65. Bundeskongress in Halle (Saale), 13.10.18
Europa kommt von Machen: Für eine europäische Demokratie der Zukunft!
Beschluss im Wortlaut:
Die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 sind die wohl wichtigsten Europawahlen unserer Generation. Während sich eine ganz langsame Erholung von der Wirtschafts- und Schuldenkrise der letzten zehn Jahre zeigt, entwickelten sich die Migrationsfrage, die soziale Frage und vor allem die Frage der Attraktivität und Handlungsfähigkeit liberaler demokratischer politischer Systeme zu den politischen Schlüsselfragen dieser Dekade. In Österreich, Italien, Ungarn und Polen sind nationalistische und europafeindliche Parteien an der Regierung beteiligt und europaweit sind rechts-populistische Kräfte im Aufwind. Dabei wird deutlich, dass sich in der Bevölkerung Erwartungen an und die Rolle der Europäischen Union nicht immer decken. Strukturelle Defizite treten im Zuge zwischenstaatlicher Krisenpolitik immer häufiger offen zu Tage und befördern Unzufriedenheit über die mangelnde Handlungsfähigkeit Europas. Dabei sind es dann auch eben jene nationalistischen Regierungen, die diese Unzufriedenheit entweder verstärken, nutzen oder ganz bewusst einsetzen, um eine Re-Nationalisierung wichtiger Politikbereiche zu fordern.
Mit einem französischen Präsidenten, der die Zukunft Europas zum Kernbestandteil seiner politischen Agenda gemacht hat, bis hin zu Regierungschefs in Ungarn und Polen, die sich mit einem Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 konfrontiert sehen, sind die politischen Gegensätze auf nationaler Ebene deutlich wie lange nicht. Dabei bietet diese angespannte Gemengelage auch die Chance einer kontroversen und zutiefst politischen Auseinandersetzung darüber, was die Europäische Union leisten kann und was sie leisten soll. Sogar noch mehr: Die Europäischer Union sieht sich vor der Europawahl 2019 wie lange nicht mehr mit einer Richtungsentscheidung konfrontiert.
Für uns ist klar: Wir brauchen eine politische Einheit Europas, um konkrete Probleme lösen und das Leben der Menschen im Alltag verbessern zu können. Der Weg in eine Renationalisierung ist falsch, gefährlich und nicht die Lösung aktueller Herausforderungen. Die Ausgestaltung und Politik der Europäische Union ist in einigen Politikbereichen zu kritisieren. Es mangelt beispielsweise in der Asyl- und Migrationspolitik, in der Sozialpolitik, in der Finanz- und Wirtschaftspolitik oder der Außenpolitik noch immer an einer Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, um aktuelle Probleme wirklich zu lösen. Sie bietet aber, wie kein anderes, mittlerweile fest in der gesellschaftlichen und politischen Realität angekommenes Projekt, die Basis für ein friedliches, demokratischeres, wohlhabenderes europäisches Zusammenleben. Gerade vor der Europawahl müssen wir dies anerkennen und dafür werben. Wir müssen vehement die überfällige Umsetzung von Reformen der Europäischen Union einfordern, die bislang oft von den Nationalstaaten blockiert wurden.
Als Junge Europäische Föderalisten kämpfen wir seit fast 70 Jahren für ein geeintes, demokratisches, starkes und solidarisches Europa in Form eines Europäischen Bundesstaates. Wir kämpfen nicht für eine Europäische Utopie, sondern für eine Europäische Demokratie. Wir stehen für eine offene, europäische Zivilgesellschaft und eine rechtstaatliche, sich durchsetzende Europäische Union. Unser Kampf gilt deshalb dem Status Quo, der viel zu oft auf zwischenstaatlichen Minimalkompromissen basiert, der drängende Zukunftsfragen der europäischen Einigung offen lässt und bedenklichen anti-demokratischen, anti-rechtstaatlichen Tendenzen viel zu häufig Schweigen anstatt klare Reaktionen entgegensetzt.
Wahlkampfzeit muss Antwortzeit sein. Die Unzufriedenheit gegenüber der Art und Weise, wie die EU funktioniert und wo sie das eben nicht tut, hat genau in der mangelnden Reformumsetzung ihren Ursprung. Wenn Defizite deutlich werden, dann muss deren Behebung zur politischen Priorität werden. Wir stellen deshalb folgende Kernforderungen unserer Europawahlkampagne in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung:
Europa demokratischer machen!
Obwohl das Europäische Parlament die einzige direkt gewählte Institution innerhalb der EU ist und seit der ersten Direktwahl vor fast 40 Jahren kontinuierlich an Einfluss gewonnen hat, gibt es nach wie vor ein zentrales Defizit: Abgeordnete des Europaparlaments können keine eigenen Gesetzesinitiativen auf den Weg bringen. Wir wollen, dass das Europäische Parlament zum Dreh- und Angelpunkt europäischer Politik wird und mit einem legislativen Initiativrecht ausgestattet wird!
Europa möglich machen!
