Wie viel „Kerneuropa“ wir brauchen, um den Euro zu retten – und wie wir das machen

60. Beschluss des Bundeskongress in Münster, 26.-27. Oktober 2013

Wie viel „Kerneuropa“ wir brauchen, um den Euro zu retten – und wie wir das machen

Beschluss im Wortlaut:

Die Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise, die Europa seit 2008 in Atem hält, hat zahlreiche institutionelle Schwächen der europäischen Währungsunion (“Eurokrise”) verdeutlicht. Diese zeigen sich gleich in mehreren Bereichen, nämlich sowohl in der Anfälligkeit für asymmetrische Konjunkturschocks als auch in der geringen Reaktionsfähigkeit auf strukturelle Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedstaaten. Zudem haben – nicht zuletzt durch den Versuch, die gesamteuropäische Krise auf nationaler Ebene zu bekämpfen – viele Mitgliedstaaten in den letzten Jahren hohe Schuldenberge angehäuft, die sie nicht alleine werden abtragen können. Für den Fortbestand der Währungsunion sind deshalb tiefgreifende Reformen notwendig. Die konkrete Ausgestaltung der in diesem Papier aufgeführten Politikfelder bleibt dem demokratischen Willensbildungsprozess auf europäischer Ebene überlassen. Hierbei soll das Europäische Parlament eine zentrale Rolle spielen. Der Subsidiaritätsgrundsatz muss gewahrt bleiben.

Wie eine Lösung für diese institutionellen Probleme aussehen könnte, zeigt das politische Programm der Jungen Europäischen Föderalisten. Allerdings hat die Erfahrung gezeigt, dass bei der Umsetzung großer Reformschritte immer wieder politische Hindernisse in einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auftreten. Dies betrifft etwa Länder mit starken europaskeptischen Bewegungen, aber auch Staaten wie Deutschland, deren Integrationsfähigkeit durch enge verfassungsrechtliche Vorgaben eingeschränkt ist. Das folgende Papier soll deshalb ein Mindestprogramm aufzeigen, wie die Eurokrise überwunden und die Währungsunion gegen künftige Krisen gewappnet werden kann – auch wenn sich nicht alle Mitgliedstaaten an sämtlichen Reformschritten beteiligen wollen oder können. Deshalb beschreibt dieses Papier ein Kerneuropa, das notwendig ist, um die Wirtschafts- und Währungsunion krisenfest zu machen. Es stellt für die beteiligten Mitgliedstaaten einen qualitativen Sprung dar, bleibt aber weitgehend innerhalb der bestehenden europäischen Verträge und der mitgliedstaatlichen Verfassungen, nicht zuletzt der deutschen. Denn so sehr die JEF einen größeren föderalistischen Sprung begrüßen würden, würde er mindestens als Mittel gegen die gegenwärtige Krise und zur Verhinderung einer nächsten wahrscheinlich zu spät abgeschlossen werden können.

1. Ausgleich Asymmetrischer Konjunkturkrisen

Ein zentrales Problem der Eurozone ist ihre Anfälligkeit für wirtschaftliche Schocks, die ihre einzelnen Teile unterschiedlich stark betreffen, so dass manche Mitgliedstaaten in eine Rezession eintreten, während andere sich im Boom befinden. Solange Staaten eine eigene Währung haben, können sie auf solche „asymmetrischen Krisen“ mit einer Anpassung der Wechselkurse sowie mit der nationalen Geld- und Fiskalpolitik reagieren. In der Währungsunion entfallen diese Möglichkeiten der Konjunkturstabilisierung jedoch, was zu einer selbstverstärkenden Dynamik führt: Während die Krisenstaaten die Rezession nur schwer überwinden, kommt es in den Boomländern zu erhöhter Inflation und Blasenbildung. Gleichzeitig versagen in einer solchen Situation auch die zinspolitischen Instrumente der Zentralbank, da das optimale Leitzinsniveau der beteiligten Staaten voneinander abweicht.

Innerhalb von Nationalstaaten werden asymmetrische Konjunkturentwicklungen zwischen einzelnen Regionen durch automatische Stabilisatoren wie das Steuer- und das Sozialsystem abgefedert, die finanzielle Transfers von den Boom- in die Krisenregionen auslösen. Zudem können die Nationalstaaten konjunkturelle Krisen auch über den Staatshaushalt dämpfen, indem sie diskretionäre Ausgaben (etwa für öffentliche Investitionen oder für konjunkturpolitische Maßnahmen wie die Kurzarbeit) gezielt zu Krisenzeiten bzw. in Krisenregionen tätigen. Auf europäischer Ebene fehlen solche Instrumente bislang jedoch fast vollständig. Infolgedessen erlebte die Eurozone bereits zwei schwere asymmetrische Krisen: Anfang der 2000er Jahre ging die deutsche Wirtschaftskrise mit der Entstehung von Immobilienblasen in Südeuropa einher, während umgekehrt die derzeitige Eurokrise die südeuropäischen Staaten in eine massive Rezession stürzte, von der die nordeuropäischen Länder kaum betroffen sind.

1.1 Europäische Arbeitslosenversicherung

Die JEF Deutschland bekräftigen deshalb ihre Forderung nach der Einführung einer europäischen Arbeitslosen-Mindestversicherung (EALMV), die als automatischer interregionaler Stabilisator auf europäischer Ebene wirken soll. Diese EALMV soll sich aus Lohnnebenkosten finanzieren und die derzeit bestehenden nationalen Versicherungssysteme für kurzfristige Arbeitslosigkeit teilweise ersetzen. Ihre genaue Funktionsweise haben wir in einem Bundesausschussbeschluss vom 9. Juni 2013 beschrieben. Die EALMV wäre rechtlich auf Grundlage von Art. 352 AEU-Vertrag möglich und könnte – wenn sich nicht alle Mitgliedstaaten daran beteiligen wollen – auch in Form einer Verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 20 EUVertrag verwirklicht werden.

