POSITIONIERUNG DER JEF DEUTSCHLAND ZUM PAKT ZU ASYL UND MIGRATION

Bundeskongress, 05.10.24

POSITIONIERUNG DER JEF DEUTSCHLAND ZUM PAKT ZU ASYL UND MIGRATION

Beschluss im Wortlaut:

Als überparteilicher Jugendverband, der sich für ein offenes, werteorientiertes und tolerantes Europa einsetzt, möchten wir erneut unsere ausdrückliche Besorgnis über die menschenrechtliche Lage an den EU-Außengrenzen zum Ausdruck bringen. Der Umgang der Europäischen Union mit geflüchteten Menschen entspricht nicht unserem Anspruch an ein Europa, das dafür steht, nationalstaatliche Grenzen zu überwinden und sich für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. Dieses Missverhältnis, zu dem wir bereits bei unserem letzten Bundeskongress Stellung genommen haben[1], kommt insbesondere in dem im April vom Europäischen Parlament beschlossenen Pakt zu Asyl und Migration zum Ausdruck.

Fakt ist, dass Migration eine Normalität und eine kulturelle sowie wirtschaftliche Bereicherung der Europäischen Union ist[2]. Trotz dieser Erkenntnis erklären die Kommission, die Regierungen in den Mitgliedstaaten und eine Mehrheit des Europäischen Parlaments seit Jahren nicht die unübersehbaren Defizite des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, sondern die geflüchteten Menschen selbst zum Problem. Anstatt eine funktionsfähige Alternative zum Dublin-Verfahren zu beschließen, werden immer größere Anstrengungen unternommen, die Einreise für schutzsuchende Menschen unverhältnismäßig zu erschweren und somit Asylgesuche an oftmals lebensgefährliche Fluchtrouten koppelt. 

Insbesondere möchten wir als JEF Deutschland unsere klare Positionierung zu folgenden Punkten des Pakts zu Asyl und Migration zum Ausdruck bringen: 

  1. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein individuelles, faires und menschenwürdiges Asylverfahren. Das neue verpflichtende „Grenzverfahren“ sieht die Internierung von Menschen aus bestimmten Herkunftsstaaten, darunter Familien mit Kindern, in haftähnlichen Zuständen an der Außengrenze und die Durchführung eines Asylverfahrens in zwölf Wochen vor. Dies widerspricht diesem fundamentalen Recht zutiefst. Insbesondere verurteilen wir auch die mögliche Ausweitung des Grenzverfahrens auf Asylsuchende aller Nationalitäten in Krisenfällen sowie das Fehlen einer rechtlichen Möglichkeit, sich gegen die Einstufung in das Grenzverfahren zu wehren. 
  2. Wir begrüßen den Ansatz, dass nicht nur die Ankunftsländer, sondern alle Mitgliedstaaten der EU Verantwortung für Asylsuchende übernehmen sollen. Eine nachhaltige Lösung muss jedoch der angespannten Lage an den EU-Außengrenzen Rechnung tragen und echte Solidarität mit Geflüchteten und den Ankunftsstaaten zum Ausdruck bringen. Dies kann nicht gewährleistet werden, wenn Mitgliedstaaten sich durch Investitionen in besseren Grenzschutz von der Aufnahme Asylsuchender freikaufen können und das Dubliner Prinzip beibehalten wird, wonach der Erstankunftsstaat grundsätzlich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig bleibt. Auch die Mindestzahl von 30.000 Übernahmen von Geflüchteten pro Jahr trägt der angespannten Lage an den Außengrenzen nicht ausreichend Rechnung. 
  3. Die Lockerung der Kriterien für sogenannte sichere Drittstaaten und das Fehlen von konkreten Kriterien für Staaten, in die Geflüchtete abgeschoben werden dürfen, verurteilen wir aufs Schärfste. Anstatt zu prüfen, ob legitime Gründe vorliegen, einen Flüchtlingsschutz zu gewähren, werden Menschen in Staaten abgeschoben, in die ihre Sicherheit nicht gewährleistet ist. Dies unterminiert den Schutzanspruch von Verfolgten.
  4. Die Aufnahme von Millionen schutzsuchender Menschen aus der Ukraine hat gezeigt, dass die EU dazu in der Lage ist, würdig, effektiv und solidarisch mit geflüchteten Menschen umzugehen. Wir fordern den gleichen politischen Willen auch für die Aufnahme von Menschen aus allen anderen Teilen der Welt. Ethnische Kriterien dürfen hier keine Rolle spielen.
  5. Die Ideale eines vereinten Europas machen nicht an unseren Außengrenzen halt. Die Fortschritte, die wir im Bereich der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für die europäischen Bürger:innen erreicht haben, sind nur dann nachhaltig und glaubhaft, wenn sie inklusiv und konsequent umgesetzt werden. Eine Abschottung der EU nach Innen wie nach Außen hin verurteilen wir aufs Schärfste. 
  6. Wir fordern ein Europa, das sich auch international für Demokratie und die Wahrung von Menschenrechten einsetzt. Dies kann nur dann glaubhaft geschehen, wenn die EU bereit ist, ihre moralischen Standards selbst umzusetzen. Die aktuelle europäische Grenzpolitik beschädigt nicht nur die internationale Integrität und Glaubwürdigkeit Europas, sondern wird auf Kosten huminatärer Mindeststandards für schutzsuchende Menschen betrieben.
  7. Als JEF Deutschland stehen wir für die Vision eines geeinten Europa, das für alle Menschen offen ist und in dem die Rechte aller Menschen, egal ob Unionsbürger:innen oder nicht, gleichermaßen geachtet und geschützt werden. 

[1]https://www.jef.de/dokumente/fuer-menschenrechte-und-sicherheit-an-europas-aussengrenzen/

[2]https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:85ff8b4f-ff13-11ea-b44f-

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OFFENE GRENZEN STATT SCHLAGBÄUME: GEGEN DIE POLITISCHE INSTRUMENTALISIERUNG VON SCHENGEN

Bundeskongress, 05.10.2024

OFFENE GRENZEN STATT SCHLAGBÄUME: GEGEN DIE POLITISCHE INSTRUMENTALISIERUNG VON SCHENGEN

Beschluss im Wortlaut:

Der 16. September 2024 markiert einen neuen Tiefpunkt der deutschen Europapolitik. Mit der Einführung von Grenzkontrollen an sämtlichen deutschen Außengrenzen greift die Bundesregierung die Freizügigkeit als eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union an.

Von Beginn an stand im Zentrum des im kommenden Jahr seit vierzig Jahren geltenden Schengener Grenzkodexes der fundamentale Grundsatz, dass die Freizügigkeit innerhalb der EU ein grundlegendes Prinzip darstellt, das nur in Ausnahmefällen eingeschränkt werden darf. Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen sollten demnach lediglich als letztes Mittel in besonderen Situationen eingesetzt werden.

Spätestens seit der sogenannten “Flüchtlingskrise” von 2015 ist dieser Grundpfeiler jedoch durch das Vorgehen der Mitgliedstaaten nicht mehr wiederzuerkennen: Unter Verweis auf immer neue Bedrohungslagen werden Grenzkontrollen regelmäßig wieder eingeführt und verlängert. Auch wenn es im Einzelfall durchaus legitime Gründe geben mag, so drängt sich doch in vielen Fällen der Eindruck auf, dass gezielt nach Vorwänden gesucht wurde und wird, um Grenzkontrollen zu rechtfertigen. Auch die im Zuge der COVID-19-Pandemie umfassend erfolgten Schließungen der Binnengrenzen führten zu einer weiteren Relativierung des Grundsatzes der offenen Grenzen und Freizügigkeit. Unter anderem aufgrund dieser neuen Herausforderungen wurde im Mai 2024 der Schengener Grenzkodex aktualisiert.

Wir beobachten, dass die Aktualisierung des Kodex aus dem Jahr 2024 nichts daran ändert, dass es häufig an einer klaren Relation zwischen Anlass und Umfang der Kontrollen sowie an einer fundierten Begründung des Bedarfs mangelt.

Diese Praxis steht im klaren Widerspruch zu den Bestimmungen des Kodexes, der Grenzkontrollen nur „unter außergewöhnlichen Umständen“, als „letztes Mittel“ und nur in dem Maße erlaubt, wie es „zur Bewältigung der ernsthaften Bedrohung unbedingt erforderlich ist“ (Art. 25 Abs. 1 und 2). Diese Vorgaben werden durch die Mitgliedstaaten systematisch missachtet.

Spätestens seit dem 16. September 2024 reiht sich auch Deutschland ein in die Staaten, die sowohl den Geist, als auch die rechtlichen Grenzen des Kodexes systematisch missachten. Und das unter Applaus von Rechtsextremist:innen sowie Populist:innen auf nationaler wie internationaler Ebene.

Angesichts dieser Entwicklungen und Trends, die wir jüngst vor allem – aber nicht nur – in Deutschland beobachten, sind wir als Junge Europäische Föderalist:innen Deutschland besorgt darüber, wie fahrlässig mit einer der größten Errungenschaften Europas umgegangen wird. Wir nehmen nicht hin, dass der Stellenwert des Schengener Grenzkodexes durch politische Entscheidungsträger:innen zunehmend verwässert und zum politischen Spielball gemacht wird!

Anknüpfend an unsere bereits 2016 gestartete Aktion #Don’tTouchMySchengen und unsere Beschlüsse zur Stärkung des Schengenraums aus den Jahren 2016 und 2019 stellen wir mit aller Deutlichkeit fest:

  1. Die in Deutschland angeordneten Grenzkontrollen sind populistische Symbolpolitik. Derzeit dienen die Kontrollen an den Binnengrenzen – insbesondere in Deutschland – dazu, den Anschein von Handlungsfähigkeit zu wahren. Die Gewerkschaft der Polizei stellt selbst nach wenigen Tagen frühzeitig als erstes Zwischenfazit fest, dass sie kaum ihre vorprognostizierte Wirkung zeigen. Mit den Kontrollen oder Forderungen nach ihnen will man dem gesellschaftlichen Druck nachgeben und politische Forderungen kommunizieren, ohne aber inhaltliche Entscheidungen zu treffen. Grenzkontrollen werden reflexartig und vorschnell als vermeintliche Lösungen präsentiert, bloß um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und politische Mehrheiten zu sichern. Dass der Bundesregierung als Antwort auf die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen im September 2024 nichts anderes einfiel, als der AfD nachzueifern, betrachten wir als Kapitulation. Nicht nur verlieren die proeuropäisch ausgerichteten und demokratischen Parteien sowie die von ihnen getragenen Regierungen national wie international an Glaubwürdigkeit, wenn sie populistische – nachweislich ineffektive – Vorschläge übernehmen. Sie drohen auch im Kampf gegen antidemokratische Kräfte zu unterliegen. Dies befeuert Spannungen und Ressentiments.
  2. Die Einführung von Grenzkontrollen ist keine Kompensation für andere politische Versäumnisse. Die Einführung von Grenzkontrollen und die Forderung nach ihnen verschleiern die eigentlichen Probleme und langjährigen politischen Versäumnisse. Die Entwicklung nachhaltiger und ganzheitlicher Lösungen wird so verhindert. Grenzkontrollen dürfen nicht eingeführt werden, um fehlende Ausstattung, Überforderung und mangelnde Vorbereitung bei nationalen Behörden auszugleichen. Zudem darf dem Versäumnis einer dringend notwendigen Erarbeitung und Vereinheitlichung eines menschenwürdigen Asylsystems sowie der fehlenden politischen Willenskraft hierfür nicht mit der vermeintlich wirksamen Symbolik der Kontrolle von Binnengrenzen begegnet werden.

