Ein Zwischenruf von David Schrock, JEF-Bundesvorsitzender.
Was der Europa-Union Deutschland fehlt, sind die Fähigkeiten eines Yanis Varoufakis. Das ist durchaus nicht als Scherz gemeint, sondern meiner Analyse der traurigen Gegenwart des europäischen Föderalismus geschuldet. Ein JEFer aus dem Ruhrgebiet hatte von Varoufakis Plan gehört, eine paneuropäische Allianz von Pro-Europäern zu etablieren und hatte ihn deshalb gefragt (siehe Soundcloud-Player), warum er sich nicht in den bereits vorhandenen Strukturen der Europäischen Föderalisten engagiere. Seine Antwort war kurz zusammengefasst, weil er nicht glaube, dass diese etablierte Bewegung in der Lage sei, als Bürgerdiskussions- und Organisationsplattform für etwas Neues zu dienen, nichts weniger als die Zukunft Europas. Warum also scheint Herr Varoufakis zu glauben, dass die Europa-Union nicht für seine Idee von einem „wirklich demokratischen Europa“ geeignet ist?
[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row] Aufnahme vom 7. Februar 2016 von Steffen Meyer (JEF NRW) bei der Veranstaltung “Blockupy Ratschlag” in Berlin Was vom Bundeskongress der Europa-Union zu erwarten ist In etwa acht Wochen trifft sich die größte pro-europäische Bürgerbewegung Deutschlands zu ihrem Bundeskongress in Dresden und sie wird vermutlich nicht einmal als Randnotiz in der Lokalpresse Gehör finden. Die Europa-Union hätte die Chance, im Kernland von PEGIDA dem Europäischen Föderalismus das Wort zu reden, die alte neue Idee des Europäischen Bundesstaats zu deklamieren, mehr Demokratie in und für Europa zu fordern. Es wäre ihre Chance, sich darüber aufzuregen, dass es tatsächlich ein Demokratiedefizit in der EU gibt, dass die Strukturen fehlerhaft sind und dass wir einen großen Integrationsschritt nach vorne gehen müssen, um endlich aus dem Hamsterrad des Euroskeptizismus zu entkommen. Kurzum: sie könnte Bürgerbewegung sein und einen Impuls geben, wie wir Europa gestalten wollen und wie wir in Zukunft in Europa gemeinsam leben wollen. Stattdessen wird huldvoll und bis ins Blut differenziert über die britischen Änderungswünsche an der EU gesprochen werden (Wir brauchen Großbritannien, maßvolle Änderungen sind ok), vorsichtig und rücksichtsvoll-reserviert über die Aushebelung des Rechtsstaats in Ungarn und Polen beraten werden (Zweiter Weltkrieg!) und ansonsten wird man sich in Workshops selbstkritisch fragen, warum die Mitgliederzahlen der Europa-Union seit Jahren rückläufig sind, sodass sie durch den altersbedingten Tod vieler Mitglieder in nicht mehr ganz so ferner Zukunft in ihrer schieren Existenz bedroht sein wird. Was hat Herr Varoufakis damit zu tun? Nun, Herr Varoufakis und populistische Politiker seiner Art haben die oben beschriebene Malaise genau analysiert. Herr Varoufakis hat dabei erkannt, dass einstmals als Bürgerinitiative gestartete Vereine wie die Europa-Union sich seit ihrer Gründung vor 60 Jahren derart stark von ihrem bürgerschaftlichen Ziel eines vereinten Europas entfremdet haben, dass sich in ihr heute fast nur noch Menschen versammeln, die in irgendeiner Form bei, für oder über die Europäische Union gearbeitet haben: Abgeordnete, Diplomaten, Bürokraten und/oder solche, die es noch werden wollen (wozu auch ein Teil der JEF gehört) oder schon waren. Nahezu alle übrigen Organisierten sind dabei, weil sie noch den Krieg erlebt haben oder aus Idealismus der ersten Stunde in der Gründungsphase der EU (und entsprechend zu jener oben genannten existenzgefährdenden Gruppe zu zählen sind). Wenn sich der ehemalige Präsident der Europa-Union, Peter Altmaier vor den Deutschlandtag der JU hinstellt, alle gegenwärtigen Probleme der internationalen Politik richtig beschreibt, aber bei den Lösungsansätzen in 30 Minuten Rede nicht ein einziges Mal den Schneid hat, zu bekennen, dass es ohne ein „Mehr an Europa“ in Zukunft nicht mehr geht, dass die nachwachsende Generation sich immer erst dann für Europa interessiert, wenn es nicht funktioniert? Varoufakis gegen die 300 Fast die gesamte Generation der 35 bis 65-jährigen Bürger fehlt der pro-europäischen Bewegung. Warum ist das so? Erstens weil sie (Gott sei dank) den Krieg nicht mehr miterlebt hat. Zweitens weil die europäischen Austauschprogramme sich erst in den letzten Jahren wirklich zu ihrer vollen Blüte entwickeln und durch die sozialen Medien auch längerfristige Bindungen etablieren. Drittens jedoch, weil dieser Generation nie eine wirkliche Alternative zur gegenwärtigen nationalstaatlich geprägten Brüsseler Gipfel-EU aufgezeigt wurde. Es gibt in der Bürgerschaft gar keine Vorstellungskraft dafür, dass es jemals möglich sein könnte, dass die EU einfacher strukturiert sein könnte als sie es aktuell ist. Alleine während ich dies schreibe, schauen mir imaginäre 300 Professoren und EU-Abgeordnete über die Schulter und möchten, dass ich meinem Text den Hinweis „man muss ja aber auch die Genese der EU im Hinterkopf behalten“ hinzufüge und ergänze, dass Europa ja „kulturell und vom Lebensstandard auch sehr verschieden ist.