1.2 Ausweitung des EU-Haushalts

Die EALMV wird bereits bedeutende Effekte auf die interregionale Konjunkturstabilisierung haben. Die europäischen Organe sollten diese Wirkung jedoch zusätzlich auch durch diskretionäre Haushaltsausgaben stützen können, etwa in Form eines europäischen Kurzarbeitergeldes oder von Investitionen in Infrastrukturprojekte. Zu diesem Zweck ist eine deutliche Aufstockung des EU-Haushalts unerlässlich.

Die jüngsten Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 haben allerdings gezeigt, dass in einigen Mitgliedstaaten starke politische Vorbehalte gegen eine Erhöhung des EU-Haushalts bestehen. Auch für diese Maßnahme wird es deshalb wahrscheinlich notwendig, dass eine Gruppe von Mitgliedstaaten allein voranschreitet. Innerhalb der bestehenden EU-Verträge wäre dies dadurch möglich, dass im gemeinsamen EU-Budget eine besondere Haushaltslinie eingerichtet wird, die nur für Ausgaben in den beteiligten Staaten eingesetzt werden kann. Zugleich würde im EU-Eigenmittelbeschluss eine Ausnahmeregelung eingeführt, durch die sich die Länder, die nicht an der besonderen Haushaltslinie teilnehmen, auch nicht an deren Finanzierung beteiligen müssen. Außerdem sollte die jährliche Obergrenze der neuen Haushaltslinie im mehrjährigen Finanzrahmen hinreichend flexibel ausgestaltet sein, um eine schnelle Reaktion auf die Konjunkturentwicklung zu ermöglichen. Wenn diese neue Haushaltslinie groß genug ist, um konjunkturpolitische Maßnahmen künftig gesamteuropäisch zu finanzieren, würde sich ein bedeutender Teil der bisher von den Mitgliedstaaten getätigten Ausgaben auf die europäische Ebene verlagern. Dadurch würde auch der nationale Finanzierungsbedarf sinken, sodass europäische Maßnahmen zur Stützung der nationalen Haushalte (etwa in Form des ESM oder von möglichen Eurobonds) als Kriseninstrumente weniger notwendig würden. Damit die zusätzlichen europäischen Ausgaben auch langfristig nachhaltige Wirkungen haben, sollten sie in Einklang mit den Europa2020- Zielen stehen.

1.3 Finanzierung aus europäischen Steuern

Ein weiterer Effekt zur interregionalen Konjunkturstabilisierung lässt sich erzielen, wenn die Ausweitung des EU-Haushalts primär durch konjunkturabhängige europäische Steuern finanziert wird. Neben zum Beispiel der Finanztransaktionssteuer und den Einnahmen aus CO2- Seite 3 von 8 Zertifikaten ist hierfür insbesondere eine europäische Körperschaftssteuer geeignet. Diese Steuer soll in allen beteiligten Mitgliedstaaten nach einer einheitlichen Bemessungsgrundlage erhoben werden und stellt einen Sockelprozentsatz dar. Den Mitgliedstaaten verbleibt die Möglichkeit einer ergänzenden Besteuerung, um den föderalen Wettbewerb nicht vollends außer Kraft zu setzen.

Die Höhe dieser Steuern würde jeweils im EU-Eigenmittelbeschluss festgelegt, der von den Parlamenten aller Mitgliedstaaten ratifiziert wird. Sie würde daher auch nicht gegen die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts verstoßen, nach der alle wesentlichen Entscheidungen über Art und Höhe der den Bürger treffenden Abgaben im Deutschen Bundestag getroffen werden müssen.

2. Reduzierung Struktureller Ungleichgewichte

Neben der Anfälligkeit für asymmetrische Konjunkturschocks leidet die Eurozone auch an strukturellen Ungleichgewichten. Da wesentliche wirtschaftspolitische Entscheidungen bislang allein auf nationaler Ebene und zu wenig gemeinsam getroffen werden, hat sich die wirtschaftliche Produktivität der einzelnen EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren teils sehr unterschiedlich entwickelt. Diese Unterschiede hätten bei getrennten Währungen nur geringe grenzüberschreitende Wirkungen, da sie durch den Wechselkurs aufgefangen würden: Bei den weniger produktiven Ländern würde der Kurs der Währung sinken, sodass Exporte günstiger und Importe teurer werden würden. In der Währungsunion hingegen entstehen aus einer wachsenden Produktivitätslücke demokratische und wirtschaftliche Probleme. Staaten treffen unterschiedliche Abwägungen hinsichtlich ihrer Wirtschafts- und Sozialversicherungssysteme. Der Druck der Finanzmärkte zwingt Staaten mit schwächerer Wirtschaftsleistung, die wirtschaftspolitischen Entscheidungen wirtschaftlich stärkerer Staaten nachzuvollziehen. Dadurch entscheiden die Regierungen mancher Staaten die Bedingungen der Wirtschaftspolitik anderer Staaten – ohne dass die Bürger der letzteren Einfluss darauf hätten. Das widerspricht dem grundlegenden demokratischen Prinzip, dass die Betroffenen einer Entscheidung auch darüber abstimmungsberechtigt sein sollten.

Weiter entstehen wirtschaftliche Risiken:

  • Handelsbilanzungleichgewichte: Da der Euro-Kurs sich am Durchschnitt aller Mitgliedstaaten orientiert, ist er für die weniger produktiven Länder zu hoch, für die produktiveren zu niedrig. Dadurch sind in den weniger produktiven Ländern Importe im Vergleich zur eigenen Leistung zu billig, in den produktiven zu teuer. Dies führt zu selbstverstärkenden Handelsbilanzungleichgewichten.
  • Sicherer-Hafen-Effekt: Aufgrund der besseren Wachstumsaussichten nehmen Anleger die produktiveren Länder in einer Finanzkrise als „sichere Häfen“ wahr, was zu einer Kapitalflucht aus den weniger produktiven Ländern führen kann. Dadurch entwickeln ursprünglich symmetrische Schocks in der Eurozone asymmetrische Wirkungen – ein Effekt, der besonders in der derzeitigen Krise zu beobachten war.
  • Haushaltskrisen: Eine niedrigere Produktivität führt bei sonst gleichen Umständen auch zu niedrigeren öffentlichen Einnahmen. Die weniger produktiven Staaten sind deshalb (insbesondere bei einem asymmetrisch wirkenden Schock) anfälliger für Haushaltskrisen. Da ein nationaler Staatsbankrott aufgrund der verflochtenen Kapitalmärkte hohe externe Effekte auch für die übrigen Mitgliedstaaten hätte, liegt die Vermeidung solcher Haushaltskrisen im Interesse der gesamten EU.