Deshalb fordern wir:

  1. Die Bundesregierung muss alle Grenzkontrollen umgehend beenden. Sie hat für die entstandenen Unstimmigkeiten bei unseren europäischen Nachbarländern die Verantwortung zu übernehmen und jetzt wie zukünftig jeden nationalen Alleingang in Bezug auf gesamteuropäische Angelegenheiten zu unterlassen.
  2. Bekenntnis zu offenen Grenzen. Die Bundesregierung muss sich unmissverständlich und konsequent zur uneingeschränkten Freizügigkeit als Grundpfeiler der Europäischen Union bekennen. Sie muss ihren Koalitionsvertrag, in dem sie noch zum Ziel gesetzt hatte, die “Integrität des Schengenraumes wiederherzustellen” und sich mit ihren europäischen Partnern abzustimmen, umsetzen. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland, aber auch in allen anderen Mitgliedstaaten, Grenzkontrollen normalisiert und sogar als positiv angesehen werden, bedarf es einer fundamentalen Neuausrichtung des Grundverständnisses von Grenzen und Offenheit in Europa.
  3. Bewahrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Bei jeder politischen und verwaltungsinternen Entscheidung braucht es einen unumstößlichen Ausgangspunkt: Grenzkontrollen müssen die Ausnahme bleiben und als solche benannt werden.
  4. Ausnahmegründe für Kontrollen dürfen nicht missbraucht werden. Die – auch nach den kürzlichen Änderungen des Schengener Grenzkodex fortbestehenden – vagen und weit gefassten Formulierungen der Ausnahmegründe für die Einführung von Grenzkontrollen dürfen nicht für nationale Agenden ausgenutzt werden. Ausnahmegründe für Grenzkontrollen dürfen nicht vorschnell angenommen, überdehnt,pauschalisiert oder inflationär angewendet werden. Beispielsweise einmal vorhandene sachlich gegebene Gründe für die zeitlich eng begrenzte Einführung von Grenzkontrollen, etwa die Olympischen Spiele in Paris, dürfen in der politischen Diskussion nicht zum Anlass genommen werden, um eine Fortdauer oder Neueinführung von Kontrollen zu fordern. Ein bloß abstraktes Gefährdungsrisiko rechtfertigt weder kurz- noch langfristige Grenzkontrollen.
  5. Die Anordnung von Grenzkontrollen durch Mitgliedsstaaten muss von einer Genehmigung durch die Europäische Kommission abhängig gemacht werden. Die aktuell bestehende bloße Mitteilungspflicht gegenüber der Kommission ermöglicht nationalen Missbrauch. Es muss bereits vor der Einführung von Grenzkontrollen objektiv überprüft werden, ob diese im Einklang mit europäischen Recht stehen und tatsächlich gerechtfertigt sind. Insbesondere stellt die Prüfung durch die Kommission als Hüterin der EU-Verträge und neutrale Instanz sicher, dass Grenzkontrollen nicht für nationale Agenden instrumentalisiert werden.
  6. Konsequente und frühzeitige Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren. Die Europäische Kommission muss im Fall der missbräuchlichen Anordnung von Grenzkontrollen die darin liegende Verletzung der EU-Grundfreiheit der Beschluss des 71. Bundeskongress der Jungen Europäischen Föderalist:innen Deutschland e.V.

Freizügigkeit konsequent verfolgen und den EuGH anrufen. Insbesondere darf sie hierbei nicht davor zurückschrecken, sich in nationale gesellschaftspolitische Debatten einzumischen.

Der geringe Stellenwert, den die Mitgliedstaaten und insbesondere jüngst auch die Bundesregierung der Errungenschaft der offenen Grenzen beimessen, zeigt für uns als Junge Europäische Föderalist:innen einmal mehr die Notwendigkeit der Schaffung einer Europäischen Verfassung. Diese muss die Freizügigkeit als elementares Grundrecht enthalten. Nur so würde der Freizügigkeit in Europa die Bedeutung zukommen, die sie für jede:n einzelne:n in Europa tatsächlich bereits aktuell hat. Denn unser Europa baut Brücken, keine Grenzzäune. Unser Europa steht für Solidarität und Zusammenarbeit, für gemeinsame Lösungen statt nationaler Alleingänge. Und: Unser Europa darf nicht die wildesten Träume von Faschist:innen und Populisten wahr werden lassen.

abgestimmt am 05.10.2024, in Frankfurt am Main

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Für Menschenrechte und Sicherheit an Europas Außengrenzen

Bundeskongress, 20.10.2023 – 22.10.2023

Für Menschenrechte und Sicherheit an Europas Außengrenzen

Beschluss im Wortlaut:

Als Junge Europäische Föderalist:innen Deutschland steht der Schutz von Leben und von Menschenrechten für uns über allen anderen Werten. Die erschreckenden und menschenverachtenden Zustände an Europas Außengrenzen, an denen jedes Jahrtausende unschuldige Menschen zu Tode kommen, erfüllt uns daher mit großer Trauer. Wir setzen uns für ein sofortiges Ende des Leidens und Sterbens an unseren europäischen Land- und Seegrenzen ein.

Gleichzeitig darf sich Europa nicht in eine Spirale der Abhängigkeit von autoritären Regimen begeben, welche unsere Hilfsbereitschaft für ihre eigenen menschenverachtenden Forderungen ausnutzen wollen. Deshalb setzen wir uns für einen humanen, völkerrechts- und gesetzeskonformen Grenzschutz ein, welcher Leben und Menschenrechte schützt, individuelle Asylantragstellung garantiert, sowie geltendes Einwanderungsrecht durchsetzt. Dabei gilt es nicht nur, wie wir bereits 2020 gefordert haben, private Seenotrettungsorganisationen zu entkriminalisieren, sondern auch ein europäisches bzw. staatliches System der Seenotrettung aufzubauen. Es darf nicht Aufgabe privater Seenotrettungsorganisationen sein, international geltende Regelungen umzusetzen. Dabei gilt es, ein europäisches bzw. staatliches System der Seenotrettung aufzubauen, da es nicht Aufgabe privater Seenotrettungsorganisationen sein kann und soll, die Aufgabe international geltende Regelungen der Seenotrettung staatlicherseits auszusetzen, wie die Italiener es 2013 mit “Mare Nostrum” gemacht haben.

In diesem Zuge stellen wir fest, dass die bisherigen gesetzlichen Regelungen (u.a. durch das Dublin Abkommen) als auch das politische Selbstverständnis der Mitgliedstaaten als gemeinsame Union nicht ausreichend sind, um die allgegenwärtigen Realitäten anhand unserer Vorstellungen gerecht zu werden.

Daher lauten die Forderungen der JEF Deutschland:

1. Wir fordern den Aufbau einer eigenständigen europäischen Agentur für Seenotrettung auf den an Europa grenzenden Gewässern. Das Handeln von Frontex in der Seenotrettung zeigt, dass Grenzschutz und Seenotrettung nicht in einer einzigen, Agentur vereint bleiben darf. Stattdessen braucht Europa eine eigenständige, umfassend ausgestattete und ausgebildete Agentur, die sich ohne Interessenkonflikt auf die Seenotrettung an den europäischen Seegrenzen fokussieren kann. Die Arbeit dieser Agentur muss durch zivilgesellschaftliche Akteur:innen transparent einsehbar sein und notfalls rechtlich durchgesetzt werden können.

2. Wir fordern die Umgestaltung von Frontex zu einer transparenten und rechtsstaatlichen Institution. Auch im Grenzschutz weist die Arbeit von Frontex in den vergangenen Jahren schwerwiegende Mängel auf. Menschenrechtswidrige Pushbacks, fragwürdige Mittelverwendung und grassierende Intransparenz sind die traurige Bilanz dieser künstlich aufgeblähten und undemokratisch gestalteten Grenzschutzagentur. Wir fordern die Einrichtung eines institutionellen Kontrollgremiums zur besseren Überwachung und Sanktionierung etwaiger menschenrechtswidriger Vorgehensweisen von Frontex und den eingesetzten Mitgliedstaaten. Dieses soll nicht nur, wie in unserem 2022 verabschiedeten Beschluss “Frontex an die kurze Leine nehmen” gefordert, als unabhängige Ombudsstelle fungieren, sondern auch ein mit der Ausarbeitung von Reformvorschlägen für Frontex betrautes Gremium sein. Es soll jährlich Vorschläge zur demokratischeren und transparenteren Umgestaltung von Frontex erarbeiten und der Europäischen Kommission unterbreiten. Zudem soll es jedem Mitglied des Gremiums freistehen, sich zu den gewonnenen Erkenntnissen zu äußern.

3. Wir fordern das sofortige Ende von illegalen Pushbacks an Europas Außengrenzen, auch unabhängig von der von uns geforderten Umgestaltung von Frontex. Da für uns das Recht auf Leben sowie der Schutz der Menschenrechte über allen anderen Werten stehen, sehen wir keinen Grund, flüchtenden Menschen das Recht auf individuelle Antragstellung zu versagen und sie stattdessen unter Lebensgefahr auf dem Land- oder Seeweg zurückzudrängen. Wir fordern Frontex auf, aktiv für den Schutz von Leben und Menschenrechten an unseren Grenzen zu sorgen.

4. Die beste Seenotrettung hilft nicht, wenn flüchtende Menschen bereits auf dem Weg nach Europa durch autoritäre Regime bedroht werden. Deshalb fordern wir die Überprüfung aller beschlossenen und geplanten Flucht-Abkommen, mit denen wir uns der Verantwortung für Menschen auf der Flucht entziehen wollten. Flucht-Abkommen, welche direkt oder indirekt das Leben und Wohlergehen flüchtender Menschen gefährden, müssen unverzüglich beendet werden. Diese Überprüfung soll in Zusammenarbeit von Politik und Zivilgesellschaft transparent umgesetzt werden. An Stelle der menschenverachtenden Flucht-Abkommen fordern wir die EU auf, die Verantwortung für flüchtende Menschen zu übernehmen. Dazu müssen wir unsere Fluchtpolitik unabhängig von benachbarten Autokratien gestalten.

