Beschluss im Wortlaut:
Zeitgemäße und humane Asyl- und Migrationspolitik in der EU
Die Europäische Union steht im Rahmen der derzeitigen Flüchtlingssituation vor einer ihrer größten Herausforderungen. Die anhaltenden Flüchtlingsströme, die steigende Anzahl der Toten im Mittelmeer, die Überlastung vieler Mitgliedsstaaten und ihrer föderalen Untergliederungen, die humanitär katastrophalen Zustände für Flüchtlinge in einigen Mitgliedsstaaten, verstärkter Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie die wachsende Konzentration auf nationale Grenzen stellen die EU vor eine neue Situation, in der sie es derzeit weder schafft ihren Grundwerten, noch ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Daher fordern die Jungen Europäischen Föderalisten Deutschland die Entwicklung einer neuen gemeinsamen europäischen Asyl- und Migrationspolitik.
1. Gegen Rassismus und Hetze
a. Die JEF Deutschland stellt sich gegen jede Form rassistischer und fremdenfeindlicher Hetze gegenüber Migrant*innen und insbesondere gegenüber Geflüchteten. Ausschreitungen nationalistischer und extremistischer Gruppierungen wie Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte zeugen von einer Intoleranz, die in der deutschen und der europäischen Zivilgesellschaft glücklicherweise bisher keine Mehrheit findet und auch keinen Platz finden darf. In den letzten Wochen wurde die Hilfsbereitschaft der europäischen Bürger*innen an vielen Stellen deutlich, die Leistung von Haupt- und Ehrenamtlichen in München, Wien, Budapest und andernorts ist beeindruckend. Umso bedauerlicher ist es, wenn gerade die Regierungen einiger Mitgliedstaaten weiterhin nationale Ressentiments schüren und unberechtigte Vorurteile bedienen. Geflüchtete sind keine Invasoren, sondern benötigen einen sicheren Ort – wir fordern deshalb eine solidarische Asylpolitik.
b. Die EU muss gemeinsam mit weiteren europäischen Ländern offen Antiziganismus in Europa thematisieren und begegnen. Ein großer Teil der Flüchtlinge aus der BalkanRegion sind Sinti und Roma. Sie sind systematisch in ihren Herkunftsländern benachteiligt, wie beispielsweise durch den Ausschluss der Kinder vielerorts von der Schule. Dadurch ist eine Eingliederung in das Arbeitsleben häufig unmöglich. Auch innerhalb der EU sind Sinti und Roma in einigen Ländern benachteiligt, eine von Behörden und Bevölkerung benachteiligte Minderheit und täglichem Rassismus ausgesetzt. Dies hat zu starker innereuropäischer Migration dieser Personengruppe geführt. Wir fordern daher, dass die Mitgliedsstaaten gemeinsam mit den Balkanländern an einer konsequenteren Umsetzung der Antiziganismusstrategie arbeiten, um die Situation von Sinti und Roma im Balkan als auch in allen EU-Mitgliedsstaaten zu verbessern. Nur durch Anerkennung, dass Europa insgesamt hier ein gesellschaftliches Problem hat und durch bewusste gemeinsame strukturelle Maßnahmen, kann dieses Problem überwunden und können die starken Wanderbewegungen gelindert werden.
2. Sicher sein – Für eine solidarische Asylpolitik
a. Wir fordern sichere Wege zur Geltendmachung des Menschenrechts auf Asyl. Niemand darf sein Leben riskieren müssen, um die letzte Etappe in die EU zu meistern. Wir begrüßen die Aufstockung der finanziellen Mittel und die Ausweitung des Einsatzgebietes der Operation Triton. Wir fordern, dass Triton die finanzielle Aufstockung nach dem Vorbild von Mare Nostrum verwendet, um dem Ziel der Küstenwache zur Seenotrettung gerecht zu werden. Trotz aller Bemühungen wird es sich voraussichtlich nicht vermeiden lassen, dass dennoch Menschen im Mittelmeer sterben. Ein pietätvoller Umgang mit den Leichnamen ist ein Grundwert unserer Gesellschaft, eine würdige Einzelbestattung muss in Europa ermöglicht werden. Die Errichtung von Stacheldrahtzäunen und der Einsatz von militärischen Einheiten zur Grenzsicherung durch einzelne Mitgliedsstaaten zeigt in diesen Tagen die inhumane Dimension der Asylpolitik Europas: Ein Grundrecht endet nicht am Grenzzaun!