2.1 Mehr gemeinsame Wirtschaftspolitik

Um die Währungsunion weniger krisenanfällig zu machen, ist deshalb eine Angleichung der Produktivitätsniveaus in den Mitgliedstaaten notwendig. Ursache für die bisherigen Produktivitätsunterschiede ist häufig, dass rechtliche Regelungen in einzelnen Staaten den freien Wettbewerb einschränken. Dies kann im Wege der Rahmengesetzgebung geschehen, wobei allerdings drei Politikfelder besonders hervorstechen:

  • das Arbeitsrecht (z. B. durch einen hohen Kündigungsschutz oder hohe Mindestlöhne, die fest angestellte Arbeitnehmer vor der Konkurrenz durch Arbeitslose und Berufseinsteiger schützen),
  • der Umwelt- und Verbraucherschutz (z. B. indem durch überhöhte Standards Wettbewerber vom Markt ausgeschlossen werden),
  • die Gewerbeaufsicht (z. B. indem durch eine künstliche Verknappung der Gewerbelizenzen Konkurrenz verhindert wird).

Diese Wettbewerbseinschränkungen sind manchmal auf die Schwäche der demokratischen, administrativen und zivilgesellschaftlichen Institutionen zurückzuführen, die es starken Interessengruppen in einzelnen Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre eigenen Partikularinteressen rechtlich zu verankern und so auf Kosten der Allgemeinheit Profite zu erzielen. In anderen Fällen handelt es sich aber auch um legitime politische Abwägungen, bei denen nationale demokratische Mehrheiten bewusst eine geringere Produktivität zugunsten eines höheren Arbeits-, Umwelt- oder Verbraucherschutzes in Kauf nahmen. In jedem Fall aber können dadurch gefährliche Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedstaaten entstehen.

1. Stufe: Stärkung des europäischen Semesters Auch die Eurokrise ist zu einem wichtigen Anteil auf eine solche Produktivitätslücke zurückzuführen. Alle Länder, die zu den daraus entstandenen makroökonomischen Ungleichgewichten beigetragen haben, sollten auch zu einer Lösung beitragen. Beispielsweise könnte das durch die Erhöhung der Löhne in Deutschland und einen Verzicht auf Lohnerhöhungen in anderen Ländern geschehen. Die bestehenden Instrumente zur Koordinierung nationaler Politik durch das europäische Semester und länderspezifische Empfehlungen sowie die Anpassungsprogramme im Gegenzug für Hilfskredite wurden teils bereits für die Umsetzung dieser Ziele genutzt. Dies könnte weiter gestärkt werden, indem das europäische Semester durch eine möglichst weitgehende Beteiligung des Europäischen Parlaments endlich stärker die europäische Öffentlichkeit erreicht. Dies sollte durch eine interinstitutionelle Vereinbarung möglichst verbindlich werden und auch regelmäßige Debatten einschließen, bei denen mitgliedstaatliche Regierungen ihre Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen im Plenum des EP erläutern und sich der Debatte mit den europäischen Abgeordneten stellen. Die EU-Kommission sollte sowohl für die volle Nutzung des Binnenmarktes zur Stärkung der Produktivität als auch für die Sicherung der sozialen Dimension der EU-Ziele die Möglichkeiten europäischer Richtlinien und Verordnungen ausschöpfen. Und auch bei der Berichterstattung zu den Europa2020-Ziele muss die EUKommission erlauben, in der Summe die europäischen Vertragsziele zu erfüllen.

2. Stufe: Europäisierung produktivitätsrelevanter Politikfelder Allerdings kann die EU bislang im Bereich Arbeitsrecht nur recht eingeschränkt Mindeststandards festlegen. Im Umwelt- und Verbraucherschutz und bei der Gewerbeaufsicht hat sie recht weitgehende Kompetenzen, wenn durch nationale Standards Wettbewerber aus anderen europäischen Staaten benachteiligt werden; wettbewerbliche Regeln müssen daher auch für nationale und lokale Märkte Geltung finden (z. B. bei Lizenzen im Taxi-Gewerbe). Hierfür genügt die Setzung eines rechtlichen Rahmens; die Anwendung dieses Rahmens auf den Einzelfall bleibt der nationalen Verwaltung überlassen. „Strukturreformen“, die in die genannten Bereiche eingriffen, erzwang die EU bisher meistens dadurch, dass Krisenstaaten als Bedingung für die Auszahlung von Hilfskrediten zu entsprechenden Beschlüssen des nationalen Parlaments verpflichtet wurden. Mit dieser Vorgehensweise gehen allerdings mehrere Probleme einher:

Erstens ist eine Krise nicht der beste Moment für Strukturreformen. Diese haben kurzfristig oft negative Auswirkungen für den Konsum (so führt etwa eine Lockerung des Kündigungsschutzes unmittelbar zu mehr Entlassungen) und verstärken dadurch Konjunktureffekte. Außerdem sollte die Eurozone strukturell in der Lage sein, Krisen schon präventiv zu vermeiden, statt erst im Nachhinein eine Produktivitätserhöhung in den betroffenen Staaten zu erzwingen.