“ Diese imaginären 300 haben ihr ganzes Berufsleben damit zugebracht, eine Balance zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren zu finden und wundern sich nun, dass niemand ihre Arbeit wertschätzt. Der Politiker Marke Yanis Varoufakis hält sich mit solchen Einwänden nicht auf – er wendet sich an den Durchschnittsmenschen, der nicht täglich die FAZ, die Süddeutsche und das Feuilleton der ZEIT liest, sondern er appelliert an die Gefühle der Menschen, nicht an den Verstand. Er fordert schlicht „mehr Demokratie in Europa“ und behauptet, die jetzige EU böte dies nicht. Stattdessen sei Brüssel eine „demokratiefreie Zone“, heimlich regiert von Lobbyisten aus Industrie, Handel und Banken. Er lässt virtuell Schilder mit den Worten drucken: „Alle Macht den Bürgern“. Wen verwundert es, dass dies Max Mustermann mehr anspricht als ein reflexartiger Vortrag über die „Genese der EU in seiner subsidiären Gesamtheit“. Die Schuld der Elite Mehr Menschen als noch vor zehn und noch viel mehr als vor 30 Jahren haben offenbar das Gefühl, dass sich die von ihr gewählte vermeintlichen Elite zunehmend entfremdet und dass diese Elite keine Idee hat, wohin sich unsere Gesellschaft entwickeln soll. Und ganz ehrlich: ich glaube, dass die Menschen recht haben. Aus Angst vor der Reaktion der Menschen, wenn man ihnen eine Idee präsentiert, die ihnen möglicherweise nicht gefällt, lässt es die Elite einfach gleich ganz, einen Vorschlag zu präsentieren. Der größte Teil der Schuld am gegenwärtigen Erstarken populistischer und demagogischer Bewegungen wie der der AfD trägt deshalb die gegenwärtige Elite selbst. Sie ist bequem, satt, wenig innovativ und auch feige, Neues verkaufen zu wollen. Dabei ist eins völlig klar: jede Gesellschaft, sei sie völkisch wie der NS-Staat, sozialistisch wie die DDR oder demokratisch wie die (meisten) westlichen Staaten braucht eine Elite. Auch der Typus Yanis Varoufakis weiß das. Er lehnt es nur ab, sich mit der etablierten Elite gemein zu machen und will diese stattdessen durch seine eigene ersetzen. Varoufakis inszeniert sich wie die 5 Sterne-Bewegung von Beppe Grillo in Italien, wie Geert Wilders in den Niederlanden, wie Marine Le Pen in Frankreich und Frauke Petry in Deutschland als Gegenentwurf zur bestehenden Ordnung und operiert nach dem verrückten Idiom: „Das Gegenwärtige ist schlecht, wir müssen es so hinbekommen, dass die Zukunft so wird wie sie früher einmal war.“ Ob links oder rechtsaußen – ob Varoufakis oder Petry – beide eint dieses Konzept der Fortschrittsfeindlichkeit und der Hass auf die liberale Demokratie. Was bei den Petrys dieser Welt die „Fremden“ als Feindbild sind, gegen die es das Volk zu verteidigen gilt, ist es bei den Linken der internationale Freihandel sowie der Kapitalismus schlechthin. Beide sind dezidiert gegen die aus ihrer Sicht abgehoben herrschende Elite gerichtet und wollen sie lieber heute als morgen in einem revolutionären Aufstand des Volkes stürzen und durch eine links- oder rechtsgerichtete Regierung ersetzen. Legitimiert wird dies damit, dass die heutige gewählte Elite angeblich nicht mehr den „Willen des Volkes“ erfülle. Wie sieht dieser Willen des Volkes denn genau aus? Das braucht Politiker Marke Varoufakis nicht zu kümmern – jeder Sympathisant einfacher Lösungen sieht in populistischen Forderungen das, was er möchte. Der Typ Varoufakis braucht gar nicht mehr zu tun als das ungefähre, blumige und wunderbare Morgen zu beschwören und weiter auf die gegenwärtige „undemokratische“ (sowie mitgedacht korrupt lügende) Elite einzudreschen. Diese wiederum tut allen Populisten gleichermaßen gerade den Gefallen, den Populisten hinterherzulaufen, anstatt langfristige Lösungsansätze zu entwickeln und diese auch entsprechend zu verkaufen. Eine echte Gefahr Neben dem Zauberwort Lösungskompetenz ist es neudeutsch der „Vertrieb“ der Idee, an dem es hapert. Das wiederum liegt daran, dass die etablierte Elite (und ich höre trotz 180 Mitgliedern der Europa-Union im Bundestag sehr wenige Abgeordnete mal von einer postnationalen Zukunft sprechen) in der Regel selber nicht an eine europäische postnationale Zukunft glaubt oder national verhaftet ist. Wenn sie aber selber von ihrem Produkt nicht überzeugt ist, wie soll sie dann konkurrenzfähig zu Populisten à la Varoufakis und Petry sein?
Die Populisten haben diese Schwäche des Establishments erkannt – gefährlicher als der Rechtspopulismus kann dabei der Linkspopulismus sogar noch werden, weil er ideologisch internationalistisch ausgerichtet ist – wenn die etablierte föderalistische Bewegung nicht aufpasst, wird sie bald dort sein sein, wo sie Herr Varoufakis gerne hätte: auf der Müllhalde der Geschichte.