60. Beschluss des Bundeskongress in Münster, 26.-27. Oktober 2013

Die JEF im Europawahlkampf: Mehr Föderalismus wagen!

Beschluss im Wortlaut:

1. Vorbemerkung: Europäisches Interesse vor nationalem Kleinmut!

„In Maastricht haben wir den Grundstein für die Vollendung der Europäischen Union gelegt. Der Vertrag über die Europäische Union leitet eine neue, entscheidende Etappe des Europäischen Einigungswerks ein, die in wenigen Jahren dazu führen wird, das zu schaffen, was die Gründungsväter des modernen Europa nach dem letzten Krieg erträumt haben: die Vereinigten Staaten von Europa.“

Mit diesem Grundstein für die Vollendung der EU meinte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl die Einführung der gemeinsamen Währung. Die gemeinsame Währung – ebenso wie der Binnenmarkt – sind also zuvörderst ein politisches Projekt zur Verwirklichung und Vollendung der europäischen Einigung. Der entscheidende Schlüssel zur Bewältigung der derzeitigen Krise, die den Fortbestand des Euros und damit des gesamten europäischen Einigungsprojekts bedroht, liegt nicht nur in Sparmaßnahmen, sondern vielmehr in entschiedenem politischen Handeln, Mut und Gestaltungswillen.

Die notwendigen Maßnahmen, die die Wirtschafts- und Währungsunion dauerhaft stabilisieren, sind weitgehend bekannt und in mehreren Papieren dargelegt (u.a. im Papier der vier Präsidenten des Europäischen Rats, der Europäischen Kommission, der Eurogruppe und der Europäischen Zentralbank). Sie wurden bislang in nur unzureichendem Maße umgesetzt, da es den Entscheidungsträgern in den europäischen Hauptstädten am Willen oder am Mut mangelte. Das eigentliche Problem in der derzeitigen Krise – um mit Robert Menasse zu sprechen – sind die nationalstaatlichen Egoismen.

„Klare Zielvorstellungen, Prinzipienfestigkeit und Flexibilität sind auch das wirksamste Mittel gegen jenen Kleinmut, der in Europa vielerorts wieder aufkommt.“ Diesem Zitat, von dem man meinen könnte, Helmut Kohl habe es in Bezug auf die JEF geäußert, fügen wir hinzu: „jenem Kleinmut, der heute insbesondere von einigen Wirtschaftsprofessoren und Nationalromantikern salonfähig gemacht wird und der auch an den übrigen deutschen Parteien nicht spurlos vorübergeht“.

Die langfristigen Zielvorstellungen und Prinzipien der JEF haben wir in unserem Politischen Programm niedergelegt. Die kurz- und mittelfristigen Zielvorstellungen, mit denen wir in den Europawahlkampf und das Jahr 2014 ziehen, führen wir im Folgenden näher aus.

2. Für europäische und politische Europawahlen!

Wir rufen die Parteien, insbesondere in Deutschland dazu auf, einen echten europäischen und politischen Europawahlkampf zu führen!

Wir fordern

  • die Bürgerinnen und Bürger auf, an den Wahlen teilzunehmen, um durch eine hohe Wahlbeteiligung ein deutliches Signal an die europäischen Regierungen zu senden, dass sie eine echte parlamentarische Demokratie auf europäischer Ebene einfordern und die nur ungenügend legitimierte, ineffektive zwischenstaatliche Koordination nicht weiter hinnehmen wollen,
  • die Parteien in allen Mitgliedstaaten auf, die europäische Dimension der Wahlkampfthemen in den Mittelpunkt zu rücken,
  • die politischen Verantwortungsträger auf, offensiv und engagiert für eine weitergehende europäische Integration zu werben und nicht der zunehmenden Europaskepsis nachzugeben,
  • die nationalen und europäischen Parteien auf, Fahrpläne vorzulegen, anhand derer die einzelnen Schritte zur Überwindung der Euro-, Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise für die Bürgerinnen und Bürger erkennbar werden und diese auf dieser Grundlage eine informierte Entscheidung an der Wahlurne treffen können,
  • die Parteien in allen Mitgliedstaaten auf, sich bei der Diskussion über Lösungswege aus der Krise nicht nationaler Ressentiments zu bedienen, sondern diese Diskussionen im Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung sowohl für die Krisenentstehung als auch für die Krisenlösung zu führen. Die Lösung der Krise darf nicht als Nullsummenspiel begriffen werden, in dem ein Land gegen das andere als Sieger hervorgeht.

