Seit den frühen Morgenstunden gibt es eine Einigung zum Corona-Recovery Fund zur Unterstützung der europäischen Wirtschaft in der Corona-Krise sowie zum Mehrjährigen Finanzrahmen für die EU für den Zeitraum 2021-2027.
Nach vier Tagen Verhandlungen haben die Staats- und Regierungschef*innen einen historischen Kompromiss gefunden, der zwar einige gute Ansätze aufweist, insgesamt aber nicht weit genug geht. Die EU zeigt sich handlungsfähig. Es braucht aber dringend Reformen, damit sie besser und ausreichend auf aktuelle Herausforderungen reagieren kann. Diesen wichtigen Schritt verpassen die Mitgliedstaaten. Es kommt nun auf das Europäische Parlament an.
Die Einigung des Europäischen Rats weist einige Makel auf: z.B. erhöhte Rabatte, abgeschwächter Rechtsstaatsmechanismus, Kürzung bei Zukunftsinvestitionen. Das passiert, wenn anstatt des gemeinsamen europäischen Interesses, es vor allem um den Kampf für die eigenen nationalen Interessen geht, wie es der niederländische Ministerpräsident oder der ungarische Premier Victor Orban auf die Spitze getrieben haben. Dieser Gipfel zeigt daher einmal mehr, dass die EU und vor allem der Europäische Rat inklusive Einstimmigkeitsprinzip reformbedürftig ist, damit die EU nicht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner nationaler Interessen Lösungen findet.
Damit die EU tatsächlich zukunftsfähige Investitionen und eine nachhaltige Finanzstruktur bekommt, brauchen wir eine europäische Öffentlichkeit, die diese nationale Logik durchbricht, mehr Politiker*innen, die sich nicht nur ihrem nationalen sondern dem europäischen Interesse verbunden fühlen, sowie eine institutionelle Struktur, die europäische Ambitionen zulässt und umsetzen kann.
Der Gipfel hat aber, trotzdem, gerade auch in einer schwierigen Zeit wichtige Meilensteine gesetzt. Die EU ist handlungsfähig. Es ist grundsätzlich sehr zu begrüßen, dass sich die 27 Staats- und Regierungschef*innen unter enormen Anstrengungen auf einen Kompromiss geeinigt – vor allem auch wenige Monate nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Der Weg zu echten europäischen Eigenmitteln mit einer europäischen Steuer und die gemeinsamen EU-Schuldanleihen sind notwendige, wichtige und richtige Schritte zu einem starken, handlungsfähigen Europa. Gemeinsame europäische Schulden und die Erhöhung der echten Eigenmittel der EU sind neu eingeführte Mechanismen. Beides sind langfristige Forderungen von uns.
Jetzt kommt es darauf an, dass eine Einigung mit dem Europäischen Parlament gefunden wird und dass die Umsetzung des beschlossenen Kompromisses auch im europäischen Interesse geschieht. Die Position und Interessen des Europäischen Parlament kamen in den Gipfelverhandlungen und der Berichterstattung nur wenig vor. Die Verhandlungen werden jetzt weiter gehen mit dem Europäischen Parlament, das sich am Donnerstag bereits zu einer Sondersitzung treffen wird. Wir setzen darauf, dass die Europäische Parlamentarier*innen als unsere gewählten Vertreter*innen auf unsere europäischen Interessen achten wird. Unsere gemeinsames und zukunftsfähiges Europa kann nur gelingen, wenn sich alle dem europäischen Interesse verbunden fühlen und nicht zuvorderst an sich denken.
Die Staats- und Regierungschef haben aus unserer Sicht nach diesem Gipfel mit teilweise medialen Inszenierungen davon, wie sehr man für sein eigenes Land gestritten habe, deshalb auch die Aufgabe, ihren nationalen Öffentlichkeiten zu verdeutlichen, dass es eine gute europäische Zukunft mit einem starken Europa nur gemeinsamen geben kann.