Zweitens ist eine Durchsetzung von Strukturreformen durch Bedingungen für Hilfskredite auch demokratisch hoch problematisch, da hier keine klaren politischen Verantwortlichkeiten bestehen. Insbesondere können die Regierungen der Kreditgeber-Staaten in der Krise sehr stark über die Bedingungen der Strukturreformen bestimmen, ohne von der hauptsächlich betroffenen Bevölkerung der Krisenstaaten gewählt oder abwählbar zu sein. Dies ist vor allem deshalb problematisch, weil die angestrebte Produktivitätssteigerung – wie oben beschrieben – oft gegen andere politische Ziele abgewogen werden muss.

Eine sowohl präventive als auch demokratische Lösung, um eine ähnliche Produktivitätsentwicklung aller Mitgliedstaaten sicherzustellen, ist nur dadurch möglich, dass man der EU eine generelle Kompetenz zur Rahmengesetzgebung über die oben genannten Politikfelder überträgt – auch dort, wo es nicht offensichtlich um grenzüberschreitende Belange geht. Die wesentlichen produktivitätsrelevanten Beschlüsse würden dann europaweit in den gemeinsam gewählten supranationalen Organen getroffen. Dies bedeutet nicht, dass künftig sämtliche Standards europaweit einheitlich sein müssen. Vielmehr würde auch ein gesamteuropäischer Rahmen beispielsweise weiterhin Unterschiede im nationalen Bruttoinlandsprodukt berücksichtigen, um etwa Aufholprozesse der weniger entwickelten Staaten zu ermöglichen. Zudem wäre mit dem europäischen Gesetzgebungskompetenz keine inhaltliche Vorentscheidung verbunden: Ob im Zweifel die Wettbewerbsöffnung oder der Erhalt bestimmter Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards bevorzugt wird, bliebe den demokratischen Mehrheiten in den EUInstitutionen überlassen, die sich dafür vor der europäischen Bevölkerung als Ganzes verantworten müssen.

Aufgrund der starken negativen Effekte, die eine uneinheitliche Produktivitätsentwicklung auf alle Mitgliedstaaten der Währungsunion hat, ist eine solche Kompetenzausweitung der EU auch unter Subsidiaritätsgesichtspunkten geboten. Sie macht allerdings eine Änderung der EU-Verträge unausweichlich. Staaten, die sich nicht an dieser Reform beteiligen wollen (insbesondere Staaten außerhalb der Eurozone), könnten dabei die Möglichkeit eines Opt-outs von der gemeinsamen Gesetzgebung erhalten.

2.2 Vollständige Bankenunion

Auch wenn man wesentliche wirtschaftspolitische Felder europäisiert, werden jedoch auf absehbare Zeit Unterschiede in der Produktivität der verschiedenen Euro-Staaten fortbestehen. Deshalb sind zusätzliche Maßnahmen notwendig, um die oben beschriebenen Risiken einzudämmen, die aus diesen Unterschieden entstehen. Dies betrifft vor allem den SichererHafen-Effekt, der mit ursächlich für die derzeitige Eurokrise war.

Die Lösung dieses Problems ist eine Bankenunion, die für die europäischen Banken unabhängig von ihrem Sitzstaat europaweit gleiche Ausgangsbedingungen schafft. Entsprechende Vorschläge werden auf europäischer Ebene seit mehreren Monaten diskutiert. Neben der bereits beschlossenen europäischen Bankenaufsicht unterstützen die JEF auch die Einführung eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und einer gemeinsamen Einlagensicherung, wie sie ursprünglich auch von der Europäischen Kommission vorgeschlagen wurden. Sowohl für den Abwicklungsmechanismus als auch für die gemeinsame Einlagensicherung bevorzugen wir einen Fonds, der aus einer Bankenabgabe finanziert wird.

Für diese Maßnahmen kommen unterschiedliche Rechtsgrundlagen in Frage. Da sie dazu dienen, Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Banken im Europäischen Binnenmarkt zu überwinden, die aus der Vielzahl nationaler Abwicklungs- und Einlagensicherungssysteme entstehen, könnte Art. 114 Abs. 1 AEU-Vertrag herangezogen werden. Beim Wettbewerb im Binnenmarkt handelt es sich jedoch um eine ausschließliche Zuständigkeit der EU, so dass in diesem Fall keine Verstärkte Zusammenarbeit möglich wäre. Allerdings könnten bei der rechtlichen Umsetzung Ausnahmeregelungen für solche Mitgliedstaaten eingeführt werden, die sich nicht an dem gemeinsamen Abwicklungsmechanismus und der gemeinsamen Einlagensicherung beteiligen wollen. Alternativ wäre eine gemeinsame Einlagensicherung auch als Bestimmung zur Niederlassungsfreiheit denkbar, die auch eine Verstärkte Zusammenarbeit zulässt. Als Rechtsgrundlage für die notwendigen Verordnungen müsste dann auf Art. 352 AEU-Vertrag zurückgegriffen werden.

2.3 Fiskalregeln

Auch die übermäßige mitgliedstaatliche Verschuldung hat in der Krise stark negative Effekte für die Wirtschafts- und Währungsunion als Ganzes zur Folge gehabt. Dagegen wurde zwischen den meisten Mitgliedstaaten der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt) geschlossen. Wie auch die Richtlinien und Verordnungen der sogenannten Sixpack und Twopack erlauben sie nur noch eine sehr geringe Verschuldung der Mitgliedstaaten, verpflichten diese zum Abbau bestehender Schulden und stärken Sanktionen beim Verstoß gegen die Regeln des Stabilitätspaktes und der makroökonomischen Überwachung. Durch die von uns geforderte Sonderhaushaltslinie erledigt sich weitgehend die Kritik, dass innerhalb dieser Regeln mitgliedstaatliche Konjunkturpolitik nur noch schwer möglich ist, weil sie dadurch europäisch ausgeführt werden kann. Damit wird der Fiskalpakt auch makroökonomisch glaubwürdiger.