Neben den bereits genannten Umgestaltungen ist dazu auch der Aufbau einer menschenwürdigen und wirksamen Sicherung unserer Außengrenzen nötig. Denn erst wenn Europa die Kontrolle über seine Grenzen in die eigenen Hände nimmt, können wir der Bestechung und Erpressung durch benachbarteAutokratien standhalten. Die Inhaftierung unschuldiger Menschen, insbesondere von Schwangeren und Minderjährigen, lehnen wir strikt ab.

paula2Für Menschenrechte und Sicherheit an Europas Außengrenzen
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Hoffnung entfachen, damit Europa Zukunft hat

Bundeskongress, 20.10.2023 – 22.10.2023

Hoffnung entfachen, damit Europa Zukunft hat

Beschluss im Wortlaut:

Europa hat die Wahl. In wenigen Monaten entscheiden die Bürger:innen der EU über die Zusammensetzung des nächsten Europäischen Parlaments. Eine Wahl, die wie keine andere zuvor von einer Vielzahl von Krisen begleitet ist. In ganz Europa gewinnen rechte Kräfte an Macht, die Inflation treibt viele und insbesondere junge Menschen in existentielle Nöte, die Folgen der Klimakatastrophe sind spürbarer denn je und der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der eine Zäsur unserer europäischen Sicherheitsordnung darstellt, wird weiterhin mit menschenverachtender Grausamkeit geführt.

Als sei diese Situation nicht schon ausreichend herausfordernd für junge Menschen, hat die deutsche Bundesregierung angekündigt den Kinder- und Jugendplan, dem Hauptfinanzierungsmittel für den Jugendverbandssektor um knapp 20% zu kürzen. Ein harter Schlag, nicht nur für das tatsächliche Engagement von Jugendverbänden, sondern auch für alle, die sich für eine widerstandsfähige und nachhaltige Demokratie einsetzen. Ganz konkret bedeuten diese Kürzungen, dass das Ehrenamt geschwächt, hauptamtliche Stellen gekürzt werden müssen und dadurch viele sehr greifbare Angebote für Kinder und Jugendliche faktisch nicht mehr oder nur noch in einem stark begrenzten Rahmen stattfinden können. Entfaltungsräume für junge Menschen, internationale Begegnungen, Austausche und Bildungsangebote werden wegfallen oder nur eingeschränkt möglich bleiben. Schon seit Jahren beobachten wir, dass Jugend strukturell zu wenig gefördert wird. Ohne diese Entfaltungsmöglichkeiten fehlt es jungen Menschen an essentiellen Erfahrungen, die maßgeblich für ein demokratisches Verständnis und europäisches Zusammenleben sind. Besonders mit Blick auf den Rechtsruck in Deutschland bedeutet die Kürzung der KJP-Mittel eine bewusste Schwächung der Demokratie und der demokratischen Prinzipien einer freien Entfaltung. Auch ein Jahr nach dem “Europäischen Jahr der Jugend” wird Jugend zwar als Aushängeschild für die Zukunft gehandelt, aber gleichzeitig auf allen Ebenen geschwächt. Dieser Entwicklung stellen wir uns – Schulter an Schulter mit anderen Jugendverbänden in Deutschland und Europa – entschieden entgegen. Die Zukunft braucht Demokratie – braucht Jugend – braucht Förderung. Wird letzteres geschwächt, fällt der erste Stein einer Dominokette, an deren Ende nicht weniger als unsere Zukunft in einem geeinten, friedlichen und demokratischen Europa steht. Die nächste Europawahl ist daher von besonderer Bedeutung für unsere Generation. Denn hier geht es nicht nur um die Art und Weise unseres Zusammenlebens als Gesellschaft, sondern auch, wie wir unsere Zukunft gestalten und in welchem Europa wir zukünftig leben wollen.

Eine der aktuellen Hauptbedrohungen ist der Angriff auf die Demokratie durch immer stärker werdende rechtsextreme und antidemokratische Kräfte, die vermehrt Zuspruch aus den europäischen Gesellschaften erhalten. Nicht nur, aber gerade auch in Deutschland. Wenn in Umfragen eine Partei zweitstärkste Kraft ist, deren Spitzenkandidat Maximilian Krah ein offenkundiger Faschist ist, der den Taliban seinen Respekt ausdrückt, weil diese Kabul im Pride Month erobert haben, und sich offen mit Putins Angriffskrieg solidarisiert, ist es an uns, der demokratischen Zivilgesellschaft, diese Entwicklungen nicht einfach ohnmächtig hinzunehmen. Im Gegenteil! Wir müssen aktiv werden. Denn nur in einem demokratischen System, das unsere Rechte und Freiheiten schützt, können wir Europa formen.

Als Föderalist:innen blicken wir auf eine Verbandsgeschichte zurück, die ihren Ursprung im Widerstand gegen das faschistische Regime in Italien fand. In einer Situation, die wir heute als die dunkelste Stunde Europas bezeichnen, fanden Europäer:innen den Mut, einen Gegenentwurf zu der damaligen Realität aufzustellen – und waren damit erfolgreich. Sie hatten Hoffnung. Hoffnung, dass ein Europa in Frieden möglich ist, Hoffnung, dass Einendes über Trennendes siegt und Hoffnung, dass Krisen überwunden werden können. Diese Hoffnung gilt es heute wiederzufinden. Denn auch wenn wir anderen Krisen gegenüberstehen, so ist es doch an uns, Europa und die europäische Idee immer wieder neu als Gegenentwurf zu den Herausforderungen unserer Zeit zu denken, die föderalistische europäische Idee immer wieder neu zu interpretieren und weiterzudenken. Als überzeugte Europäer:innen wissen wir, diese Hoffnung liegt in einem vereinten Europa. #EurHope ist daher unsere Antwort auf die Krisen unserer Zeit.

Denn seit den 1940er Jahren hat sich viel verändert. Viele der damaligen Forderungen konnten umgesetzt werden. Wir leben in einem Europa, das einen gemeinsamen Binnenmarkt, verlässlichen Standards in vielen Bereichen, Freizügigkeit und regen kulturellen Austausch hat. Dennoch merken wir, dass sich seit dem Vertrag von Lissabon kaum etwas verändert hat. Es fehlt die Innovation, das Weiterdenken. Die aktuellen Verträge geben keine Antwort auf die bevorstehende Erweiterung, obwohl die Menschen auf dem Westbalkan, in der Ukraine, in Moldau und Georgien hoffnungsvoll auf eine Mitgliedschaft in der EU schauen. Europa stagniert. Und genau dieses Gefühl haben besonders junge Menschen. Europa bleibt hinter seinen Versprechungen zurück. Insbesondere in den Ländern, die sich seit Jahren im Integrationsprozess befinden, droht die Hoffnung auf einen EU-Beitritt allmählich in Frustration umzuschlagen. Es bleibt die Erkenntnis, dass die EU unvollendet ist und angesichts der aktuellen Herausforderungen machtlos erscheint. Wir sind es ihnen daher schuldig, weiter zu gehen und Europa immer wieder neu zu definieren, um gemeinsam eine europäische Zukunft bauen zu können .

Im Jahr 2023 sieht sich der europäische Kontinent mit alten und neuen Herausforderungen konfrontiert.

[1] Die Klimakatastrophe ist kein neues Phänomen und doch haben sich in diesem Jahr in bisher nicht dagewesener Form die absehbaren Folgen der menschengemachten Erderwärmung gezeigt: Waldbrände, Überflutungen und Ernteausfälle sind keine Seltenheit mehr.

[2] Die Reformunfähigkeit der EU in der Asyl- und Migrationspolitik ist ebenfalls kein neues Phänomen. Erschreckend ist aber, dass die Mitgliedstaaten der EU in diesem Jahr eine Reform beschlossen haben, die mit den europäischen Werten bricht. Tausenden Geflüchteten an den EU-Außengrenzen, die dort in menschenunwürdigen Auffanglagern isoliert werden, wird somit das Recht auf individuelle Prüfung von Asylanträgen verwehrt. Ein Verstoß gegen eines der fundamentalen Menschenrechte. Stattdessen schließt die Europäische Kommission im Alleingang Deals mit autoritären Staaten wie Tunesien, einem Land, das Menschen auf der Flucht ohne Wasser und Nahrung in der Wüste aussetzt und bereits in der Vergangenheit immer wieder durch illegale Pushbacks im Mittelmeer auffällig wurde.

[3] Die langwierigen und teilweise ausgebremsten Erweiterungsprozesse in den Ländern der östlichen Partnerschaft und des Westbalkans gefährden die pro-europäische Haltung der Menschen in diesen Ländern und werden ihren Anstrengungen für einen EU-Beitritt nicht gerecht. Schlimmstenfalls hat dies eine Abkehr von der EU und eine Hinwendung an Staaten wie Russland oder China zur Folge, die bereits jetzt versuchen, die Enttäuschung über die langwierigen Prozesse für sich zu nutzen.

[4] Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird seit 2014 mit menschenverachtender Brutalität geführt. Die Ukraine wurde zunehmend in die Lage versetzt, Gebiete zu verteidigen und zurückzuerobern. Die Zerstörung von Dörfern und Städten, die Plünderung von ukrainischem Besitz und Kulturgut, die Verschleppungen von Kindern, die Vergewaltigung von Frauen und die Ermordung von ukrainischen Zivilist:innen zeigen, dass mit Putin kein Frieden verhandelt werden kann. Auch seine Unterstützung des Systems in Belarus, wo Maryja Kalesnikawa, Maxim Znak, Ales Bjaljazki und tausende weitere Menschen wegen ihres Traumes von einem Leben in Freiheit und Selbstbestimmung mit Gefängnis, Folter und vielleicht sogar den Tod erleiden müssen, zeigt den Charakter des Putinschen Systems und die Notwendigkeit seines Endes.

[5] Knapp 52 Jahre nach der Einführung der Direktwahl des Europäischen Parlaments leidet die EU weiterhin unter einem massiven Demokratiedefizit. Solange die nationalen Interessen der Mitgliedstaaten vor denen der europäischen Bürger:innen stehen und einzelne Mitgliedstaaten ein Vetorecht besitzen und die ganze EU dadurch lahmlegen können, solange Institutionen wie die Europäische Kommission sich stärker dem Willen nationaler Regierungen verpflichtet fühlt und das Europäische Parlament kein Initiativrecht besitzt, solange kann die Europäische Gemeinschaft nicht vollends zusammenwachsen.

Ohne Hoffnung, keine Zukunft.

Gegen die widrigen Umstände, gegen unsere Angst, setzen wir daher Hoffnung. Denn Hoffnung, so der Friedensnobelpreisträger Vaclav Havel, ist nicht der naive Glaube, dass morgen alles besser wird, sondern das Wissen, dass es etwas gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Sie ist die Überwindung unserer Angst. Und was an ihre Stelle treten soll, ist für uns klar: Unsere Hoffnung ist ein Europa, das Schritt halten kann mit den Veränderungen dieser Welt, ein Europa, das Zukunft schafft.

Deshalb wollen wir jetzt, im Jahr vor den entscheidenden Wahlen auf unserem Kontinent, angesichts der vielen Kräfte, die versuchen, negative Gefühle zu schüren und Spaltungen zu forcieren, einen Gegenentwurf anbieten. Einen Gegenentwurf, der den Menschen in Europa einen anderen Weg in die Zukunft aufzeigt, einen konkreten Weg zur Umgestaltung und Wiederbelebung Europas und seiner Demokratie.

