Wie identifizieren wir, wer wir sind, wo wir dazugehören und wie kommunizieren wir diese Zugehörigkeit nach außen?
Kann eine politische Öffentlichkeit helfen, eine Identität zu schaffen und wie müsste diese beschaffen sein? Gibt es überhaupt eine europäische Öffentlichkeit und fördert diese unsere europäische Identität?
Mit diesen großen Fragen, mit denen sich insbesondere die Jungen Europäischen Föderalisten schon seit ihrer Gründung auseinandersetzen, befasste sich die dritte und letzte JEF verband:stoff Ehrenamtsakademie in diesem Jahr vom 13.-15.11.2015 in München.
An drei Tagen diskutierten die 14 hochmotivierten Teilnehmenden im DGB Haus und beim Kreisjugendring München-Stadt mit verschiedenen Expert*innen und nicht zuletzt miteinander verschiedene Methoden der Öffentlichkeitsarbeit und deren potenzielle Implikationen auf eine europäische Identität. Ziel der Veranstaltung war es, einerseits das Verständnis und die Fähigkeiten zu einer effektiven Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu erlernen und zu trainieren und sich andererseits dem Begriff der vielbeschworenen europäischen Identität zu widmen, um zu bestimmen, was für ein Bild und welche Werte eigentlich in die Öffentlichkeit vermittelt werden sollen.
Nach der Ankunft und einem gegenseitigen Kennenlernen am Freitag, bei dem auch der vielfältige Erwartungshorizont der Teilnehmenden abgesteckt wurde, begann das Seminar mit einem Workshop von Peter Schmidt vom Münchner Merkur, der Tipps und Tricks für die Kommunikation mit der lokalen Presse verriet. Neben einer allgemeinen Einführung über die Nutzungsmöglichkeiten von Zeitungen für Verbände, wurden gängige Fehler bei Pressemeldungen aufgedeckt und Hinweise für den Aufbau eines belastbaren Netzwerkes in der lokalen Presselandschaft gegeben.
Gestärkt von veganen türkischen Spezialitäten diskutierten die Teilnehmenden noch bis am späten Abend ihre eigenen Erfahrungen in der Verbandsarbeit. Die nach und nach eintreffenden Nachrichten über die tragischen Ereignisse in Paris bestürzten die gesamte Gruppe zutiefst, führten aber gleichzeitig auch vor Augen, wie wichtig es gerade jetzt war, sich mit Fragen europäischer Öffentlichkeit und Identität auseinanderzusetzen um nach den grausamen Anschlägen die politische Landschaft nicht reaktionären oder rechtspopulistischen Stimmungsmacher*innen zu überlassen.
Den Samstagvormittag verbrachten die Teilnehmer*innen dann beim nahegelegenen Café Netzwerk, wo in verschiedenen Gruppen ein effektiver Umgang mit Twitter, Facebook und Youtube trainiert wurde. Dabei standen besonders Fragen nach der richtigen Zielgruppe, des zu transportierenden Inhaltes und einer stimmigen Corporate Identity im Vordergrund.
Zurück im DGB Haus hatten die Teilnehmenden dann die Wahl zwischen zwei hochkarätigen Workshops zum Thema Öffentlichkeitsarbeit:
Markus Nau führte seine Gruppe in die Grundzüge des Story Telling ein. Über die Wortwahl, den Erzählstrang und das Sprechen in Bildern erarbeiteten die Teilnehmenden Stück für Stück das Handwerkszeug, um gerade europapolitische Narrative im Sinne der JEF zu formen. Anschließend konnten sich die Teilnehmenden selbst in der Kunst, einen abstrakten Sachverhalt in Form einer spannenden und authentischen Geschichte zu erzählen, ausprobieren und bekamen dazu Feedback von der Gruppe.