3. Abbau bestehender Altschulden

Die beschriebenen Reformen werden der europäischen Währungsunion die nötigen Instrumente geben, um Krisen wie die derzeitige in Zukunft zu verhindern. Um die Eurokrise selbst zu überwinden, sind jedoch noch weitere Schritte notwendig. Insbesondere müssen hierzu die bestehenden Altschulden der Mitgliedstaaten abgebaut werden, die diese in den letzten Jahren vor allem durch nationale Konjunktur- und Bankenrettungsmaßnahmen angehäuft haben. Dies führt zu Zweifeln an ihrer Zahlungsfähigkeit und übermäßige Zinsen auf ihre Staatsanleihen.

3.1 Schuldentilgungsfonds

Um die Schulden der Mitgliedstaaten abzubauen, unterstützen die JEF einen Schuldentilgungsfonds, ähnlich wie ihn auch der deutsche Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2012 vorgeschlagen hat. Dabei würden die bestehenden nationalen Altschulden aller Mitgliedstaaten, die zu einem bestimmten Stichtag 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, in einen Fonds mit gemeinsamer Haftung ausgelagert. Im Gegenzug übernehmen die beteiligten Länder Zahlungsverpflichtungen an den Fonds, durch die sie die ausgelagerten Schulden über einen Zeitraum von ca. 20-25 Jahren hinweg nach einem strikten Tilgungsplan reduzieren. Dies entspricht der bereits beschlossenen Regelung des „Sixpack“, nach der Euro-Länder mit einer Verschuldung von über 60 Prozent des BIP verpflichtet sind, die darüber liegenden Schulden pro Jahr um ein Zwanzigstel zu reduzieren.

Der Schuldentilgungsfonds würde die Zweifel an der kurzfristigen Zahlungsfähigkeit der EuroMitgliedstaaten senken und damit die bestehende Zinslast für ihre Staatsanleihen verringern. Er kann so dazu beitragen, die aktuelle Eurokrise zu überwinden und als Brücke für die neue Ordnung dienen, in der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik nicht mehr primär auf nationaler, sondern europäischer Ebene erfolgen.

3.2 Verhinderung von Steuervermeidung

Auch wenn die Auslagerung in den Schuldentilgungsfonds die laufende Zinslast der Mitgliedstaaten mindert, werden für die Tilgung der Altschulden auf höhere Steuereinnahmen angewiesen sein. Bereits vor der Krise standen die Staatshaushalte durch einen kaum beschränkten Steuerwettbewerb bei der Unternehmens- und Einkommensbesteuerung unter Druck. Vor allem multinationale Unternehmen konnten diesen nutzen, um ihre Gewinne bzw. Einkommen weitgehend der Besteuerung zu entziehen. Sie erzielen damit Vorteile aus der Größe ihrer ökonomischen Macht, was neben der Steuergerechtigkeit auch faire Wettbewerbsanreize zum Schaden aller zerstört. Um eine solche Steuervermeidung zu verhindern, muss die EU stärker als bisher Steuersätze harmonisieren. So hat die Europäische Kommission schon 2011 auf Grundlage von Art. 115 AEU-Vertrag eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für Unternehmensteuern vorgeschlagen. Auf derselben Grundlage wäre auch die Einführung von Mindeststeuersätzen sowie ein verpflichtender zwischenstaatlicher Informationsaustausch zur Bekämpfung von Steuerflucht möglich. Allerdings kann dabei bislang jeder Mitgliedstaat ein Veto einlegen, was häufig die Beschlussfassung verhindert. Um die EU handlungsfähiger zu machen, sollten die Mitgliedstaaten deshalb nach Art. 48 Abs. 7 EU-Vertrag (Passerelle-Klausel) in diesem Bereich zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren übergehen. Auch hier wäre gegebenenfalls eine Verstärkte Zusammenarbeit möglich, wobei der Übergang zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren dann nach Art. 333 AEU-Vertrag erfolgen würde.

4. Demokratische Legitimität

Durch die hier vorgeschlagenen Reformen würden die europäischen Institutionen über erheblich mehr Finanzmittel und deutlich vergrößerte Kompetenzen verfügen, um die ökonomische und soziale Lage der europäischen Bürger zu beeinflussen. Hierzu zählen insbesondere auch die nicht direkt demokratisch legitimierten Institutionen EZB und EuGH. Es ist deshalb notwendig, zugleich auch ihre demokratische Legitimität zu verbessern, um ihre politische Verantwortlichkeit zu erhöhen, die gesamteuropäische politische Debatte zu stärken und letztlich die gesellschaftliche Akzeptanz für die getroffenen Maßnahmen zu sichern. Eine solche demokratische Reform der EU ist weder juristisch noch ökonomisch erforderlich, um die bisher genannten Vorschläge umzusetzen. Politisch wäre es aber möglicherweise verhängnisvoll, die richtigen Maßnahmen zur Lösung der Krise durch einen Mangel an Legitimität zu diskreditieren. Deshalb raten die JEF dringend, die beschriebenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen möglichst gleichzeitig um die folgenden institutionellen Änderungen zu ergänzen.

4.1 Wahl der Kommission allein durch das Europäische Parlament

Sowohl bei der Verwaltung des erweiterten EU-Haushalts als auch bei der wirtschaftspolitischen Gesetzgebung käme der Europäischen Kommission eine zentrale gestaltende Rolle zu. Sie muss daher noch stärker als bisher zu einem politischen Organ werden, das sich vor der europäischen Bevölkerung als Ganzes verantwortet. Hierzu sollte Art. 17 Abs. 7 EU-Vertrag so geändert werden, dass die Wahl der Kommission, wie von den JEF in ihrem Politischen Programm gefordert, künftig allein durch die direkt gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments erfolgt, ohne dass die nationalen Regierungen im Europäischen Rat und im Ministerrat daran mitwirken. Auf diese Weise wird die Zusammensetzung der Kommission stärker als bisher von den parteipolitischen Mehrheiten im Parlament abhängig. Mit der Wahl des Europäischen Parlaments werden die europäischen Bürger somit künftig auch über die parteipolitische Ausrichtung der Europäischen Kommission bestimmen. Außerdem wird innerhalb des Parlaments eine neue Dynamik zwischen der die Kommission tragenden Mehrheit und einer davon getrennten Opposition entstehen, was die öffentliche Debatte befördert und den Bürgern klare politische Alternativen aufzeigt.