Ein Weg, der damit beginnt, denjenigen zuzuhören, die die Last der Zukunft auf ihren Schultern tragen werden: der Jugend Europas. Im Zeitalter der sozialen Medien sind junge Menschen in besonderem Maße der Desinformation ausgesetzt und wurden von den jüngsten Ereignissen wie Pandemie, Krieg, Inflation und Klimaangst stark beeinflusst. Unser Ziel ist es, den positiven und inklusiven Dialog zwischen jungen Menschen zu stärken, über Grenzen und Sprachbarrieren und soziale Hintergründe hinweg – in all ihrer Vielfalt. Wir werden die politische Debatte wieder auf die Prioritäten der jungen Menschen ausrichten, um ihr Vertrauen wiederherzustellen. Und auch, um mehr Eigenverantwortung zu schaffen und ihre Prioritäten für die Zukunft Europas in den Mittelpunkt unserer Kampagne 2024 zu stellen. Das Spielen mit der Angst und die bewusste Spaltung der Gesellschaft durch rechte Kräfte wollen wir durch eine “Agenda der Hoffnung” ersetzen.

Auf diese Weise werden Europa und Hoffnung wieder denselben Klang haben: EurHope. Heute rufen wir alle jungen Bürger:innen, alle Mitglieder der Zivilgesellschaft, alle Mitgliedstaaten, Städte und Regionen und alle engagierten Organisationen auf, sich dieser Idee der Hoffnung anzuschließen!

Wir rufen dazu auf, Hoffnungsträger:innen zu sein und gemeinsam Hoffnung zu entfachen.

[5] #EurHope für Demokratie: Die Forderung nach einer echten europäischen Demokratie ist kein bloßes Wunschdenken, sondern eine klare Notwendigkeit für ein zukunftsfähiges Europa. Die EU muss endlich entschiedene Schritte zu einer Demokratiereform der Institutionen einleiten. Dazu gehören unter anderem die Einführung eines europäischen Wahlrechts, die Schaffung eines europaweiten Wahlkreises zur Formalisierung des Spitzenkandidatenprinzips, die Einführung des Initiativrechts für das Europäische Parlament sowie die Ersetzung des Einstimmingkeitsprinzips durch Mehrheitsentscheidungen im Rat.

[4] #EurHope für Frieden und Freiheit: Die Europäische Union muss endlich entschlossen zusammenstehen und eine eigenständige, gemeinsame Verteidigungspolitik begründen, nicht als Konkurrenz zur NATO, sondern im Zusammenspiel mit den Verbündeten. Ohne eigenständige europäische Streitkräfte kann die EU nicht mehr glaubwürdig als Garant für Frieden in Europa auftreten. Wir befürworten zudem das Verfolgen von Ansätzen des Konzepts der Feministischen Außenpolitik für die Europäische Union, da dieses die Grundwerte der EU in sich vereint.

[3] #EurHope für Erweiterung: In Anbetracht der möglicherweise jahrzehntelangen Beitrittsprozesse mit Ländern der östlichen Partnerschaft und dem Westbalkan ist es notwendig, dass Beitrittskandidaten bereits vor der Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union eine Teilmitgliedschaft erhalten. So sollte Ländern wie zum Beispiel Albanien bereits vor dem endgültigen Abschluss aller Beitrittskapitel der Zugang zum Binnenmarkt eingeräumt und die Personenfreizügigkeit in der EU eingeräumt werden.

[2] #EurHope für Menschlichkeit und Solidarität: Die Missachtung von Menschenrechten, zu deren Wahrung sich die EU in Artikel 2 ihrer Verträge bekennt, muss von ihr unaufhörlich angeprangert und sanktioniert werden. Zugleich muss die EU aber auch selbst ihrer Pflicht zur Wahrung der Menschenrechte nachkommen, insbesondere an ihren Außengrenzen. Sie darf menschenrechtsverachtende Systeme nicht noch durch bilaterale Deals belohnen. Um das tagtägliche Leid von Geflüchteten an den Außengrenzen der EU zu beenden, braucht es eine tatsächliche Seenotrettungsinitiative von der EU, legale Fluchtwege nach Europa, eine europaweite Koordination zur Unterbringung der Schutzsuchenden und nicht zuletzt ein Europa, das sich als Einwanderungskontinent versteht und eine weltoffene Mentalität, die nicht auf Abschottung und Festungsnarrativen beruht.

[1] #EurHope für einen lebenswerten Planeten: Mit voller Anstrengung die Klimakatastrophe bekämpfen. Die Europäische Union muss sich auf globaler Ebene für Klimagerechtigkeit zwischen den Kontinenten und Regionen der Welt einsetzen. Denn aktuell leiden vor allem Menschen in den Regionen nahe des Äquators unter den Folgen der Klimakatastrophe und können sich aus eigener Kraft häufig nicht weiter helfen, als aus diesen Regionen zu flüchten, weil sie durch Wüstenbildung und Dauererhitzung unbewohnbar werden. Darüber hinaus muss die EU einen Jahrhundertplan aufstellen, um sich bereits jetzt gegen die drohenden dauerhaften Überflutungen aufgrund des Meeresspiegelanstieges im Norden Europas zu wappnen. Nicht zuletzt müssen massive gemeinschaftliche Investitionen in eine nachhaltige und klimaneutrale Wirtschaft und Industrie sowie in energieeffizientes Wohnen und in den Ausbau erneuerbarer Energien getätigt werden, um die globale Erwärmung langfristig so gering wie möglich zu halten.

In diesem Sinne müssen wir Hoffnung entfachen, um die vielfältigen Herausforderungen zu bewältigen und die Zukunft Europas in unseren Händen zu halten. Denn Europa bedeutet für uns Hoffnung! Und zwar nicht weil wir glauben, dass es schon irgendwie gut werden wird, sondern weil wir die Gewissheit haben, das Richtige zu tun, damit Europa eine Zukunft hat.

paula2Hoffnung entfachen, damit Europa Zukunft hat
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Frontex an die kurze Leine nehmen: Für die Schaffung einer unabhängigen Ombudsstelle gegenüber Frontex

Bundesausschuss, 2. – 4.12.2023

Frontex an die kurze Leine nehmen: Für die Schaffung einer unabhängigen Ombudsstelle gegenüber Frontex

Beschluss im Wortlaut:

Oftmals mittellose Menschen, insbesondere Geflüchtete, sind an Europas Außengrenzen auf sich selbst gestellt, wenn sie ungerechtfertigte Polizeigewalt, illegale Push-Backs oder Schlimmeres wie vorsätzlich herbeigeführte Seenot erfahren. Durch Menschenrechtsorganisationen ist nachgewiesen, dass es die EU- Grenzschutz-Agentur Frontex selbst ist, die an illegalen Push-Backs beteiligt ist bzw. davon Kenntnis hat, ohne rettend einzugreifen.

Dem steht das schnelle Wachstum und die stetige Ausweitung der Kompetenzen von Frontex gegenüber[1]. Die Agentur wird mit Waffen, eigenen Schiffen, Helikoptern, Drohnen und bis 2027 mit mehr als 10.000 Grenzschützer:innen ausgestattet, während damit kaum ernstzunehmende Ermittlungs- und Kontrollmechanismen einhergehen. Darin liegt ein Konstruktionsfehler, ein Ungleichgewicht von Grenzschutz und Rechtsschutz.

Menschen an Europas Außengrenzen haben keine Möglichkeiten, Rechtsschutz zu erhalten, da sie im Falle von Push-Backs sich nicht (mehr) auf europäischem Boden befinden und so keinen Zugang zu unserem Rechtssystem haben.

Die einzigen bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten, ein Anrufen des Frontex-Verwaltungsrat oder der Frontex-Menschenrechtsbeauftragten, sind unzureichend und schaffen keine unabhängige Kontrolle. Beide sind agenturinterne Gremien ohne demokratische Legitimation, die keine Entscheidungsgewalt haben und innerhalb derer es nachweislich zu Verschleppungen und Vertuschungen von Ermittlungen kommt. Frontex und die beteiligten Mitgliedstaaten (Entsendestaaten und Gastgeberstaaten) decken sich bei unangenehmen Ermittlungen gegenseitig, indem – teils systematisch – Informationen zurückgehalten werden. Zwar gibt es zahlreiche an die Agentur selbst gerichtete Berichte über Menschenrechtsverletzungen und zweifelhafte Methoden in ihren Tätigkeiten durch Journalist:innen, NGOs oder sogar die Vereinten Nationen und den Europarat. Jedoch wurden sie durch den Exekutivdirektor und damit den Chef des Verwaltungsrates allesamt ignoriert und geleugnet[5]. Diese aktuelle Lage widerspricht der Vorstellung der JEF von einem Europa der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, wie in 3.3. unseres politischen Programms von 2021 formuliert.

Wir fordern daher die Einrichtung eines unabhängigen Kontroll- und Ermittlungsgremiums (Ombudstelle). Dieses soll von der EU angemessen finanziert sein, institutionell, hierarchisch und praktisch unabhängig sein von den Beschuldigten, also Frontex selbst, ihren Beamt:innen sowie den Mitgliedstaaten und deren entsandten Beamt:innen.

●  Die Ombudsstelle soll parlamentarisch legitimiert sein und möglichst alle Mitgliedstaaten abbilden. Zu den Vertreter:innen sollen zählen: NGO- Vetreter:innen, Jurist:innen, Sozialarbeiter:innen und weitere Expert:innen.

●  Ihre Arbeit in Form von Überwachungen und Dokumentationen soll eine verbindliche Grundlage dafür sein, um Menschenrechtsverletzungen zu sanktionieren und die Straflosigkeit von Beamten zu verhindern. Konkret sollen auf der einen Seite straf- und disziplinarrechtliche Verfahren in den Mitgliedstaaten ermöglicht werden. Auf der anderen Seite soll das Gremium helfen, beteiligte Mitgliedstaaten und die Agentur selbst menschenrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, sei es vor dem EuGH oder idealerweise vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)[2]. Dem Gremium soll ein verbindlicher Anspruch auf Information gegenüber Frontex eingeräumt werden, der notfalls gerichtlich eingeklagt werden kann.

●  Auch muss die Einrichtung einer Anlaufstelle sichergestellt werden, die bei Rechtsverletzungen an der Grenze auch von Nicht-EU-Bürgern direkt angerufen werden kann.

●  Gleichzeitig soll die Arbeit des Gremiums dazu dienen, in der Gesellschaft politische Verantwortung konkret zu benennen und Transparenz zu schaffen. Frontex muss verpflichtet werden können, Dokumente von öffentlicher Relevanz der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Das Gremium soll unabhängig finanziert werden. Der Umfang der Finanzierung muss angepasst werden an das Wachstum und die Aktivitäten von Frontex, ohne aber institutionell von Frontex abhängig zu sein.

