Bundeskongress, 06.10.24
FÜR EINE EUROPÄISCHE GRUNDRECHTSBESCHWERDE
Beschluss im Wortlaut:
Die Europäische Union zeichnet sich maßgeblich durch gemeinsame Werte aus. Grundrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat. Sie können auch Leistungsrechte oder Gleichheitsrechte gegenüber diesem sein. Darüber hinaus sind sie auch als Wertmaßstab bei der Beurteilung von privaten Handlungen vor Gericht heranzuziehen. Mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) und den Grundfreiheiten im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat sich die EU eine grundsätzlich moderne, weitgehende und gute rechtliche Grundlage für den Schutz der Unionsbürger:innen gegeben, welcher auch in Teilen über den Schutzbereich des Grundgesetzes hinausgeht. Doch Grundrechtsschutz braucht nicht nur Normen, sondern auch deren Durchsetzung.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 6. November 2019 mit dem Beschluss „Recht auf Vergessen II“ sich selbst ermächtigt, im Bereich des vollharmonisierten Unionsrechts Verstöße gegen Unionsgrundrechte und -freiheiten festzustellen.1 Begründet wurde dies mit einer Schutzlücke: Es gibt keine Grundrechtsbeschwerde auf EU-Ebene.
Das Bundesverfassungsgericht prüft im volldeterminiertem Unionsrecht daher selbst anhand der EU-Grundrechte, ob ein Verstoß vorliegt. Im nicht-volldeterminiertem Unionsrecht prüft es primär anhand des Grundgesetzes und nur bei einem weitergehenden Schutzbereich sekundär anhand der EU-Grundrechte und Grundfreiheiten.
Verletzungen von Grundrechten und Grundfreiheiten können vor dem EuGH derzeit in zwei Verfahrensarten geltend gemacht werden: dem Vorabentscheidungsverfahren und der Nichtigkeitsklage.2 Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV zeichnet sich durch die Notwendigkeit der Vorlage an den EuGH durch ein nationales Gericht aus.
Bürger:innen müssen vor dem jeweiligen national zuständigen Gericht (beispielsweise dem örtlichen Verwaltungsgericht) Klage erheben, dies kann grundsätzlich auch das Bundesverfassungsgericht sein. Es gibt eine Vorlagepflicht zum EuGH zu letztinstanzlichen Gerichten, erste und niedrigere gerichtliche Instanzen hingegen sind nicht zur Vorlage verpflichtet (Quelle 3). Es gibt aber keinen direkten Zugang zum EuGH. Nichtigkeitsklagen nach Art. 263 AEUV können grundsätzlich durch natürliche und juristische Personen direkt beim EuGH eingereicht werden, um gegen Handlungen der EU vorzugehen. Voraussetzung ist aber eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit, welche, vom EuGH sehr restriktiv ausgelegt wird. So dürfen keine weiteren Durchführungsmaßnahmen mehr notwendig sein und der Kläger oder die Klägerin muss durch den Rechtsakt entweder direkt adressiert werden oder in einer Weise betroffen sein, welche ihn oder sie im Vergleich zu anderen besonders betroffen macht.4 Diese hohen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage führen dazu, dass sich diese nicht als eine der Verfassungsbeschwerde gleichwertigen Möglichkeit handelt, Grundrechte gegenüber der EU geltend zu machen. Gerade durch die restriktive Rechtsprechung des EuGH ist es in vielen Fällen unmöglich gegen Handlungen der EU vorzugehen, was z.B. bei Frontex und im Bereich der Asylpolitik zu einer Leerstelle führt.
Wir als Junge Europäischen Föderalist:innen Deutschland fordern daher:
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Die Einführung einer Grundrechtsbeschwerde durch die Grundrechtsadressaten vor dem EuGH. Jede:r soll das Recht haben, bei Verletzungen seiner:ihrer Grundrechte und Grundfreiheiten durch die EU oder einen Mitgliedstaat, welcher EU-Recht ausführt, Beschwerde zu erheben.
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Anzuerkennen, dass Grundrechte, als fundamentale Rechte des Bürgers und der Bürgerin gegen den Staat, in einer immer enger werdenden europäischen Integration unerlässlich sind und immer bedeutsamer werden.
Quellen:
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1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 216-274.
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Petersen, Niels: Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht II, S. 174 Rn. 49.
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Petersen, Niels: Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht II, S. 174 Rn.50.
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Petersen, Niels: Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht II, S. 174 Rn. 51.