4.2 Transnationale Listen bei der Europawahl

Um die gesamteuropäische Debatte zu stärken, sollte zudem das Europawahlrecht so geändert werden, dass ein erheblicher Teil der Mitglieder des Europäischen Parlaments künftig über gesamteuropäische Wahllisten gewählt wird. Diese Reform würde die europäischen Parteien (EVP, SPE, ALDE etc.) gegenüber ihren nationalen Mitgliedsverbänden stärken und somit eine bessere Kohärenz ihrer Positionen gewährleisten. Ohne den Zwang zur Aufstellung gemeinsamer Kandidaten in der ganzen EU könnten Parteien versucht sein, je nach Land unterschiedliche Positionen zu vertreten, wodurch die Funktion der Europawahl als gesamteuropäische Richtungsentscheidung geschwächt würde. Außerdem würde eine Wahl nach gesamteuropäischen Listen dem formalen Ideal einer absoluten Gleichheit aller Stimmen näherkommen, das bei den Europawahlen derzeit wegen des Prinzips der degressiven Proportionalität nur eingeschränkt erfüllt wird.

4.3 Für die Einheit des Europäischen Parlaments

Wie oben beschrieben, ist es möglich, dass sich einzelne Mitgliedstaaten – insbesondere solche, die den Euro (noch) nicht eingeführt haben – nicht an den hier vorgeschlagenen Reformen beteiligen wollen. In diesem Fall könnten diese größtenteils auch allein durch eine Vorreitergruppe verwirklicht werden. Entsprechend den Regelungen der Verstärkten Zusammenarbeit wären in diesem Fall bei Entscheidungen im Rat auch nur die beteiligten Staaten stimmberechtigt (Art. 330 AEUV). Unter dem Schlagwort einer „Eurokammer“ oder „parlamentarischen Eurogruppe“ haben in den letzten Monaten verschiedene Akteure allerdings vorgeschlagen, bei einer stärkeren Zusammenarbeit von nur einer Gruppe von Mitgliedstaaten künftig auch das Europäische Parlament aufzuspalten. Auch hier wären dann bei Entscheidungen in den betreffenden Politikbereichen nur noch Abgeordnete aus den beteiligten Mitgliedstaaten stimmberechtigt. Die JEF Deutschland wenden sich strikt gegen diesen Vorschlag einer Aufspaltung des Europäischen Parlaments, da er

  • das Prinzip verletzt, dass die Abgeordneten Vertreter aller Unionsbürger sind (Art. 14 EUV),
  • nicht mit dem Ziel transnationaler Listen vereinbar ist,
  • je nach Themenbereich zu unterschiedlichen parteipolitischen Mehrheiten im Parlament führen kann und deshalb die Herausbildung einer stabilen Mehrheit und Opposition verhindert,
  • infolgedessen auch mit dem Ziel einer Wahl der Kommission allein durch das Parlament im Widerspruch steht.

Ziel jeder Verstärkten Zusammenarbeit soll es sein, mittelfristig auch die übrigen Mitgliedstaaten von den Vorteilen der gemeinsamen Politik zu überzeugen. Dies gilt umso mehr für die Ausgestaltung der europäischen Währungsunion, da bis auf Großbritannien und Dänemark schon jetzt sämtliche Mitgliedstaaten vertraglich verpflichtet sind, auf die Einführung des Euro als Umlaufwährung hinzuarbeiten. Bei einer Aufspaltung des Parlaments ist zu erwarten, dass viele Abgeordnete der ausgeschlossenen Länder sich nur noch als Mitglieder „zweiter Klasse“ sähen und zu Gegnern der tieferen Integration würden. Es ist deshalb eher hinnehmbar, dass die Abgeordneten aus den Nicht-Euro-Staaten (die schon jetzt in den meisten Fraktionen des Parlaments nur eine Minderheit bilden) über die Währungsunion und die hier vorgeschlagenen Bereiche der Verstärkten Zusammenarbeit mit abstimmen, die sie in absehbarer Zeit ohnehin auch unmittelbar betreffen werden.

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Es ist Zeit für die EU-Arbeitslosenversicherung

Beschluss des Bundesausschusses der JEF Deutschland, 07.-09. Juni 2013, Königswinter

Es ist Zeit für die EU-Arbeitslosenversicherung

Beschluss im Wortlaut:

Die Jungen Europäischen Föderalisten Deutschland…

Automatische Stabilisatoren stärken die EZB-Geldpolitik, reduzieren Konjunkturschwankungen

a. beobachten, wie wirtschaftliche Schocks einzelne Teile der Eurozone unterschiedlich betreffen, so dass sich einzelne Mitgliedstaaten in der Rezession befinden, während andere im Boom sind,

b. sind besorgt, weil in der Währungsunion die einzelnen Staaten auf eine solche asymmetrische Konjunkturentwicklung nicht mit einer eigenständigen Geldpolitik reagieren können und auch in ihrer Fiskalpolitik aufgrund von Refinanzierungsproblemen oder gemeinsamen Fiskalregeln eingeschränkt sind, womit wichtige Möglichkeiten der Konjunkturstabilisierung fehlen,

c. erinnern daran, dass Anfang der 2000er Jahre die deutsche Wirtschaftskrise mit der Bildung von Immobilienblasen in Südeuropa einherging, während umgekehrt die Eurokrise ab 2008 eine massive Rezession in den südeuropäischen Staaten brachte, während die nordeuropäischen Länder davon kaum betroffen sind,