Ist das Gremium gegründet und hat es seine Arbeit aufgenommen, soll seiner Tätigkeit durch die Kommission und das Parlament evaluiert werden. Der zukünftige Arbeitsauftrag für Frontex muss klar definiert sein: Es muss um den Schutz von Menschen gehen, nicht um den Schutz von Grenzen.

[1] 2005 betrug der Etat 6 Mio. EUR. 2020 waren es 460 Mio. EUR.

[2] Hierfür müsste die EU sich der Gerichtsbarkeit des EGMR durch einen Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unterwerfen. Hierzu hat sich die EU selbst im Art. 6 Abs. 2 EUV verpflichtet.

emmelineFrontex an die kurze Leine nehmen: Für die Schaffung einer unabhängigen Ombudsstelle gegenüber Frontex
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Legale Migration erleichtern

Bundeskongress, 17.10.21

Legale Migration erleichtern

Beschluss im Wortlaut:

Wir leben in einer Welt voller Ungleichheiten – ökonomische Ungleichheit ist davon eine der Entscheidensten. 80% des Einkommens einer Person hängen von ihrem Geburtsort ab, ganz egal wie klug, fleißig oder unternehmerisch sie ist. Gleichzeitig nimmt die Anzahl unterdrückerischer Regime, die die Rechte ihrer Einwohner*innen beschneiden, in den letzten Jahren wieder deutlich zu. Politische Unfreiheit (ohne Verfolgung) und Armut sind jedoch keine von der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannten Fluchtkriterien – Asyl steht diesen Menschen damit nicht zu.

Nicht zuletzt träumen viele Menschen einfach von einem besseren Leben, indem sie ihr Potenzial verwirklichen können – auch wenn ihre Heimatländer ihnen diese Chance oft nicht bieten.

In der EU herrscht währenddessen in einigen entscheidenden Bereichen Fachkräftemangel, bspw. im IT-Bereich oder in der Pflege. Gleichzeitig wird die Gesellschaft immer älter. Eine Einwanderung von Fachkräften in die EU kann in beiden Fällen Abhilfe schaffen, die europäische Wirtschaft beleben und den demographischen Wandel abmildern. Sie schafft für viele Menschen eine entscheidende Chance, ihr Können und Potenzial in Europa zu verwirklichen.

Migration ist aus ökonomischer Sicht für die Aufnahmeländer in aller Regel positiv – einige der innovationsstärksten Wirtschaften, wie bspw. die USA, profitieren von der Zuwanderung der klügsten und ambitioniertesten Menschen aus aller Welt. So sind bspw. in den USA 2009 30% aller Patent-Inhaber*innen ausländischer Herkunft. Die EU profitiert aktuell nicht von einer derartigen Zuwanderung – im Gegenteil: Viele ihrer klügsten Köpfe wandern ab, bspw. in die USA oder Israel, weil dort bessere Perspektiven warten.

Neben den Effekten für die Aufnahmeländer hat Migration auch positive Auswirkungen auf die Herkunftsländer: So versorgen viele Migrant*innen Familienangehörige per Geldsendungen oder investieren in kleinere Betriebe in ihrem Herkunftsland. In einigen Staaten, wie bspw. El Salvador, fügen Rücküberweisungen beinahe 25 % zum BIP hinzu. Immigrant*innen tragen so auch in ihren Herkunftsländern zu wirtschaftlicher Entwicklung bei. Gleichzeitig kann die Emigration entscheidender Teile der Bevölkerung Regime unter Druck setzen und somit für Reformen sorgen, die ein besseres Leben vor Ort ermöglichen.

Als negativer Effekt von Auswanderung für Herkunftsländer wird demgegenüber häufig der sogenannte Brain drain genannt, bei dem gut ausgebildete Menschen das Land verlassen und ihre Fähigkeiten, bspw. in der Medizin, vor Ort fehlen. Dies ist bereits innerhalb Europas ein Problem, wenn bspw. ärztliches- und Pflegepersonal aus Südosteuropa in die Niederlande oder nach Deutschland immigriert. Ökonomische Studien legen jedoch nahe, dass positive Effekte legaler Migration wie oben aufgezeigt diesen Nachteil überwiegen, v.a. weil nicht wenige Migrant*innen nach einiger Zeit zurückkehren und entscheidendes Wissen mitbringen (wie bspw. hier für das ehemalige Jugoslawien nachgewiesen).

Migration nützt also nicht nur der EU, sondern ebenso den Herkunftsländern und am meisten den Migrant*innen selbst, die auf legalem Wege die Möglichkeit erhalten, ihr Einkommen und ihre Zukunftsperspektiven schnell deutlich zu verbessern. Zudem kann die Ausweitung legaler Migrationswege das Asylsystem entlasten.

Die Möglichkeiten für legale Migration sind innerhalb der EU aktuell jedoch sehr beschränkt. Die Blaue Karte EU ist kein wirksames Instrument, um legale Migration im großen Stil anzuregen: Sie ist beschränkt auf hochqualifizierte Fachkräfte mit hohen Gehältern, und ist mit weiteren bürokratischen Hürden versehen, die die Mitgliedsländer individuell ausgestalten können. De facto sind seit der Einführung der Blue Card nur wenige Karten ausgegeben worden, und zwar der Großteil davon von Deutschland, und es ist v.a. akademisches Personal, das davon profitiert.

Darum fordern wir zur Änderung dieser Umstände:

  • die Ausweitung der Blauen Karte EU – auch mittelgradig qualifizierte Arbeitskräfte sollen sich auf einen Aufenthalt in der EU bewerben können, wenn ihre Fähigkeiten gebraucht sind (wie bspw. in der Pflege).
  • eine Harmonisierung und Vereinfachung nationaler behördlicher Einwanderungsprozesse.
  • die schnelle und bürokratiearme europaweite Anerkennung von bestehenden Bildungs- und Berufsabschlüssen.
  • die Sicherstellung grundlegender Arbeitnehmer*innen-Rechte sowie gesundheitlicher und sozialstaatlicher Versorgung von in Europa arbeitenden Drittstaatenangehörigen. Dazu gehören alle Maßnahmen, die eine Ausbeutung der Arbeitenden verhindern.
  • den Ausbau EU-finanzierter Studien-, Weiter- und Ausbildungsprogramme für in Frage kommende Drittstaatenangehörige. Dazu kann auch die Bezuschussung von Sprachkursen gehören.
  • den Ausbau europäisch finanzierter beruflicher Austauschprogramme in Süd-Nord-Richtung mit vernünftiger zeitlicher Begrenzung. Diese Programme können eine Alternative sein, wenn Drittstaaten gegenwärtig Probleme in der nationalen Versorgung mit Fachkräften sehen, aber gleichzeitig von den Vorteilen eines Austauschs profitieren wollen.

Legale Migration ist jedoch nur eine Seite gemeinsamer europäischer Asyl- und Migrationspolitik. Die Ausweitung legaler Migrationswege nimmt die EU nicht aus der Pflicht, allen nach der Genfer Flüchtlingskonvention Geflüchteten in Zukunft zügig Schutz zu gewährleisten und die Verteilung der Geflüchteten fair, effizient und menschenfreundlich zu regeln.

claraLegale Migration erleichtern
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Föderalistische Vision einer Europäischen Entwicklungspolitik

Bundesausschuss, 07.11.20

Föderalistische Vision einer Europäischen Entwicklungspolitik

Beschluss im Wortlaut:

Entwicklungspolitik sollte nicht nur als Reparaturbetrieb für akute Probleme gesehen werden, sondern auch als Engagement für eine bessere Zukunft der Menschheit. Wir sind überzeugt, dass der Grundsatz der Gleichheit sowie die Achtung der Menschenwürde unser aller Handeln, auch im Internationalen, leiten muss.

Gerade die JEF mit ihrem Bekenntnis zum Weltföderalismus muss deshalb in diesem Politikbereich ein dauerhaftes friedliches weltweites Zusammenleben anstreben. Internationale Zusammenarbeit und interkultureller Austausch sollte daher stets dem Wohle aller dienen. Damit ist die Verbesserung sowohl der rechtlichen, wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen als auch der kulturellen Lebenssituation von Menschen auf der gesamten Erde und gerade auch zukünftiger Generationen gemeint. Europäische Entwicklungszusammenarbeit sollte sich in diese Zielsetzung eingliedern und multidimensional angegangen werden. Welche Aspekte dabei von besonderer Relevanz sind, wird im weiteren Verlauf erläutert.

Demokratie stärken!

Demokratie und Menschenrechte sind die Grundlagen für Frieden, Wohlstand (im Sinne des Human Development Index) und Gerechtigkeit. Um diese Grundlagen zu ermöglichen, sollte die Europäische Union den politischen Wandel in diese Richtung weltweit stärker unterstützen. Diese zu stärken sollte Kern der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit der EU sein.

Als föderalistischer, demokratisch organisierter Jugendverband setzen wir uns daher nicht nur in Europa, sondern weltweit dafür ein, dass demokratische, freiheitliche und rechtsstaatliche

Prinzipien aufrechterhalten und weiter ausgebaut werden. Grundgedanke demokratischer Politik ist, Menschen an der Ausgestaltung ihrer eigenen Zukunft gleichermaßen zu beteiligen. Dies funktioniert in besonderer Weise durch Ownership, dass also Menschen sich die Zukunft ihrer Region zu eigen machen. Die EU sollte sich daher im Rahmen ihrer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit einerseits für freie und faire Wahlen, darüber hinaus aber auch für die Stärkung partizipativer Instrumente und einer aktiven Einbindung der Gesellschaft einsetzen.

Demokratie erfordert auch Rechtsstaatlichkeit, um die Gleichheit der Menschen zu garantieren, Menschenrechte zu verteidigen, Minderheiten zu schützen und ein vertrauensvolles Miteinander zu ermöglichen. Zudem wird die Gefahr von Korruption, Verfolgung und Enteignung verringert.

In all ihren Bemühungen muss stets das Wohl und die Würde jedes einzelnen Menschen, als Baustein einer Gesellschaft, im Mittelpunkt stehen. Dies setzt jedoch voraus, dass die unterschiedlichen Rollen, Funktionen und Zugehörigkeiten, die jede*r Einzelne in sich vereint, erkannt und respektiert werden. Keinesfalls sollte von der Existenz homogener Gruppen ausgegangen werden, was auf Grund der Unkenntnis der Geschichte anderer Länder häufig geschieht. Gerade benachteiligte Gruppen sollten nicht aus dem Blickfeld der Entwicklungspolitik geraten, auch um zukünftigen Konflikten vorzubeugen.

Multilateralismus leben!

Multilaterale Zusammenarbeit, als Grundprinzip internationalen Handelns, das versucht alle Staaten in ein System gegenseitiger Rechte und Pflichten einzubinden, ist die Grundbedingung einer internationalen Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Das Prinzip der Gleichheit, das Multilateralismus unterliegt, sollte folglich auch Entwicklungszusammenarbeit leiten.Die Anerkennung der Gleichheit aller Staaten in einem system des Multilateralismus hilft, dass kleinere Länder bei wichtigen Entscheidungen berücksichtigt werden. Als positives Beispiel ist die African Development Bank zu nennen, an der sowohl Industriestaaten, die einen Beitrag zur Entwicklung Afrikas leisten wollen, als auch die afrikanischen Länder selbst beteiligt sind.