b. Wir fordern neue Einreisebestimmungen, die es Menschen ermöglichen, im Ausland Schengen- Visa aufgrund humanitärer Dringlichkeit zu erhalten. Nur so ist eine legale Einreise, die dem massenhafte Sterben auf dem Mittelmeer entgegenwirkt, möglich. Weiterhin fordern wir die Entkriminalisierung von Menschen, die ohne ein Visum einreisen. Zahlreiche Mitgliedsstaaten verabschiedeten Gesetze, die es ermöglichen Geflüchtete ohne Einreisepapiere zu inhaftieren. Dies ermöglicht behördliche Willkür und befeuert institutionelle Diskriminierung. Dem muss durch eine Entkriminalisierung vorgebeugt werden. Flucht ist kein Verbrechen – Geflüchtete gehören nicht ins Gefängnis!
c. Wir fordern eine solidarische Lastenteilung unter den Mitgliedsstaaten. Ungleichbelastung der Mitgliedstaaten führt zu Spannungen, die rationale Entscheidungen zum Wohle der Betroffenen erschweren. Alle Mitgliedsstaaten haben sich mit dem Beitritt in die EU für die gemeinsame Ausübung ihrer Souveränitätsrechte entschieden und dies in der Asylpolitik zuletzt im Vertrag von Lissabon (Art. 78 Abs. 1 AEUV) bestärkt. Befürchtungen vor Überfremdung oder angebliche kulturelle und historische Verschiedenheit können keine Ausreden für unsolidarisches Verhalten sein. Die Initiativen der Kommission sind begrüßenswert und in der aktuellen Krisensituation richtige Sofortmaßnahmen. Doch auch diese sind am Ende nur ein Tropfen auf dem heißen Stein: Es braucht einen dauerhaften Mechanismus zur gerechten Verteilung von Asylbewerber*innen innerhalb der EU. Das in Art. 78 Abs. 2 lit. f AEUV beschlossene Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines Antrags zuständig ist, muss den Schutz der Geflüchteten sicherstellen. Das Dublin-System hat hierin versagt. Daher fordern wir die Außerkraftsetzung der Dublin-III-Verordnung und die Einsetzung einer neuen Verordnung, welche ein einheitliches Verfahren durch eine gerechte und quotierte Verteilung auf die Mitgliedsstaaten sichert. Indikatoren für eine quotierte Verteilung können dabei das BIP sowie die Größe der Population der jeweiligen Mitgliedsstaaten sein. Einzelne Mitgliedsstaaten dürfen sich nicht mehr von der Aufnahme von Asylbewerber*innen, der finanziellen Unterstützung der Seenotrettung oder Unterbringung von Geflüchteten ausnehmen und sollten mit Sanktionen, z.B. durch Verringerung von EFRE- und EFS-Mitteln, rechnen müssen, falls sie diese Maßnahmen weiterhin verweigern. Zu einer Europäisierung des Asylrechts gehört auch, dass die EU eine gemeinsame politische Einschätzung von Drittstaaten vorlegen und eine EU-Liste von sicheren Herkunftsstaaten die nationalen Listen ablöst.
d. Wir unterstreichen unsere bereits im Politischen Programm der JEF Deutschland verankerte Forderung, die Asylpolitik umfassend zu vergemeinschaften und diese mittelfrisitig in die alleinige Zuständikeit der Europäischen Union zu überführen. Wesentlicher Bestandteil ist dabei die Schaffung einer europäischen Asylbehörde, die solidarisch und europaweit einheitlich über Asylanträge entscheidet.
e. Sofern sich die EU vorbehält, sichere Herkunftsstaaten zu beschließen, fordern wir dabei insbesondere auch die Situation für aufgrund von sexueller Orientierung und Identität in den Herkunftsländern Verfolgten zu berücksichtigen. Länder in denen sexuelle Orientierung und Identität rechtlich verfolgt oder vom Staat nicht vor der Willkür der Bevölkerung geschützt werden, dürfen nicht als sichere Herkunftsländer gelten.“
f. Die Europäische Union soll ihre Kooperation mit dem UNHCR für das ResettlementProgramm ausweiten.
