Foto: ©Kevin Frickmann
Wer heute über Europas Zukunft spricht, darf die Stimmen derjenigen nicht überhören, die an seinen Rändern leben. Dort, wo um Demokratie gekämpft wird, wo europäische Perspektiven zugleich Hoffnung und Konfliktlinie sind, und wo junge Menschen trotz widriger Umstände weiter für ein freies und gerechtes Leben eintreten, sind wir als JEF Deutschland im November 2025 hingereist: Nach Belgrad, der Hauptstadt Serbiens. Als Föderalist:innen möchten wir Solidarität zeigen, zuhören, lernen und die Stimmen der serbischen jungen Menschen mit zurück nach Deutschland nehmen.
Zum vierten Mal haben wir nun als JEF Bundesverband das Format der Bundesverbandsfahrt auf die Beine gestellt. Als gemischte deutsche Gruppe – JEFer:in oder nicht, von Kiel bis nach Freiburg stammend – reisen wir in Länder, die noch nicht Teil der Europäischen Union sind.
Die diesjährige Bundesverbandsfahrt haben wir gemeinsam mit der JEF Serbien geplant, sodass wir in einen engen Austausch kommen konnten. Die serbischen Mitglieder haben uns offen geschildter, wie politischer Druck, Medienkontrolle und Repression den Alltag junger Menschen in Serbien prägen. Die Präsidentin, Katarina Bogićević, hat uns mit der Präsentation zum „State of Democracy in Serbia“ eindrücklich gezeigt, wie fragil demokratische Institutionen sind und wie riskant civic engagement in einem Umfeld sein kann, das kritische Stimmen systematisch an den Rand drängt.
Und dennoch: Die Energie, der Mut und die Arbeit unserer serbischen Partnerorganisation sind beeindruckend. Als Föderalist:innen wissen wir: Europa lebt von denen, die sich nicht einschüchtern lassen.
Belgrade Security Conference – Zivilgesellschaft zwischen Hoffnung und Gefahr
Der Besuch der Belgrade Security Conference war ein Kernstück unseres Programms. In Panels zu Feminist Peace Building, Digital Surveillance und Swiss Neutrality and Peacebuilding in the Balkans wurde deutlich, wie sehr europäische und regionale Sicherheitsfragen verwoben sind. Experten diskutierten und erklärten uns, wie sie versuchen, transnational zu kooperieren und Räume für Dialog zu schaffen – in einem politischen Klima, das solche Räume systematisch verengt. Besonders eindrucksvoll voll war die Diskussion darüber, ob Serbien angesichts seiner besonderen geopolitischen Lage eine Neutralität nach Schweizer Vorbild etablieren könnte und welche Hürde die jüngere Geschichte des westlichen Balkans dabei setzt, besonders im Bezug auf den Kosovo. Gleichzeitig wurde betont, dass Neutralität und ein zukünftiger EU-Beitritt sich nicht ausschließen, wie das Beispiel Österreich zeigt.
Gespräche mit Opposition und Zivilgesellschaft – von Europahoffnung über NATO-Skepsis bis zur Enttäuschung über Deutschland
Der thematische Schwerpunkt „Serbia and the EU“ öffnete ein echtes Spannungsfeld. In den Gesprächen mit oppositionellen Politiker:innen saß eine große Bandbreite demokratischer Stimmen vor uns, die trotz politischer Einschüchterung am EU-Pfad festhalten. Nicht aus Naivität, sondern weil sie keine realistische Alternative sehen, um Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und demokratische Standards überhaupt zu stärken. Viele betonten aber ebenso offen, dass ein EU-Beitritt in Serbien politisch kaum vermittelbar sei. Zugleich spürt man, wie sehr historische Traumata – vor allem die NATO-Bombardierung 1999 – weiterhin präsent sind. Das macht jeden Fortschritt im Verhältnis zu Europa komplizierter.
Diese Distanz zeigt sich auch im Straßenbild Belgrads. Wir sind immer wieder an Graffitis vorbeigekommen, auf denen durchgestrichene EU- oder NATO-Symbole prangten, dazu Parolen wie „Fuck NATO“. Für Außenstehende mag das nach Randphänomen aussehen; in Serbien ist es Teil einer breiten politischen Erzählung, die von staatlichen Medien, populistischen Akteuren und nationalistischen Gruppen aktiv befeuert wird.
Mehrfach wurde uns außerdem gesagt, dass man von Deutschland enttäuscht sei. Nicht selten fällt der Satz, Berlin sei „zu pragmatisch“ oder „zu sehr auf Stabilität aus“, wenn es um den Umgang mit dem autoritären Stil der serbischen Regierung geht. Die Erwartungshaltung ist hoch: Deutschland gilt als wichtigster europäischer Akteur im Westbalkan und gerade deshalb wiegt die wahrgenommene Zurückhaltung schwer.
All das macht deutlich: Die europäische Idee hat in Serbien Unterstützer:innen, aber sie arbeitet gegen starke Gegenkräfte. Und genau deshalb braucht es Dialog, Präsenz und die klare Stimme der Jugend – auch aus Deutschland.
Umwelt, Luftverschmutzung und Aktivismus im Gegenwind
Im Gespräch mit dem Renewables and Environmental Regulatory Institute (RERI) wurde spürbar, dass ökologische Fragen in Serbien längst politische Überlebensfragen sind. Sie schilderten uns detailliert, wie massiv die Umweltbelastungen in Teilen des Landes sind – allen voran in der mittelgroßen Stadt Bor, wo die Kupfermine seit Jahren für extreme Luftverschmutzung sorgt. An manchen Tagen überschreiten die Schwefeldioxidwerte dort das zulässige Limit um ein Vielfaches; die Bewohner:innen atmen giftige Luft, während die staatlichen Stellen wegsehen oder kritische Berichterstattung kleinreden. Klagen, Recherchen oder öffentliche Kritik an großen Industrieprojekten werden schnell kriminalisiert oder diskreditiert. Hier traf unser europäischer Blick auf harte Realitäten: Klimapolitik wird zur Demokratiefrage, sobald Kritik als Angriff auf den Staat gilt.
Warum wir als Föderalist:innen hier sein mussten
Die Reise hat uns gezeigt: Europas Zukunft entscheidet sich nicht nur in Brüssel oder Berlin. Sie entscheidet sich auch in Belgrad – in den Universitäten, bei unabhängigen Journalist:innen, in NGOs, die unter schwierigen Bedingungen für Demokratie kämpfen.
Für uns als JEF Deutschland bedeutet das: Solidarität darf nicht abstrakt bleiben. Europäische Perspektive muss mit Zuhören beginnen. Und Jugend von heute muss die Europapolitik von morgen prägen.
Wir fahren mit viel Respekt, vielen offenen Fragen und mit dem klaren Auftrag zurück: Diese Stimmen müssen in Deutschland gehört werden. Wir wollen sie in unsere Debatten, Formate und politischen Forderungen einbringen damit die europäische Idee nicht an den Grenzen der EU endet.
Ein Bericht von Helene Salzburger