d. unterstreichen, dass diese unterschiedliche Konjunkturentwicklung auch dazu führt, dass das optimale Leitzinsniveau der beteiligten Staaten voneinander abweicht, sodass das geldpolitische Instrumentarium der EZB in seiner Wirksamkeit eingeschränkt wird,

e. weisen darauf hin, dass derartige asymmetrische Konjunkturentwicklungen innerhalb von Nationalstaaten durch interregionale Stabilisatoren wie das Steuer- und Sozialsystem abgefedert werden, die automatische finanzielle Transfers von Boom- in Krisenregionen auslösen,

f. unterstreichen, dass gerade der Automatismus dieser Transfers dazu führt, dass die Wirkung der interregionalen Stabilisatoren nicht von politischen Ad-hocEntscheidungen während der Krise abhängt, was die Gefahr von Moral Hazard verringert und die politische Legitimität erhöht,

g. fordern deshalb einen solchen automatischen interregionalen Stabilisator auch für die Eurozone.

Ein Konjunkturausgleichsfonds scheitert an seiner Berechnung

h. begrüßen die Diskussion um einen Konjunkturausgleichsfonds als Variante eines interregionalen Stabilisators, wie er aktuell von der Padoa-Schioppa-Gruppe vertreten wird, i. warnen jedoch davor, dass dieses Modell eine präzise Berechnung des volkswirtschaftlichen Potenzialoutputs erforderlich macht, für die es aktuell keine zuverlässigen ökonometrischen Methoden gibt,

j. warnen zudem davor, dass bei einer falschen Berechnung der Effekt des Fonds neutralisiert oder sogar ins Gegenteil verkehrt werden könnte,

k. sehen deshalb – solange keine zuverlässigen Berechnungen des Potenzialoutputs möglich sind – vorläufig keine Möglichkeit, einen solchen Konjunkturausgleichsfonds effektiv umzusetzen.

EU-Arbeitslosenversicherung: Kurzzeitarbeitslosigkeit europäisch aus Lohnnebenkosten versichern

l. unterstützen stattdessen den Vorschlag einer Arbeitslosen-Mindestversicherung auf europäischer Ebene, die sich aus Lohnnebenkosten finanzieren und die derzeit bestehenden nationalen Versicherungssysteme für kurzfristige Arbeitslosigkeit teilweise ersetzen soll,

m. schlagen hierfür ein Modell vor, bei dem sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (bzw. ihr Unternehmen) einen bestimmten Prozentsatz (z.B. 2%) ihres Bruttogehalts in die Sozialversicherung einzahlen und dafür – nachdem sie eine bestimmte Mindestdauer (z.B. zwölf Monate) in die Versicherung eingezahlt haben – im Fall der Arbeitslosigkeit für eine begrenzte Dauer (z.B. zwölf Monate) Anspruch auf eine Versicherungsleistung haben, deren Höhe von ihrem letzten Einkommen abhängig ist (z.B. 50% des letzten Bruttogehalts), Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, die Lohnnebenkosten aus Steuermitteln ersatzweise zu finanzieren,

n. weisen darauf hin, dass eine solche europäische Versicherung die Wirkung asymmetrischer Schocks zwischen den Mitgliedstaaten abschwächt, da sie zu automatischen Transfers von Staaten mit hohem Beschäftigungsgrad zu Staaten mit hoher kurzfristiger Arbeitslosigkeit führt; sie federt dadurch den Einkommens- und Nachfragerückgang in den Krisenländern ab und schwächt zugleich eine Blasenbildung in den Boomstaaten,

o. weisen ferner darauf hin, dass diese zwischenstaatlichen Transfers nur einen zyklischen Charakter haben, sodass über den vollen Konjunkturzyklus hinweg die Nettobilanz für jeden Mitgliedstaat ungefähr ausgeglichen ist,

p. sind sich bewusst, dass Arbeitslosigkeit meist erst zeitlich verzögert zum Abschwung entsteht, sodass die direkten monetären Effekte der europäischen Arbeitslosenversicherung erst etwas verspätet eintreffen werden,

q. gehen jedoch davon aus, dass die europäische Arbeitslosenversicherung bei asymmetrischen Schocks dennoch einen stabilisierenden Effekt auf die Konjunktur der Krisenstaaten haben wird, schon weil sie sich positiv auf die künftig erwartete Nachfrage auswirkt,

r. halten für wichtig dass die Mittel soweit sie europäisiert sind einer Zweckentfremdung durch nationale Regierungen entzogen sind,

s. unterstützen eine Ausgestaltung, die der europäischen Arbeitslosenversicherung die Aufnahme von Krediten ermöglicht, damit sie ihre Versicherungsleistungen auch erbringen kann, falls die Auszahlungen bei einer gesamteuropäischen Rezession vorübergehend die Gesamtsumme der Beiträge und der Reserven übersteigen,

t. weisen darauf hin, dass diese Kredite durch die künftigen Beitragsleistungen gesichert und deshalb kaum mit Ausfall- oder Moral-Hazard-Risiken verbunden sind,

u. betonen, dass die europäische Arbeitslosen-Mindestversicherung nur eine subsidiäre Funktion erfüllt und deshalb nicht die Möglichkeit der Mitgliedstaaten einschränkt, weiterhin auch nationale Versicherungssysteme zu unterhalten, die eine höhere oder längere Absicherung bieten, als dies auf europäischer Ebene der Fall ist,

v. weisen darauf hin, dass durch die Teileuropäisierung der Arbeitslosenversicherung die zyklischen Überschüsse und Defizite der nationalen Versicherungssysteme verringert werden, wodurch sich auch die Gefahr verringert, dass in Zeiten guter Konjunktur Mittel abgeschöpft und zweckentfremdet werden und dadurch im Abschwung nicht mehr zur Verfügung stehen,

w. weisen darauf hin, dass die europäische Arbeitslosenversicherung nur mit geringem Verwaltungsaufwand verbunden ist, da das Eintreiben der Versicherungsbeiträge sowie die Auszahlung der Versicherungsleistungen von den mitgliedstaatlichen Sozialbehörden übernommen werden kann, die hierfür bereits im Rahmen der bestehenden nationalen Versicherungssysteme zuständig sind,

x. sind sich jedoch bewusst, dass ein gemeinsames Versicherungssystem zuverlässige Arbeitslosigkeitsstatistiken in allen Mitgliedstaaten voraussetzt, da ungenaue Statistiken in einem Land dann auch die Bürgerinnen und Bürger aller anderen Mitgliedstaaten betreffen,

y. fordern zu diesem Zweck bessere Kontrollrechte für das Statistische Amt der EU (Eurostat),

z. erhoffen sich durch den Einstieg in ein System der konkreten Solidarität zwischen den Bürgerinnen und Bürgern der EU auch eine Stärkung der europäischen Identität und der gemeinsamen Debatte

