schließlich 3. Fiskalische Governance. Der vorliegende Antrag wird sich nur auf den ersten Aspekt des EU-Gesundheitspolitik fokussieren.
Im Bereich der direkten Gesundheitspolitik sind die Kompetenzen der EU weiterhin marginal ausgeprägt. Zu Beginn der Pandemie besaß die Union über Art. 2 IV i.V.m. Art. 4 II k) AEUV und Art. 6 a) AEUV bzw. Art. 168 AEUV im Grundsatz nur eine Unterstützungs- und Koordinationsrolle, was konkret bedeutet, dass die Union z.B. einen Dialog zwischen den Mitgliedstaaten einleiten konnte. Eigene Maßnahmen waren auf Aufklärungs- und Präventionskampagnen sowie Forschung beschränkt. Neben der schwachen Rolle im Gesundheitsbereich besaß die EU ebenfalls eine „schwache Ausstattung“ an Ressourcen im Vergleich zum amerikanischen CDC. Hierbei ist z.B. gemeint, dass der ECDC im Vergleich zum amerikanischen Äquivalent mit einem relativ kleinen Budget von 60 Millionen Euro und nur einem Bruchteil der Mitgliederzahl ausgestattet war.
Die Folge: Der Ausbruch von Corona konnte in Europa nicht verhindert bzw. eingedämmt werden. Mehr als eine Millionen Europäer: innen bezahlten dafür mit ihrem Leben. Leider hat sich bei der institutionellen Unvollständigkeit der direkten EU-Gesundheitspolitik seit der Coronakrise grundsätzlich nicht viel geändert. Hierbei vertreten wir das zentrale Argument, dass wir in der gesamten EU einheitliche Mindeststandards (Überwachung, Impfung, Testung, Nachverfolgung etc.) brauchen, um die EU als Ganzes schützen zu können. Daher fordern wir ganz konkret, um die europäische Gesundheitsgovernance zu verbessern:
- Wir fordern, dass die Empfehlungen an Mitgliedstaaten bei Gesundheitsnotfällen einen verpflichtenden Charakter bekommen. Durch die im November 2022 verabschiedete Verordnung zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren kann die EU Gesundheitsnotfälle erklären und nationale Notfallpläne überprüfen. Die EU kann dann durch die ECDC unverbindliche Empfehlungen aussprechen. Das gleiche gilt für die neuen Aufgaben der EMA. Die Agentur ist jetzt auch für die Überwachung und Bekämpfung von Engpässen bei medizinischen Gütern bei Notfallsituationen zuständig. Leider kann sie nur unverbindliche Empfehlungen aussprechen. Wir fordern hierbei ebenso, dass die EMA Empfehlungen mit einem verpflichteten Charakter erlassen kann.
- Wir fordern, dass das Health Crisis Board im Rahmen der HERA gestrichen wird. Die EU-Kommission muss bei diesem Thema unabhängiger von den Mitgliedstaaten werden. Durch das Health Crisis Board kriegen die Mitgliedstaaten eine zusätzliche Einflussmöglichkeit bei der Entscheidungsfindung.
- Wir fordern einen schnelleren und umfangreicheren Austausch von Daten. Zwar
haben die Mitgliedstaaten durch die Verordnung zu grenzüberschreitenden
Gesundheitsgefahren und die Stärkung des Mandats des ECDC mittlerweile
Meldepflichten gegenüber dem ECDC, allerdings fehlt in der Verordnung eine
Pflicht, dass die Daten schnell übermittelt werden müssen. Diese Daten müssen
auch in einer standardisierten Form bei der ECDC ankommen, sonst dauert es zu lange bis der ECDC angemessene Handlungsempfehlungen für die Mitgliedstaaten
erstellen kann. - Wir fordern, dass die EU das Gesundheitsprogramm „EU4Health“ sowie den
Europäischen Struktur- und Investitionsfond (ESI-Fonds) stärker zusammen denken
soll. Die EU sollte identifizieren, welcher Investitionsbedarf im Gesundheitsbereich existiert und die Mitgliedsländer darauf aufmerksam machen. Anschließend sollte die EU bei der Einreichung von Förderanträgen und bei der Verflechtung von verschiedenen Förderinstrumenten unterstützen. Letzteres ist notwendig, da etwa die EU4Health-Projekte wenige bis keine Querbezüge zu dem ebenfalls für die öffentliche Gesundheit und Gesundheitsversorgung relevanten Europäischen Struktur- und Investitionsfonds aufweisen. - Die EU muss eine Strategie (Empfehlungen und Investitionsanreize) entwickeln,
um die unterschiedliche Qualität der Gesundheitssysteme zwischen den
Mitgliedstaaten anzugleichen, ohne dabei den primärrechtlichen Rahmen zu sprengen. Das heißt, die ausgearbeiteten Empfehlungen haben einen
unverbindlichen Charakter. Hier gilt der Grundsatz: Die EU ist in der Bekämpfung
von Gesundheitsbedrohungen nur so stark wie ihre schwächsten Mitgliedstaaten und Regionen. - Zwar ist eine primärrechtliche Vertragsänderung gerade nicht das wichtigste
Problem. Allerdings fordern wir mittelfristig, dass die EU-Gesundheitspolitik
auf eine solidere Rechtsgrundlage gestellt wird. Konkret heißt das: Die Gesundheitspolitik muss eine geteilte Kompetenz nach Art. 4 AEUV werden.
beschlossen beim Bundesausschuss im Dezember 2024