Bundesausschuss, 07.11.20

Unserer Verantwortung gerecht werden – Für Menschenrechte und Umweltschutz entlang der Lieferketten

Beschluss im Wortlaut:

Analyse

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben den Welthandel und die bisherige Handelspolitik in den vergangenen Monaten grundsätzlich in Frage gestellt. Dabei war zu beobachten, dass die europäische Wirtschaft in fragile, globale Wertschöpfungsketten eingebunden ist, die mittlerweile einen Großteil des globalen Handels ausmachen. Uns wurde schmerzhaft vor Augen geführt, dass die Europäische Union und unser Wohl von einem funktionierenden, globalen Handelssystem und krisenfesten Lieferketten abhängig sind. Gerade diese Lieferketten haben unseren Wohlstand generiert und Beschäftigung geschaffen. Dennoch müssen wir feststellen, dass eine auf Kostenminimierung und Effizienz reduzierte Globalisierung zu dramatischen Konsequenzen und Abhängigkeiten führen kann.

Als Junge Europäische Föderalist*innen stehen wir für eine solidarische, offene sowie nachhaltige Welt, die wir vorantreiben und mitgestalten wollen. In diesem Sinne möchten wir an dieser Stelle erneut unseren Beschluss “Vorurteile abbauen – für eine faire Handelspolitik” vom 64. Bundeskongress in Bremen bekräftigen und darauf aufbauend weitere Forderungen stellen!

Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft

Die gemeinsamen Werte und Ziele der Europäischen Union sind vertraglich festgeschrieben. Sie stehen in der Präambel sowie in den Artikeln 2 und 3 des Vertrages über die Europäische Union. Hervorzuheben sind an dieser Stelle vor allem die Achtung der Menschenwürde und die Wahrung der Menschenrechte; die Solidarität zwischen den Völkern; die Förderung von Frieden, Sicherheit, Fortschritt und globaler nachhaltiger Entwicklung in Europa und in der Welt. Die EU ist in ihren Außenbeziehungen Demokratie und Menschenrechten verpflichtet. Ziel der EU ist es, in allen Politikbereichen und Programmen die Einhaltung von Menschenrechten zu berücksichtigen. Darüber hinaus verpflichten die Gründungsprinzipien die EU explizit dazu, wirtschaftlichen und sozialen Rechten die gleiche Bedeutung beizumessen wie bürgerlichen und politischen Rechten.

Die Europäische Union ist einer der größten Wirtschaftsräume der Welt. Europäische Unternehmen haben einen großen Einfluss auf die globale Produktion von Waren sowie die Erbringung von Dienstleistungen. Als Wertegemeinschaft ist die Europäische Union eben mehr als eine bloße Wirtschaftsunion mit gemeinsamem Binnenmarkt. In diesem Sinne sind die gemeinsamen Werte und Ziele der EU auch richtungsweisend für die geltenden Mindeststandards des Binnenmarktes, wodurch Arbeitnehmer*innen sowie die Umwelt effektiv geschützt werden können.

Da mit diesem Einfluss auch Verantwortung einhergeht, muss die EU diese Verantwortung endlich auch für ihre globalen Lieferketten übernehmen. Denn die geltenden Grundwerte gehen weiter als bis an den Rand der EU, sie können nicht plötzlich an den eigenen Grenzen enden. Sie müssen mit den Außenbeziehungen der Europäischen Union einhergehen und auch entlang der Lieferketten Berücksichtigung finden!

Europäisches Lieferkettengesetz als Lösung

Ein europäisches Lieferkettengesetz ist eine passende Antwort auf die aktuellen Herausforderungen, da es im Einklang mit den 2015 von allen UN-Mitgliedstaaten angenommenen “Globalen Ziele für Nachhaltige Entwicklung” (SDG) stehen würde. Die insgesamt 17 festgeschriebenen Ziele, die bis 2030 in allen Ländern umgesetzt werden sollen, fordern von Unternehmen eine nachhaltigere Gestaltung ihrer Wertschöpfungsketten. Hierzu hat die EU-Kommission bereits am 24. Februar 2020 im Rahmen einer Studie feststellen lassen, dass Menschenrechte und ökologische Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten durch eine freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreichend eingehalten werden. Auch eine durch die Bundesregierung durchgeführte Umfrage mit 450 deutschen Unternehmen hat ergeben, dass lediglich 17 Prozent der Teilnehmenden ihren unternehmerischen Sorgfaltspflichten nachgekommen sind.

Was es bedeutet, keine verbindlichen Regelungen in diesem Bereich zu haben, zeigen zahlreiche Beispiele von Menschenrechtsverletzungen, an denen deutsche Unternehmen beteiligt sind. Einige davon, wie z.B. Brände in Textilfabriken in Bangladesch, Massenentlassungen in Pakistan durch Corona-bedingte-Stornierungen oder Exporte giftiger Pestizide nach Indien, sind ans Licht der Öffentlichkeit gekommen, wohingegen die allermeisten Vorfälle im Verborgenen bleiben. Zur Realität vieler Beschäftigter am unteren Ende der Lieferkette im Globalen Süden gehören unfaire Löhne, Ausbeutung, Kinderarbeit, sexualisierte Gewalt, fehlende soziale Sicherungssysteme, Beschränkungen der Gewerkschaftsrechte oder mangelhafte Feuer- sowie Gebäudesicherheit am Arbeitsstandort.