g. Wir fordern die sofortige Personalaufstockung in den Botschaften der Mitgliedsstaaten in der Türkei, dem Irak, Jordanien und dem Libanon. Personen, die auf ein berechtigtes Visum zur Nachreise im Sinne der Familienzusammenführung warten, dürfen nicht in einer gefahrenvollen und prekären Situation über Monate hingehalten werden. Unsere Forderung der Personalaufstockung bezieht sich auch auf die jeweils zuständigen Stellen der Asylrechtsprüfung in den Mitgliedsstaaten. Es ist im Interesse aller Beteiligten, die Prüfverfahren zu beschleunigen, um so eine frühestmögliche Integration in die Gesellschaft oder bei negativem Bescheid und Verwaltungsgerichtsverfahren eine alsbaldige Entlastung der Aufnahmekapazitäten zu erreichen.
h. Wir fordern eine nachhaltige Integration von Geflüchteten in die Gesellschaft durch kostenlose und bedarfsgerechte Sprachkurse, Integrationskurse, gegebenenfalls Alphabetisierungskurse, eine konsequente Beschulung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie die Möglichkeit, schnellstmöglich eine Arbeitsgenehmigung zu erhalten.
3. Der andere Weg – Für eine vernünftige Einwanderungspolitik
a. Nicht jeder, der in die Europäische Union einwandern möchte, sollte Asyl beantragen müssen. Es muss einen anderen Weg geben – wir fordern eine vernünftige Einwanderungspolitik. Menschen muss verstärkt ermöglicht werden auf legalem Weg Arbeitsvisa zu beantragen. Zahlreiche Mitgliedsstaaten klagen über Fachkräftemangel, die derzeitig legalen Möglichkeiten einer Arbeitsmigration in die EU sind jedoch begrenzt. Menschen aus Nicht-EU-Ländern muss deshalb verstärkt ermöglicht werden, auf legalem Weg Arbeitsvisa zu beantragen. Die EU sollte sich den Chancen einer Erweiterung der legalen Arbeitsmigration endlich bewusst werden.
b. Insbesondere in Anbetracht des Zustroms von Menschen aus den Ländern des Balkans, für die das Asylrecht häufig keine Bleibeperspektive bietet, muss eine ehrliche Einwanderungspolitik von einer nachhaltigen Nachbarschaftspolitik begleitet werden. Hierzu gehört es, diese Länder weiter bei staatlichen Reformen und Transformationsprozessen zu unterstützen und das wirtschaftliche und politische System zu stärken. So können langfristig die Voraussetzungen geschaffen werden, die den Menschen ein selbstbestimmtes Leben in ihren Heimatländern ermöglichen.
4. Nationale Egoismen überwinden – Für eine europäische Lösung
Nationale Egoismen lösen keine europäischen Krisen sind keine Lösung – wir fordern deswegen ein gemeinsames europäisches Vorgehen. Die verbale Eskalation zwischen den Mitgliedsstaaten in den letzten Wochen war erschreckend und sollte eine Mahnung sein, wie sehr und wie schnell nationale Alleingänge den Betroffenen und der EU schaden können. Der im Rat geführte Verhandlungspoker hat zu nationalen Kurzschlussreaktionen geführt, die berechtigte Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Wertegemeinschaft genährt haben. Die Verträge der EU bieten mit den klar geregelten Prozeduren der Gesetzgebungsverfahren – auch in der Asyl- und Migrationspolitik – bessere Arten der Problembewältigung als improvisierte Krisengipfel der Staats- und Regierungschefs. Die notwendige Einstimmigkeit auf diesen Gipfeln blockiert allzu häufig eine effiziente Lösungsfindung, weswegen wir die Mehrheitsbeschlüsse des Rats begrüßen und seine Mitglieder auffordern, dieses demokratische Instrument auch in anderen Politikbereichen intensiver zu nutzen.
Die von den Verträgen vorgesehenen Verfahren müssen genutzt und ihre Ergebnisse müssen umgesetzt werden – gerade bei der Überführung der bereits beschlossenen Richtlinien des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in nationales Recht sind Verzögerungen fahrlässig. Gemeinsames europäisches Handeln muss die Antwort auf gemeinsame europäische Krisen sein.