Außerdem fordern wir konkret

  • die europäischen Parteien auf, Spitzenkandidaten für die Europawahlen zu benennen, die danach als Kandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten ins Rennen gehen,
  • – falls die erste Forderung nicht erfüllt wird – den Europäischen Rat auf, sich an den Geist der Verträge zu halten und nur solche Kandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten vorzuschlagen, die eine parlamentarische Mehrheit hinter sich wissen,
  • das neugewählte Europäische Parlament auf, dem Europäischen Rat frühzeitig und unmissverständlich deutlich zu machen, dass nur solche Kandidaten für die Präsidentschaft der Kommission in Betracht gezogen werden, die eine Mehrheit des Parlamentes hinter sich haben und alle anderen abzulehnen: In einer europäischen Demokratie entscheiden die Volksvertreter, nicht die nationale Regierungen, wer die europäische Exekutive anführt.

3. Maßnahmen zur Krisenüberwindung

Das Signal einer hohen Wahlbeteiligung der europäischen Bürgerinnen und Bürger wäre ein ermutigender Auftakt für die notwendigen Reformen, die zur Rettung des Euro und zur Vollendung der Vereinigten Staaten von Europa umgesetzt werden müssen:

Angefangen mit, aber nicht beschränkt auf die Verbesserung der Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion fordern wir unter anderem (basierend auf unseren jüngsten Beschlüssen)

  • die Einführung eines Schuldentilgungsfonds oder gemeinsamer europäischer Schuldscheine, damit in unserer gemeinsamen Währung nicht ausschließlich nationale Staatsanleihen verschiedener Verzinsung bestehen, die bei Panik an den Finanzmärkten Staaten in die Zahlungsunfähigkeit treiben können
  • die Einführung eines echten, von den Nationalstaaten unabhängigen EUHaushalts, der auf eigenen Steuereinnahmen beruht
  • die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung, nicht nur, um die Eurozone bei ungleicher konjunktureller Entwicklung der Mitgliedsstaaten und im Falle asymmetrischer makroökonomischer Schocks zu stützen, sondern vor allem als Ausdruck europäischer Solidarität

Des Weiteren fordern wir in außenpolitischer Hinsicht

  • vor allem im Hinblick auf den bevorstehenden Europäischen Rat im Dezember 2013 entschiedene Schritte zur weiteren Vergemeinschaftung in der Außen- und Sicherheits- sowie der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die unentschlossene, uneinheitliche und vielstimmige Reaktion der Union sowie ihrer Mitgliedsstaaten auf den sogenannten arabischen Frühling sowie die Bürgerkriege in Libyen und Syrien rufen ungute Erinnerungen an die Reaktion der EU auf die Balkankriege hervor.

4. Umsetzung: wir fordern einen Konvent

Ein Teil der oben beschriebenen Maßnahmen lässt sich nur durch umfangreichere Änderungen der Verträge erreichen.

Wir fordern daher

  • die Einberufung eines Konvents (verfassungsgebende Versammlung), der nach den Europawahlen notwendige Reformen ausarbeitet und das europäische Vertragswerk in Form einer europäischen Verfassung vorlegt,
  • dass dieser Konvent eng mit der europäischen Zivilgesellschaft zusammenarbeitet und deren Impulse aufnimmt,
  • dass die vom Konvent vorgelegten Ergebnisse unverändert den Unionsbürgern oder ihren parlamentarischen Vertretern zur Ratifikation vorgelegt werden.

5. Die Rolle der JEF: Mehr Föderalismus wagen!

Für uns ist klar: Wir werden uns auch in diesem Wahlkampf wieder für die Steigerung der Wahlbeteiligung an den Europawahlen einsetzen.

Unser zentrales Ziel aber ist, den Bürgerinnen und Bürgern die von uns als richtig und notwendig erkannten Reformen– insbesondere jungen Menschen – zu kommunizieren und zu erklären, vor allem aber auch von den politischen Entscheidungsträgern einzufordern.

Im gegenwärtigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext ist eine hohe Wahlbeteiligung alleine nicht ausreichend. Die entscheidende Frage ist, ob wir es in Europa endlich schaffen, grundlegende Reformen umzusetzen, die die aktuellen Probleme nachhaltig lösen: Reformen, die gleichzeitig demokratisch – und nicht hinter verschlossenen Türen – zu Stande gekommen sind.

Daraus ergibt sich für unsere Wahlkampagne, dass wir einen Schritt weiter gehen: Wir wollen konkrete föderalistische Forderungen anschaulich und zugespitzt in den Diskurs einbringen!

Wir wollen mehr Föderalismus wagen!“

jefwpDie JEF im Europawahlkampf: Mehr Föderalismus wagen!