Werner Hoffmann stellte parallel hierzu mit der Design-Thinking-Methode eine Möglichkeit zur kreativen Entwicklung und Umsetzung von politischen Kampagnen vor, die anschließend in der Gruppe auf ihre Anwendbarkeit hin diskutiert wurde. Von einer Problemanalyse und -synthese über ein Brainstorming zu Lösungen und der Weiterentwicklung von Ideen wurden hier alle wichtigen Stationen abgedeckt.
Nach diesen intensiven Methodenschulungen stand im weiteren Verlauf des Tages der politische Austausch im Vordergrund.
An zwei Tischen diskutierten die Teilnehmenden im World Café Format schwerpunktartig über europäische Öffentlichkeit einerseits und europäische Identität andererseits.
Hierbei beschäftigte sich die erste Gruppe mit dem Aufbau und der Zusammensetzung einer Öffentlichkeit und den Möglichkeiten, eine europäische Öffentlichkeit zu entwickeln bzw. zu stärken. Ganz im Sinne der Frage “Was war zuerst da?” wurde auch die allgemeine Frage gestellt, ob die Identität die Öffentlichkeit beeinflusst oder dies eher umgekehrt passiert.
Bei der zweiten Gruppe wurde die Begriffe des “Eigenen” und des hiervon zu unterscheidenden (unbekannte) “Anderen” gegenübergestellt. Wer ist “wir” und was verbinden wir mit Europa? Was ist eigentlich europäisch in Abgrenzung zum nicht-europäischen? Wie kann oder sollte mit dem Erbe von Aufklärung, Reformation, Kolonialismus und Faschismus umgegangen werden? Welche Rolle spielt Religion in der europäischen Wertegemeinschaft und worauf begründet sich das Gefühl einer Identität? Hierbei spielten besonders auch die Reaktionen auf die Anschläge in Paris sowie in Beirut eine wichtige Rolle, wobei auf die Frage, ob und wie eine Identität Emotionen letztlich beeinflusst keine finale Antwort gefunden werden konnte.
Abgeschlossen wurde dieser intensive Tag mit einer lebhaften Diskussionsrunde mit Dr. Bernhard Goodwin von der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Gerhard Losher vom Bayrischen Rundfunk. Bei belegten Brez’n und Weißbier wurden die oben aufgeworfenen Fragen noch einmal mit Hinblick auf die Notwendigkeit eines europäischen öffentlichen Rundfunks in gemütlicher Runde besprochen und diskutiert.
Am Sonntag war es schließlich Zeit, die beiden Themenblöcke der Öffentlichkeit und Identität noch einmal aus politischer Perspektive zusammenzubringen. Hierzu führte Julian Bootz aus der Bundesgeschäftsstelle in die Methode der poststrukturalistischen Diskursanalyse ein. Nach einer gemeinsamen Erarbeitung des Diskursbegriffes und einer Vorstellung verschiedener theoretischer und methodischer Ansätze zur Erfassung eines Diskurses, wurde schließlich der von Foucault begründete historisch-genealogische Ansatz ausgewählt, um anhand dieser Vorgehensweise den deutschen Diskurs zu internationaler Migration zu analysieren. Hierbei konnten die Teilnehmenden verblüffende Kontinuitäten und Brüche des Immigrationsdiskurses – angefangen bei den Hugenotten, den Vertriebenen nach 1945 und den DDR Migranten der 90er Jahre bis hin zur heutigen Debatte – herausarbeiten und Aussagen und Argumente vergleichen.
Mit einer breit gefächerten Auswahl an neuen Methoden und politisch nachhaltig inspiriert machten sich die Teilnehmenden nach einer abschließenden Reflektion und Evaluation schließlich auf den Heimweg. Auch wenn die Workshops und Diskussionen sicherlich genauso viele Fragen aufwarfen wie beantwortet werden konnten, überwog sicherlich bei allen das Gefühl, dass das Projekt eines offenen Europa zwar kein einfaches, aber ein nach wie vor lohnenswertes Unterfangen ist.
Bilder von der Akademie gibt es wie immer bei Facebook.
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