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat dankenswerterweise die Debatte über europäische öffentliche Güter neu entfacht. Fragt man Menschen in Europa, was die EU in ihren Augen leisten soll, so wird eines schnell deutlich: Die Fülle an für die europäische Gesellschaft essentiellen Aufgaben ist mit der Größe des aktuellen EU-Haushalts allein finanziell nicht zu bewältigen. Der wahrscheinliche Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union muss Anlass sein, endlich zielorientiert über eine Budgeterhöhung zu diskutieren und neue Wege zu gehen. Wir fordern die zielorientiere Einführung europäischer Eigenmittel, über deren Verwendung die Abgeordneten des Europäischen Parlaments entscheiden sollen. Wir müssen es der EU endlich möglich machen, ihrer Rolle als wichtigste politische Ebene für übergeordnete Herausforderungen gerecht zu werden.
Europa sozialer machen!
Nicht zuletzt durch die globale Wirtschafts- und Finanzkrise haben soziale Ungleichheiten in fast allen europäischen Ländern zugenommen. Besonders in Südeuropa dauert der Kampf gegen die immer noch viel zu hohe Jugendarbeitslosigkeit weiter an. Die Angleichung von Lebensverhältnissen in Europa ist eines der Gründungsziele der EU. Auch aus ökonomischer Perspektive braucht die Eurozone dringend automatische Stabilisatoren, um ihre Krisenanfälligkeit zu verringern. Wir fordern daher die Einführung einer Europäischen Arbeitslosenversicherung als Instrument des Konjunkturausgleichs sowie die rechtlich verbindliche Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte, allen voran europaweite soziale Mindeststandards wie Mindestlöhne und Grundsicherungen, die sich jeweils an wirtschaftlichen Kennziffern der Mitgliedstaaten orientieren.
Europa solidarischer machen!
Nicht nur im Zuge der sogenannten Währungskrise, sondern auch angesichts der jüngsten Migrationsbewegungen wurde uns die Handlungsunfähigkeit der EU aufgrund nationaler Alleingänge und kurzsichtiger Egoismen dramatisch vor Augen geführt. Wir wollen eine handlungsfähige Union, die einen Mehrwert für ihre Mitglieder schafft und vor allem das Sterben im Mittelmeer beendet. Wir wollen ein Schengensystem für das 21. Jahrhundert und fordern die Einrichtung einer zentralen Europäischen Asylbehörde, die bereits an den Außengrenzen für Asylanträge in Europa zuständig ist und die Arbeit nationaler Behörden unterstützt. Dazu gehört auch ein verbindlicher solidarischer Verteilungsschlüssel für geflüchtete Menschen innerhalb der Europäischen Union, der sich an sozialen wie ökonomischen Kennziffern der europäischen Länder orientiert.
Europa innovativer machen!
Die EU bildet nicht nur einen der größten Märkte der Welt, sondern hat dadurch als Handelspartner für andere Regionen auch Gewicht und Einfluss. Dieses Gewicht gilt es weiterhin zu nutzen, um fairen und freien Handel zu fördern. Dies kann die EU jedoch nur so lange, wie europäische Unternehmen als Anker der europäischen Wirtschaft innovativ und wettbewerbsfähig bleiben. Leider werden zunehmend digitalisierte und bisweilen disruptive Geschäftsmodelle in Zukunftsmärkten vor allem von amerikanischen und asiatischen Konzernen und Plattformanbietern entwickelt. Wir fordern den konsequenten Ausbau von Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie europäischer Förderinstrumente für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs). Wir brauchen strategische Investitionen in die Innovationsfähigkeit der europäischen Wirtschaft, von der digitalen Infrastruktur über Forschung zu Künstlicher Intelligenz bis hin zur Start-Up-Hilfe.
Europa sichtbar machen!
Wahlen leben davon, dass Menschen ihr Wahlrecht als Bürgerpflicht begreifen. Voraussetzung für diese Mündigkeit europäischer Bürgerinnen und Bürger ist jedoch Information über und eine Auseinandersetzung mit politischen Parteien, Positionen und Personen. Eine europäische Öffentlichkeit kann nur entstehen, wenn der Kern jeder Demokratie – der Streit um die besten Argumente – klar sichtbar im Vordergrund steht. Aus diesem Grund verteidigen wir nicht nur das Prinzip der Spitzenkandidaten immer wieder gegen nationale Angriffe, sondern fordern auch ein europaweit sichtbares TV-Duell der europäischen Spitzenkandidaten zur Europawahl 2019 zur besten Sendezeit in jedem Mitgliedsland.
Es gehört zu unserer Verantwortung als pro-europäischer Akteur der Zivilgesellschaft, im Vorfeld der Europawahlen dafür sorgen, dass die Zeit der Lippenbekenntnisse, der geduldigen Papierberge und des zögerlichen Zeitkaufens vorbei sein muss und wir jetzt konkrete politische Vorstöße sehen wollen. Dabei wird deutlich, um was es eigentlich geht – um die Art und Weise, wie wir auf diesem Kontinent in Zukunft zusammenleben wollen.
Unsere Botschaft ist klar: Ein Fortbestehen der europäischen Demokratie und Europäischen Union lebt von aktiven und selbstbewussten Bürgerinnen und Bürgern, die ihr Wahlrecht auch als Bürgerpflicht begreifen. Sie lebt davon, dass wir mutig und selbstbewusst unsere Forderungen mit klarer Kante vertreten und für Werte einstehen, die uns wichtig sind. Sie lebt davon, dass wir, trotz oder gerade wegen politisch unterschiedlicher Meinungen, als pro-europäische Demokratinnen und Demokraten dafür eintreten, dass Nationalismus in Europa nicht die Überhand gewinnt. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, lasst uns gemeinsam und gerade jetzt Europa machen!