Um den Multilateralismus zu stärken, sollte die Europäische Union eine engere Zusammenarbeit mit lokalen Institutionen und Organisationen anstreben, um nachhaltig Vertrauen zu den Menschen vor Ort aufzubauen und vor allem um auf die regionalen Herausforderungen einzugehen und regionale Entwicklungschancen zu unterstützen. Auf der anderen Seite muss sich die Europäische Union auch in den internationalen Organisationen, wie der Weltbank, den diversen UN-Organisationen etc., für eine Stärkung des Multilateralismus einsetzen und auf eine gute Repräsentation der Entwicklungsländer achten.

Vom Klimawandel besonders betroffene Regionen besonders unterstützen!

Angesichts des Klimawandels sind Länder des globalen Südens von dessen Auswirkungen am stärksten betroffen. Für diese besteht auf Grund der Änderungen der klimatischen Rahmenbedingungen insbesondere ein immenser Anpassungsdruck auf die lokale Landwirtschaft. Diese aber ist oft Grundlage jeglicher menschlicher Zivilisation. Gerade Entwicklungsländer benötigen Landwirtschaft, die meist vor allem aus Subsistenzwirtschaft besteht, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, ohne auf unsichere Kapitalzufuhr angewiesen zu sein. Die Europäische Union sollte deshalb in Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern kurzfristig die lokale Landwirtschaft unterstützen und langfristig dafür sorgen, dass deren Waren sowohl auf dem heimischen Markt sowie dem europäischen Exportmarkt wettbewerbsfähig sind, dabei sollen auch soziale und ökologische Aspekt berücksichtigt werden.

Wichtig ist hier vor allem aber auch, dass bereits bestehende, international vereinbarte Klimaschutzabkommen weiter durchgesetzt und aufgebaut werden. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sollten daher nur Projekte gefördert werden, die mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens vereinbar sind. Dabei muss die EU ihrer Verantwortung, Klimaanpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern finanziell zu unterstützen, nachkommen.

Darüber hinaus wird im Zuge des Klimawandels und des technischen Fortschritts die Vorhersage von Naturkatastrophen sowohl immer wichtiger als auch immer genauer. Den lokalen Akteur*innen sollten die Ergebnisse von Frühwarnsystemen so bald wie möglich zur Verfügung gestellt werden und sie sollten dabei unterstützt werden, Katastrophenfrühwarnsysteme aufzubauen. Im Zuge dessen sollte auch die Verbesserung der Gesundheitsvorsorge in diesen Ländern auf dem Programm stehen.

Nachhaltige Wirtschaftsmodelle fördern!

Da der Entwicklungszusammenarbeit nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen, sollte es nicht zwanghaft darum gehen, vorrangig die ärmsten Länder zu unterstützen. Mittel sollten eher dort eingesetzt werden, wo sie den meisten Mehrwert für die Menschen vor Ort liefern. Diese Erfahrungen nachhaltiger Zusammenarbeit können dann als Katalysator und Vorbild für die Entwicklung weiterer Regionen dienen.

Um eine nachhaltige lokale Wirtschaft zu fördern, sollte vor allem in Infrastruktur und Energieversorgung investiert werden, um moderne Formen des Wirtschaftens zu ermöglichen. Nachhaltigkeit, sowohl im ökologischen als auch ökonomischen Sinne, muss für diese Investitionen selbstverständlich sein. Der Ausbau der Infrastruktur etwa sollte sich nach den Bedürfnissen der Bevölkerung richten und auch von dieser sinnvoll genutzt werden können. Der Bau einer Autobahn bei einer kaum vorhandenen Motorisierung der Bevölkerung oder der Bau eines Staudammes zur Stromerzeugung ohne ein funktionierendes Stromnetz sind einleuchtende Gegenbeispiele.

Ein weiterer wichtiger Punkt zur Entwicklung eines Landes ist die Förderung der praxisorientierten Ausbildung sowie die allgemeine Verbesserung des Bildungssystems, das dabei noch Defizite aufweist.

Diese würde auch Innovationen in diesen Volkswirtschaften erleichtern. Durch die relativ junge Bevölkerung, das Fehlen von alten ökonomischen Strukturen und die dynamische Verstädterung in den Entwicklungsländern besteht viel Potenzial für neue, digitale und nachhaltige Geschäftsmodelle. Vor allem in diesen Bereichen kann viel von den sich entwickelnden Volkswirtschaften gelernt und wirtschaftliche Zusammenarbeit gestärkt werden. Ein Beispiel ist die starke Verwendung des mobilen Bezahlens in einzelnen Ländern des globalen Südens über Mobiltelefone, welche dort deutlich früher als in den Industriestaaten praktisch angewandt wurde. Die Erleichterung des Marktzuganges und länderübergreifenden Beteiligungen an Unternehmen wäre ein Weg der praktischen Umsetzung dieser Überlegung.

Kulturellen Austausch stärken!

Verstärkte internationale Zusammenarbeit und kulturelle Vielfalt stehen in keinem Widerspruch zueinander. Vielmehr ermöglicht gerade eine solche interregionale und kulturübergreifende Kooperation erst, die Grenzen des eigenen Bekannten zu überwinden und Respekt und Achtung für den einzigartigen kulturellen Schatz dieser Erde aufzubringen.

Die verstärkte Förderung internationaler Austauschprogramme nach dem Vorbild von Erasmus+ mit Entwicklungsländern ist für ein besseres globales Verständnis notwendig. Hierbei sollte insbesondere der Süd-Nord-Austausch gefördert werden. In diesem Zusammenhang bietet auch die Förderung internationaler Bildungsprogramme ein wichtiges Instrumentarium, um gerade jungen Menschen neue Perspektiven zu eröffnen, gegenseitig voneinander zu lernen und letztlich auch internationale Freundschaften zu schließen.

Die Vergabe von zeitlich begrenzten Arbeitsvisa könnte zudem einen Know-How-Austausch sowie den Aufbau von Kapital in Entwicklungsländern fördern. Zudem müssen lokale Partner und Angestellte in der Entwicklungszusammenarbeit fair bezahlt werden.

Zivilgesellschaft fördern und junge Menschen stärken!

Lokale politische und zivilgesellschaftliche Initiativen sind ein wichtiger Bestandteil friedlicher und lebendiger Gesellschaften und sollten daher in einem multidimensionalen entwicklungspolitischen Ansatz berücksichtigt, einbezogen und gestärkt werden. Die Stärkung und Etablierung dieser Initiativen sollte daher auch Ziel einer modernen Entwicklungspolitik sein. In dieser Zusammenarbeit sollte die EU daher vor allem auch ein solches Engagement, sowohl in Europa als auch in anderen Regionen, direkt fördern, entwicklungspolitische Instrumente gemeinsam mit den Einwohner*innen entwickeln und diese verstärkt beteiligen. Dadurch kann sichergestellt werden, dass die Mittel und Maßnahmen effektiv sind, indem sie dort ankommen, wo sie gebraucht werden.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, gerade jungen Menschen echte Repräsentation, Beteiligung und Einflussnahme zu ermöglichen, damit sie eigene Perspektiven auf ihre Heimat entwickeln und die Zukunft in ihrer Region selbst gestalten können.

Die Einbeziehung und Förderung junger Menschen müssen mit einer besseren finanziellen Ausstattung und Qualität öffentlicher Bildungssysteme einhergehen.

Mit starker und einheitlicher europäischer Stimme sprechen – institutionelle Anforderung an die EU und finanzielle Umstrukturierungen

Wie auch im Bereich der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, gilt ebenfalls in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, dass die EU hier mit einer Stimme sprechen muss. Nur durch konsistentes und zielorientiertes Vorgehen, das sich an Europäischen Werten orientiert, kann die EU das Ziel, weltweit allen Menschen ein gutes, freies und gerechtes Leben zu ermöglichen, effektiv erreichen. Damit dies gelingt, bedarf es jedoch einiger institutioneller Reformen.

  1. Die Entwicklungspolitik der Mitgliedsländer sollte gesamteuropäisch koordiniert werden und gemeinsamen Leitlinien folgen, die sich ergänzen, anstatt im Widerspruch zueinander zu stehen. Dabei soll die EU selbst verstärkt Akzente setzen und bestehende Partnerschaften und Strukturen mittelfristig harmonisieren. Im Fokus muss dabei immer die Zusammenarbeit auf Augenhöhe stehen, um koloniale Muster zu überwinden und Programme im Sinne der Partnerländer zu ermöglichen. 
  2. Die Koordination dieser gemeinsamen EU-Entwicklungspolitik sollte daher in die geteilte Kompetenz der*des Hohen Vertreter*in für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), des Europäischen Auswärtigen Diensts und der*des Kommissar*in für internationale Partnerschaften fallen. 
  3. Konkrete regionale Partnerschaften sollen nach dem Vorbild von Städtepartnerschaften aufgebaut werden. 
  4. Aus finanzpolitischer Sicht sollte der Europäische Entwicklungsfonds in den Mehrjährigen Finanzrahmen eingegliedert werden. Dadurch würde dieser auch unter die strenge demokratischen Kontrolle, Rechenschaftspflicht und Transparenz des Europäischen Parlaments fallen. 
  5. Einheitliche Vergaberichtlinien sowie die transparente Vergabe von Mitteln müssen das Risiko von Korruption verringern. Die zur Verfügung stehenden Mittel sollen die völkerrechtlich im Rahmen der Vereinten Nationen definierten 0,7% des Bruttoinlandsproduktes nicht unterschreiten. 
  6. Für den besseren Schutz von Menschenleben sollte die humanitäre Hilfe konsequent von der Entwicklungszusammenarbeit getrennt und von Sanktionen ausgenommen werden.

Die Werte, die die EU nach außen vertritt, muss sie auch selbst leben. In Bezug auf partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe und Multilateralismus sollte sie ihrer Vorbildfunktion gerecht werden. Der zentrale Lackmustest in diesem Bereich ist die Entwicklungspolitik, da hier ein Machtgefälle vorliegt. Somit wird deutlich, ob Zusammenarbeit oder die Durchsetzung eigener, kurzfristiger Interessen überwiegt.

 

 

emmelineFöderalistische Vision einer Europäischen Entwicklungspolitik
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Entkriminalisierung der privaten Seenotrettung

Bundesausschuss, 07.11.20

Entkriminalisierung der privaten Seenotrettung

Beschluss im Wortlaut:

Die Europäische Union hat als oberste Prämisse den Schutz und die Würde des Menschen zu wahren. In diesem Sinne ist es die Pflicht der EU als Wertegemeinschaft, hilfesuchenden Menschen Sicherheit und Perspektiven zu bieten.