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Wir fordern ein Ende der politischen Schuldenkrise!

Beschluss des Bundesausschusses der JEF Deutschland, 01.-03. Februar 2013, Berlin

Wir fordern ein Ende der politischen Schuldenkrise!

Beschluss im Wortlaut:

Die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) Deutschland begreifen das Fortdauern der sogenannten Eurokrise heute mehr denn je als eine politische Schuldenkrise.

Die Politik steht in der Schuld ihrer Bürgerinnen und Bürger: sie muss endlich das umsetzen, was sie in den letzten 20 Jahren als richtig erkannt, aber umzusetzen versäumt hat. Ohne eine konsequente Vertiefung der heutigen EU hin zu einem föderalen europäischen Bundesstaat ist das heute erreichte Niveau an Wohlstand, Freiheit und (sozialem) Frieden nicht haltbar!

Die JEF Deutschland erneuert hiermit die Forderungen, die sie schon im Juli 2011 in ihrem Beschluss „Für eine dauerhaft krisenfeste EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik!“ formuliert hat und macht noch einmal deutlich, …

1. …dass die Wiederherstellung der Gestaltungsmacht demokratischer Politik über die Dynamiken der globalisierten (Finanz-)Märkte nur durch eine konsequente Vergemeinschaftung der Wirtschafts- und Währungsunion möglich ist.

Schon im Jahr 2005, als Deutschland und Frankreich eine Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts durchsetzten, war das Scheitern der zwischenstaatlichen Koordinierung im Rat der EU als Mittel der europäischen Wirtschaftspolitik offenbar.

Die wesentlichen Maßnahmen zur Krisenbekämpfung (z.B. ESM, Fiskalpakt) heute wurden größtenteils sogar außerhalb der EU-Verträge ins Werk gesetzt. Die historischen Lehren sind nicht gezogen worden.

Wir fordern daher: die vollständige politische, wirtschaftliche und fiskalische Integration der EU. Das heißt konkret:

  • Die Union muss einen eigenständigen (steuerfinanzierten) Haushalt bekommen, der von den Launen der Mitgliedsstaaten unabhängig ist und der der gemeinsamen Währung dauerhaft Glaubwürdigkeit gibt. Dazu gehört auch die Ausgabe gemeinsam garantierter europäischer Schuldscheine.
  • Der Binnenmarkt muss vollendet werden: das schließt unter anderem eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für Besteuerungen, eine gemeinsame Bankenaufsicht, einen gemeinsamen Mechanismus zur Abwicklung maroder Institute, die Erleichterung von Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie ein gemeinsames konjunkturspezifisches Versicherungssystem (etwa in Form einer gemeinsamen Arbeitslosigkeitsversicherung) zur Abfederung wirtschaftlicher Schocks in einzelnen Staaten mit ein.

2. …dass die ergriffenen Maßnahmen zur Lösung der Krise die EU tiefgreifend verändert haben und die EU weiter verändern werden. Für die Bürgerinnen und Bürger sind aber weder Richtung noch Ziel erkennbar.

Die öffentlichen Diskussionen und Berichterstattung drehen sich im Wesentlichen um Fragen nach der Höhe des nächsten Hilfspakets oder des nächsten Schuldenschnitts. Dies sind nur medienwirksame Randfragen. Es geht in Wirklichkeit um die strukturelle Veränderung des europäischen Wirtschafts-, Währungs- und daher notwendigerweise auch des politischen Systems.

Wir fordern daher: Die politischen Entscheidungsträger müssen einen Fahrplan vorlegen, wie die weitere Lösung der Krise geschafft werden soll und wie das politische System dann aussähe, in dem die europäischen Bürgerinnen und Bürger dann leben würden. Die detaillierte Ausgestaltung des Fahrplans oder die Formulierung konkurrierender Fahrpläne sind dann Sache parteipolitisch konkurrierender Vorschläge und Wertvorstellungen. Die kommenden Europawahlen dienen den europäischen Bürgerinnen und Bürger als Votum für oder gegen die jeweiligen Vorschläge.

3. …dass die Marginalisierung der Gemeinschaftsinstitutionen und insbesondere des Europäischen Parlaments im Zuge der „Krisenbekämpfung“ einen unzureichend legitimierten Exekutivföderalismus hervorgebracht hat, der insbesondere die nationalen Haushaltsrechte aushöhlt.

Wir fordern daher: Die sogenannte Krisenbekämpfung im Rahmen des Europäischen Rats muss beendet werden! Dessen Aufwertung mit dem Vertrag von Lissabon war ein Fehler! Die Institutionen der EU müssen mit entsprechenden politischen Entscheidungs- und Steuerungsbefugnissen ausgestattet werden, um die notwendigen Maßnahmen umsetzen zu können. Dazu gehören die vollen Gesetzgebungs- und Kontrollrechte des Europäischen Parlaments sowie gegebenenfalls ergänzend der Auf- und Ausbau von mehrebenenparlamentarischen Strukturen und eine stärkere Vernetzung der jeweils nationalen Parlamente!

jefwpWir fordern ein Ende der politischen Schuldenkrise!
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