Diese Beispiele verdeutlichen die Notwendigkeit von gemeinsamen Standards und klaren Vorgaben, um juristische Grauzonen, anhaltende Ausbeutung von Beschäftigten sowie eine fortschreitende Zerstörung der Umwelt zu vermeiden. Das Lieferkettengesetz ist daher ein entscheidender Faktor dafür, die Globalisierung nachhaltiger, solidarischer und gerechter zu gestalten!

Forderungen

Dies vorausgeschickt, fordern wir – als Junge Europäische Föderalist*innen –, dass europäische Unternehmen umfassende Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten zu erfüllen haben. Freiwillige Selbstverpflichtungen der betroffenen Unternehmen haben in der Vergangenheit – wie oben dargestellt – keine zufriedenstellende Wirkung gezeigt.

Es bedarf dazu einer einheitlichen Regelung im gemeinsamen Binnenmarkt, damit keine Standortvorteile sowie mögliche Wettbewerbsverzerrungen entstehen und um Transparenz für die Konsument*innen sowie Endverbraucher*innen herzustellen.

Wir fordern daher die deutsche Bundesregierung – während ihrer EU-Ratspräsidentschaft – sowie alle EU-Institutionen dazu auf, den Erlass einer neuen Verordnung für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten voranzutreiben. Alle Unternehmen, die Ihren Sitz in der Europäischen Union haben, sollen hierin verpflichtet werden, folgende umfangreiche Sorgfaltspflichten wahrzunehmen und einzuhalten:

  • Missstände in Ihren Lieferketten zu identifizieren
  • aus der Verordnung resultierende Pflichtverletzungen abzustellen und deren Umsetzung nachzuverfolgen
  • in ihrer Außenkommunikation sowohl ihre Lieferketten offenzulegen, als auch die Umsetzungen ihrer Sorgfaltspflichten transparent zu kommunizieren

Die neue Verordnung soll folgende Schutzbereiche abdecken:

Menschenrechte

  • Unternehmen sollen Menschenrechte achten und schützen (insbesondere Kinderrechte, Schutzpflichten gegenüber Arbeitnehmer*innen, die Rechte indigener Völker)
  • Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist hierbei die anzuwendende Grundlage
  • Ein besonderer Fokus muss auf der Förderung von Geschlechtergerechtigkeit liegen. Dies umfasst den Schutz vor sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt, die Gewährleistung von sexuellen und reproduktiven Rechten und geschlechtsspezifische Risiko- und Folgeabschätzungen aller unternehmerischen Tätigkeiten.

Umwelt und Klima

  • Unternehmen sollen im Umgang mit der Umwelt das Vorsorgeprinzip beachten
  • Unternehmen sollen die Initiative ergreifen, um ein umfassendes Verständnis von Umwelt- und Klimaschutz zu fördern
  • Die Entwicklung und Verbreitung umweltfreundlicher Technologien soll gefördert werden
  • Unternehmen sollen so weit es möglich ist auf klimaneutrale Energiequellen setzen
  • Das Pariser Klimaabkommen und die SDGs (Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen) sind als ökologische Leitlinien in die Sorgfaltspflichten mit einzubeziehen

Sozialstandards

  • Unternehmen sollen die Vereinigungsfreiheit und die wirksame Anerkennung des Rechts auf Kollektivverhandlungen wahren
  • Unternehmen sollen sich an ein für das jeweilige Produktionsland existenzsicherndes und faires Lohnniveau halten sowie Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern gewährleisten.
  • Es sollen soziale Sicherungssysteme gefördert werden
  • Als Richtschnur sind an dieser Stelle die internationalen Arbeitsstandards heranzuziehen

Um einen effektiven Schutz zu gewährleisten, muss die Verordnung auch verpflichtende Durchsetzungsmechanismen enthalten.

Die Durchsetzung soll zum einen durch nationale Behörden erfolgen, die über die notwendigen Kapazitäten und Befugnisse verfügen. Mithilfe eines Sanktionsmechanismus sollen die Unternehmen zur Einhaltung ihrer Due-Diligence-Verpflichtungen gezwungen werden. Eventuell zu erhebende Bußgelder bemessen sich am weltweiten Umsatz der verpflichteten Unternehmen.

Zum anderen müssen auch die Schäden von individuellen Personen ausgeglichen werden. Deshalb sollen für die Geschädigten aus Drittstaaten effektive Klagemöglichkeiten vor den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten eingerichtet werden, damit diese ihre Schäden gegenüber den europäischen Unternehmen, die dafür verantwortlich gemacht werden sollen, geltend machen könne. Die Geschädigten sollen zudem durch Informationen und weitere Hilfestellungen in die Lage versetzt werden, ihre Rechte durchsetzen zu können.

 

 

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