Die Lage im Mittelmeer ist dramatisch: Laut dem Portal statista ertranken hier zwischen 2016 und 2019 etwa 12.500 Flüchtlinge und Migranten. Besonders allein reisende Minderjährige wagen sich noch immer auf die gefährliche Überfahrt nach Europa. Diejenigen der Flüchtenden, die das Festland erreichen, kommen in sog. „Aufnahmezentren“ unter, wo sie unter zum Teil unzumutbaren hygienischen Bedingungen verweilen müssen. Beispielsweise sind seit Jahresbeginn über 12.000 Bootsflüchtlinge an der italienischen Küste gelandet- viele warten noch darauf, dass ihr Asylantrag bearbeitet und genehmigt wird.

Bis zum heutigen Zeitpunkt gibt es keine einheitliche europäische Flüchtlingspolitik. Dies spiegelt sich wider in der öffentlichen Kritik und Kriminalisierung einer Mehrzahl von EU-Staaten zur Rettung von in Seenot geratenen Flüchtenden. Die EU hatte bis März 2019 durch den Marineeinsatz „Sophia“ Geflüchtete aus dem Mittelmeer gerettet. Das Programm „Sophia“ besteht aus einem Flottenkontingent verschiedener Staaten der EU. Neben Geflüchteten werden zudem kriminelle Schleusernetzwerke („Schlepperbanden“) bekämpft. Das Programm scheiterte an einem Interessenskonflikt über die Weiterverteilung der Flüchtlinge. Dies äußerte sich durch eine Verlegung der Einsatzflotte durch das italienische Oberkommando in Gebiete, durch die keinerlei Flüchtlingsrouten verlaufen. Somit folgte eine Aussetzung der Verlängerung der Mission „Sophia“ im März 2019 aufgrund der offenen Verteilungsfrage. Flüchtende werden derzeit zum Großteil nur von privaten Initiativen aus Seenot gerettet. Dies wird erschwert oder unter Strafe gestellt.

Der verheerende Brand auf Moria hat eine neue Dynamik der europäischen Asyl- und Migrationspolitik ausgelöst und die EU zum Handeln gezwungen. Rausgekommen ist der Migrationspakt, der von der Kommission als Neustart proklamiert wird, jedoch aus unserer Sicht keinesfalls eine Wende des Status Quo bedeutet. Eine solidarische Verteilung von Geflüchteten findet dabei leider keine Erwähnung mehr. Dafür sind Abschiebungen das Credo der Stunde. Weil insbesondere auch staatliche Seenotrettung durch diesen Migrationspakt nach wie vor in weite Ferne gerückt wird, ist umso dringlicher, dass die EU ihre Kriminalisierung der privaten Seenotrettung schnellstmöglich aufgibt, um Raum für humanitäre Hilfe zu schaffen.

Zusätzlich müssen auch Initiativen wie z.B. Mare Liberum, die wichtige Arbeit durch Aufklärung und das Aufdecken von Menschenrechtsverletzungen leistet, entkriminalisiert werden. Dies betrifft auch die bloße Weitergabe von Informationen über die sich allgemein im Mittelmeer befindlichen Boote und Schiffe.

Es darf nicht sein, dass die EU im Sinne einer Wertegemeinschaft diejenigen kriminalisiert, die ihr Leben für Notleidende einsetzen. Immer wieder setzten die Länder am Mittelmeer durch Bußgelder die Boote von privaten Seenotrettern fest. Der an dieser Stelle betriebene Bürokratismus kostet ganz konkret Menschenleben. Hinzu kommen Ressentiments der Küstenbewohner in Italien und Griechenland, die sich vermehrt gegen private Seenotretter organisieren und diese zum Teil mit Gewalt einschüchtern.

Selbst Deutschland, das sich als Vorreiter in der Aufnahme von Asylsuchenden sieht, spielt in der Seenotrettung ein doppeltes Spiel: Einerseits befürwortet es die Rettung und Unterstützung von Flüchtlingen. Andererseits wurden erst kürzlich vom Verkehrsministerium die Sicherheitsauflagen für private Bootsbesitzer derart verschärft, dass diese zwangsweise bei der Rettung mit einem Bußgeld bestraft werden.

Wir fordern mit sofortiger Wirkung die Entkriminalisierung der privaten Seenotrettung durch die EU-Staaten. Die EU muss sich von ihrem Status der Doppelmoral lösen: Als Wertegemeinschaft, die menschliche Würde und das Wohl des Menschen an erster Stelle sieht, darf sie nicht die Augen vor dem Leid der Flüchtenden schließen. Denn diese leben zum Teil unter prekären Bedingungen auf Schiffen, auf denen sie wochenlang ausharren müssen. Gleiches gilt auch für die Sicherheit und Würde der Flüchtlinge, die auf dem Festland in den „Aufnahmezentren“ ein elendes Dasein fristen.

Auch Deutschland muss in der Seenotrettung aus seiner defensiven Haltung hervorkommen: Wir fordern die deutsche Regierung dazu auf, eine deutliche Stellungnahme für die private Seenotrettung zu beziehen und diese gemeinsam mit den anderen EU-Staaten zu entkriminalisieren und zu erleichtern.

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Lasst Europa nicht im Regen stehen

Bundeskongress, 11.10.20

Lasst Europa nicht im Regen stehen

Beschluss im Wortlaut:

In welchem Europa wollen wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten leben? Grundlegende Selbstverständlichkeiten, mit denen wir als Generation in der europäischen Lebensrealität aufgewachsen sind, stehen aktuell in Frage. Für uns ist klar: Europa ist unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Europäische Solidarität – das beobachten wir immer öfter – erweist sich dabei allzu oft als nicht krisenfest und die EU sich in zentralen Fragen als nicht ausreichend handlungsfähig. So reagiert die EU beispielsweise nach wie vor nicht wirksam darauf, dass in einigen Mitgliedstaaten europäische Werte klar verletzt wurden, indem Rechtsstaatlichkeit zunehmend abgeschafft und Demokratie ausgehöhlt wurde. Besonders in zentralen Politikbereichen, können sich die EU-Mitgliedstaaten mangels eines gemeinsamen Verständnisses seit Jahren nicht auf die notwendigen Reformen einigen.

Große aktuelle Herausforderungen, wie die Corona-Krise, der Klimawandel, die Asylpolitik sowie eine zunehmende wirtschaftlich-soziale und kulturelle Spaltung des europäischen Kontinents und der weltweite neue Nationalismus und Autoritarismus, sind Herausforderungen, die ein geschlossenes, starkes und gemeinsames Handeln der EU und ihrer Mitgliedstaaten verlangen. In einer Welt, in der Multilateralismus und eine regelbasierte internationale Ordnung keine Selbstverständlichkeit mehr sind, brauchen wir die Europäische Union, die diese multilaterale Ordnung verteidigt und vorantreibt.

Die EU ist dafür institutionell nur unzureichend ausgestattet. Es ist dabei im Wesentlichen nicht “die EU”, die hier versagt. Es sind die Regierungen der Mitgliedstaaten, die Reformen lange gescheut haben oder sich nicht einigen können oder wollen und sich bei Krisen noch viel zu häufig lieber in ihre eigenen nationalstaatlichen Grenzen zurückziehen anstatt ein europäisches und allgemeines Interesse zu verfolgen. Um dieses Phänomen auflösen zu können,

muss das langfristige Ziel eine Reföderalisierung Europas sein. Nur so kann das Problem einer gegenseitigen Blockade der Akteure verhindert werden, um durch klare Neuverteilung der Kompetenzen auf die verschiedenen Ebenen originär europäische Lösungen hervorzubringen. Die nationalen Alleingänge während der Corona-Pandemie haben nochmal in aller Deutlichkeit unterstrichen, wie entscheidend eine klare Kompetenzverteilung für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union ist.

Für die Zukunft Europas und nicht zuletzt den Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa als die durchdachte Antwort auf europäische Herausforderungen, ist es deshalb entscheidend, dass jetzt das Fundament Europas, als gemeinsame, solidarische und wertebasierte EU, bewahrt und gesichert wird.

Es bedarf dringender Reformen, die die Handlungsfähigkeit und Funktionalität der EU verbessern. Nur dann können ebenfalls wichtige, zukunftsgerichtete Reformen in den konkreten Politikbereichen, zum Beispiel der europäischen Asyl- und Migrationspolitik, Wirtschafts- und Sozialpolitik oder Klimapolitik erfolgreich sein und nachhaltig Bestand haben. Das Ziel muss ein Europäischer Bundesstaat sein, der nicht nur unserem Verständnis von Föderalismus entspricht, sondern auch gemeinsamer und handlungsfähiger ist und damit anhand progressiver Reformschritte die Vision der Vereinigten Staaten von Europa vollendet.

  1. Eine neue Gemeinsamkeit schaffen

Wir fordern deshalb, dass die Bemühungen der EU-Mitgliedstaaten, untereinander ein neues gemeinsames Verständnis über den Charakter der EU und ihren zukünftigen Weg und ihre Ausgestaltung zu finden, verstärkt werden. Nur wenn es gelingt, dass zwischen Ost- und Westeuropa sowie Nord- und Südeuropa ein neues gemeinsames Verständnis über gemeinsame europäische Themen entsteht, können politische Reformen nachhaltig Bestand haben.

Die letzten Monate haben einmal mehr gezeigt, dass Verhandlungen, in denen einzelstaatliche Interessen Priorität erhalten, zum Nachteil aller ausgehen. Vor allem bei den Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen der EU darf das Interesse Einzelner nicht über dem allgemeinen Interesse der europäischen Bürger*innen stehen. Daher fordern wir hier seit Jahren eine Änderung des Systems, eine Abkehr vom Netto-Zahler-Empfänger-Narrativ und die Einführung europäischer Steuern.

Zur Schaffung einer neuen Gemeinsamkeit ist es wichtig, die demokratische Zivilgesellschaft und alle Bürger*innen mit einzubeziehen: Europa ist mehr als eine Zusammenarbeit nationaler Regierungen. Wir brauchen Formate, durch die wir Bürger*innen aktiv beteiligen, um eine andere Sichtweise auf europäische Themen zu bekommen und um nicht nur einzelstaatliche Interessen auf europäischer Ebene repräsentiert zu sehen. Gerade Bürger*innen in den Ländern, in denen nationalistische Regierungen demokratische und liberale Prinzipien zunehmend unterminieren, haben es verdient, dass sie einbezogen werden. Wo nationale Regierungen dem nicht nachkommen, ist es Aufgabe der EU deren Rechte zu schützen, Europäische Werte einzufordern und pro-europäische Haltung und Zukunftschancen einzubeziehen. Die Konferenz zur Zukunft Europas bietet eine Chance, genau dies zu tun. Sie darf nicht zur Zuhör-Übung verkommen, sondern muss sich den großen Fragen widmen und deshalb auch weitreichende Vorschläge zu Vertragsänderungen machen können.

Um ein tatsächlich geeintes Europa zu schaffen, müssen europäische Bürger*innen nicht nur in die Gestaltung Europas einbezogen werden, sondern wir wollen auch allen Menschen in Europa das Gefühl geben, aktive europäische Bürger*innen zu sein. Dafür brauchen wir ein europäisches Gemeinschaftsgefühl, das uns vereint und miteinander verbindet; eine europäische Identität, die durch Bildung und Austausch gefördert und gefordert werden muss. Vor allem brauchen wir auch gemeinsame Debatten und Diskussion und damit eine europäische Öffentlichkeit.

  1. Grundlegendes sichern, Reformen mutig angehen!

Die Mitgliedstaaten der EU sollten auch den Mut haben, strukturell und institutionell voranzugehen.

Wir fordern, dass nach Jahren des Stillstands endlich Reformen der institutionellen Ausgestaltung der EU angegangen werden. Es ist offensichtlich, dass in einer EU, in der einzelne Mitgliedstaaten stetig die gemeinsamen Interessen der Vielen ausbremsen können, die Handlungsfähigkeit abnimmt. Schon seit Jahren fordern wir deshalb die flächendeckende Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips, die von einer Stärkung der europäischen Öffentlichkeit begleitet werden muss, um nationalistische Tendenzen in bestimmten Ländern zu vermeiden und das europäische Interesse bei Abstimmungen auch in der nationalen Öffentlichkeit in den Vordergrund zu rücken. Auch die Reform des Wahlsystems ist dringend geboten, um sowohl die Effektivität europäischer Entscheidungen wie auch die Legitimation der Institutionen zu erhöhen. Darüber hinaus braucht es auch Reformen im Kleinen, wie eine Verankerung der Rechtsstaatskonditionalität im Mehrjährigen Finanzrahmen.

Konkret fordern wir dabei, dass die Nichteinhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien mit einer teilweisen oder vollständigen Streichung oder einer Aussetzung von Kohäsionsmittel durch die Kommission einher gehen kann. Der Rat der Europäischen Union hat die Möglichkeit, dieser Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit zu widersprechen. Außerdem dürfen die jährlichen Rechtsstaatlichkeitsberichte an die Mitgliedsstaaten nicht nur ein Blatt Papier sein: Sie müssen im Falle von Verstößen verbindliche Handlungsanweisungen an die Mitgliedsstaaten enthalten. Bei Nichteinhaltung müssen entsprechende Sanktionsmechanismen vorgesehen werden.

Wenn dies nicht gelingt, muss auch über die Idee des Kern-Europas neu nachgedacht werden. Die Mehrheit in Europa darf sich nicht einzelnen nationalistischen Regierungen, die Werte missachten und Gemeinsames bewusst torpedieren, beugen. Dabei müssen aber zwingend die Bürger*innen in den betreffenden Ländern mit einbezogen werden.

  1. Europäische Politik in wichtigen Bereichen weiterentwickeln

Schließlich muss, aufbauend auf einem neu gesicherten und weiterentwickelten Fundament, europäische Politik in wichtigen Bereichen weiterentwickelt werden.

Die EU MUSS zukünftig eine stärkere Rolle auf der internationalen Ebene einnehmen. Europa sollte sich als friedliche Macht positionieren, die sich für Menschenrechte, Demokratie, eine regelbasierte internationale Politik und das Völkerrecht weltweit einsetzt. Dazu muss Europa mit einer Stimme sprechen und eine neue gemeinsame außenpolitische Linie verfolgen, die nicht von postkolonialen Ansprüchen sondern der Gleichheit aller Menschen und Staaten geprägt ist.

Wir werden zukünftig weiter und noch viel mehr mit globalen Krisen, allen voran den Auswirkungen der Klimakatastrophe, konfrontiert werden. Im Kampf gegen und der Anpassung an die Klimakatastrophe muss die EU aktiv vorangehen. Um eine CO2- neutrale EU bis 2050 zu erreichen, braucht es jetzt streng gesetzte politische Ziele, eine Umstellung der Wirtschaft wie z.B. durch den European Green Deal, eine gemeinsame europäische Energieunion und ausreichende Finanzierung in neue klimafreundliche Technologien. Die Politiken der nächsten Jahre müssen neben der Abschwächung der Klimakatastrophe auch bereits auf die Anpassung an die Klimafolgen gerichtet sein. So müssen beispielsweise frühzeitig Hilfsprogramme aufgesetzt werden für Regionen, die entweder durch steigenden Meeresspiegel, Verwüstung und Dürre oder schlimmere Naturkatastrophen gefährdet sind.

Die gemeinsame europäische Asyl- und Migrationspolitik muss so weiterentwickelt werden, dass sie europäischen Werten sowie der Verantwortung und den Möglichkeiten Europas gerecht wird. Wir setzen uns daher weiterhin für eine Reform der Dublin-III-Verordnung ein, um die humanitär dramatische Lage an den EU-Außengrenzen abzuwenden. Zwar bemüht sich die Europäische Kommission, mit ihrem Vorschlag zur Reform der Migrationspolitik eine europäische Einigung zu erzielen. Jedoch müssen wir feststellen, dass der Vorschlag an dem bisherigen Prinzip der Dublin-III-Verordnung kaum etwas verändern würde. Anstelle einer solidarischen Verteilung der Geflüchteten sind knallharte Abschiebungen das Credo der Stunde. Aus unserer Sicht ist der vorgeschlagene Migrationspakt damit keinesfalls eine Wende des Status Quo. Für eine solidarische Verteilung der Geflüchteten sind eher schnellere Asylverfahren für Schutzsuchende erforderlich, die derzeit teilweise mehrere Monate in Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen verbringen. Geflüchtete sollen auf Basis eines von uns geforderten Verteilungsschlüssels, der auf BIP, Einwohner*innenzahl und Wünschen der Geflüchteten basiert, nach der Registrierung unmittelbar auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden. Dies würde neben einer effizienteren Abhandlung laufender Verfahren auch der Entstehung menschenunwürdiger Aufnahmezentren wie im griechischen Moria vorbeugen.

Die europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik muss verbessert werden. Wir brauchen eine Stärkung sozialer Rechte und Absicherungen und vor allem auch eine europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik, die sich noch stärker der Rechte und Interessen junger Menschen annimmt, um zu verhindern, dass Wirtschaftskrisen ganze Generationen überproportional treffen.

In der europäischen Jugendpolitik ist es entscheidend, dass die Rechte und Freiräume junger Menschen gestärkt werden und ihre Beteiligung verbessert wird. Dafür ist die Finanzierung von demokratischen, zivilgesellschaftlichen (Jugend)- organisationen genauso entscheidend wie die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre in der Reform des europäischen Wahlrechts.

In diesen zentralen und weiteren Bereichen entscheidet sich Europas Zukunft jetzt. Deshalb werden wir als JEF die Zukunft, die uns vorschwebt, jetzt einfordern und aktiv für sie einstehen. Daher: Lasst Europa nicht im Regen stehen!

BundessekretariatLasst Europa nicht im Regen stehen
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Forderungen zur EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands 2020

Forderungen der JEF und Europa-Union Deutschland zur EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands 2020

Gemeinsamer Bundesausschuss am 30. November 2019

Beschluss im Wortlaut:


Forderungen der JEF und Europa-Union Deutschland zur EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands 2020

Im zweiten Halbjahr 2020 übernimmt Deutschland turnusgemäß die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union. Die Europa-Union Deutschland und die Jungen Europäischen Föderalisten Deutschland fordern die Bundesregierung auf, diese Gelegenheit zu nutzen, um für die Zukunft Europas entscheidende Themen voranzubringen.

Leitgedanke soll dabei sein, die Einheit Europas zu wahren und zugleich die europäische Integration durch mutige Schritte und notfalls verschiedene Geschwindigkeiten der Integration voranzubringen.

Hierzu gehören grundlegende Reformen in der Art der Zusammenarbeit der Europäischen Institutionen, die im Rahmen der Verträge möglich sind:

  • Transparenz der Gesetzgebung durch öffentliche Sitzungen der Räte, wenn sie gesetzgeberisch tätig werden
  • Vor-und Nachbereitung aller Ratssitzungen in Brüssel in den entsprechenden Ausschüssen des Bundestages mit einer klaren Mandatierung der zuständigen Minister
  • Unterstützung der Forderung der neu gewählten Präsidentin der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments nach einer Beibehaltung bzw. Stärkung des Spitzenkandidatenprinzips durch eine Reform der EU-Verordnung 1141/2014. Ziel dieser Reform muss insbesondere die Stärkung einer europäischen Parteiendemokratie mit echten transnationalen Parteien statt eines losen Zusammenschlusses nationaler Parteien sein.
  • Unterstützung der Initiative des Europäischen Parlaments zur Einführung eines einheitlichen europäischen Wahlrechts, das die verschiedenen nationalen Regelungen ersetzt
  • Schrittweise Einführung von Mehrheitsentscheidungen in Fragen der Außen-und Sicherheitspolitik.

Die deutsche Ratspräsidentschaft sollte neben obigen Reformen, auch schon im Vorfeld der Ratspräsidentschaft, in folgenden Politikfeldern Schwerpunkte setzen:

  • Unterstützung der Initiativeder neu gewählten Präsidentin der Europäischen Kommission für eine Konferenz zur Zukunft Europas, insbesondere unter verstärkter Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft. Die Europa-Union Deutschland und die Jungen Europäischen Föderalisten Deutschland stehen bereit, sich als Stimme der pro-europäischen Bürgergesellschaft aktiv in diesen Prozess einzubringen.
  • Aufstockung der nationalen Beiträge zum Mehrjährigen Finanzrahmen auf mindestens 1,3 % des BIP, einhergehend mit dessen Ausrichtung an gesamteuropäischen Prioritäten; d.h. eine Schwerpunktsetzung für Investitionen in Forschung und Entwicklung, Infrastruktur, Klimaschutz und Nachhaltigkeit sowie in Bildung und die Angleichung der Lebensverhältnisse
  • Bekämpfung von Fluchtursachen durch eine aktive Afrika-und Nahostpolitik sowie gemeinsames Handeln in der Entwicklungszusammenarbeit
  • Nachhaltige Reform der europäischen Asyl-und Migrationspolitik inklusive der Regeln des Dublin-Systems, um Grenzkontrollen an europäischen Binnengrenzen dauerhaft zu vermeiden. Dazu gehört auch die Wahrnehmung des Schutzes der EU-Außengrenzen als europäische Gemeinschaftsaufgabe, nicht zuletzt, um eine einheitliche Rechtsanwendung und effektiven Grenzschutz sicherzustellen.
  • Vollendung der Wirtschafts-und Währungsunion;hierzu gehören zeitgemäße Regelungen in der Digitalpolitik ebenso wie die Vollendung der Bankenunionsowiedie Aufwertung der sozialen Säule als elementarer Teil einer sozialen Marktwirtschaft.
  • Stärkung der internationalen Rolle der Europäischen Union.

Diese Themen sollten auch in die – wahrscheinlich während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft stattfindende – Konferenz zur Zukunft Europas eingebracht werden; hierbei sollten Vertragsänderungen nicht ausgeschlossen werden.

Forderungen zur EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands 2020
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