65. Bundeskongress in Halle (Saale), 13.10.18
Europawahlen reformieren, entnationalisieren und europäisieren
Vom 23. bis zum 26. Mai 2019 wählen wir Unionsbürger*innen unsere Abgeordneten des Europäischen Parlaments für die folgende Legislaturperiode bis 2024. Obwohl jede*r zweite Europäer*in gegenwärtig dem Europäischen Parlament vertraut, lag die Wahlbeteiligung bei der letzten Europawahl nur bei 43 %. Unter anderem aus diesem Grund wurden nach den letzten Wahlen Reformen vorgeschlagen, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Die Staats- und Regierungschef*innen sowie EU-Politiker*innen haben es jedoch nicht geschafft, geeignete Wahlreformen umzusetzen.
Problematisch ist insbesondere, dass die Europawahl bisher faktisch die Summe 28/27 nationaler Wahlen und Wahlkämpfe ist, die Sichtbarkeit der europäischen Parteien fehlt, der Stimmengleichheitsgrundsatz verletzt wird sowie der Umstand, dass jeder Mitgliedstaat die Modalitäten zum Wahlrecht weitgehend selbst bestimmen kann. Gerade bei der letzten Frage zu einem einheitlichen, tatsächlich europäischen Wahlrecht, geht es darum, wie viel europäische Demokratie wir wagen wollen.
Wir möchten gemeinsam Wege finden, dass die Bürger*innen die wichtige Bedeutung der Wahlen erkennen. Die Europawahlen dürfen nicht länger als Nebenschauplätze nationaler Politik gelten.
Um die Beteiligung der Bürger*innen an den Europawahlen nachhaltig zu erhöhen, fordern wir tiefgreifende Wahlreformen. Denn wir sind überzeugt, dass höhere Wahlbeteiligung das Europäische Parlament stärker legitimiert und auch den Bürger*innen hilft, sich mit seiner Arbeit besser zu identifizieren. Dafür fordern wir folgende Reformschritte:
- Wir fordern die europäischen Parteien auf, wie schon 2014, gemeinsame*n Spitzenkandidat*innen für das Amt des*der Präsident*in der Kommission aufzustellen, um für die Wähler*innen glaubwürdig und sichtbar als ein*e gesamteuropäische*r Repräsentant*in seiner*ihrer Partei zu gelten. Wir fordern dazu alle europäischen Parteifamilien auf, frühzeitig, aber spätestens zwölf Wochen vor der Wahl, ihre nach demokratischen Prinzipien gewählten Spitzenkandidat*innen zu benennen. Wir fordern alle nationalen Parteien auf, sich zur Idee gemeinsamer Wahlkämpfe von europäischen Parteifamilien zu bekennen, die Spitzenkandidat*innen zu unterstützen und ihnen ausreichend Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit einzuräumen. Wir fordern die Europäischen Parteifamilien auf, sich bereits vor der Wahl gemeinsam auf Spitzenkandidat*innen und den Ernennungsprozess zu einigen. Wir fordern die Staats- und Regierungschef*innen auf, sich zu dem Spitzenkandidat*innenprozess zu bekennen und zuzusagen, nach der Europawahl keine anderen Personen als Spitzenkandidat*innen für die Kommissionspräsident*innenschaft vorzuschlagen.
- Der Europawahlkampf muss inhaltlich geführt werden. In der Verantwortung dafür sehen wir vor allem die europäischen Parteifamilien. Wir fordern diese daher auf, sich jeweils auf gemeinsame europäische Wahlprogramme zu einigen und diese im Wahlkampf auch zu vertreten. Gemeinsame Wahlprogramme sind ein erster Schritt zur Etablierung tatsächlich europäischer Parteien. Europäische Parteien sind bisher nur lose Zusammenschlüsse nationaler Parteien. In diesen Bündnissen sehen sich viele Bürger*innen und Parteimitglieder daher nicht repräsentiert. Die europäischen Parteifamilien müssen deshalb bekannter werden und sich auch jenseits der Wahlkampfzeiten deutlicher sichtbar engagieren. In diesem Zusammenhang fordern wir die Parteifamilien und ihre Gliederungen auf, über die Grenzen nationaler und europäischer Parlamente hinweg regelmäßig miteinander zu sprechen, um sich untereinander und die Unionsbürger*innen für europapolitische Angelegenheiten zu sensibilisieren. Wir fordern die nationalen Parteien auf, ebenfalls das Logo ihrer europäischen Parteifamilien auf den Wahlplakaten und Wahlkampfmaterialien zu verwenden und die Spitzenkandidat*innen sichtbar im Wahlkampf zu porträtieren.
- Um es den Unionsbürger*innen zu erleichtern, die Europawahlen als gemeinsame europäische und eben nicht nur nebensächliche nationale Angelegenheit wahrzunehmen, setzen wir uns für EU-weit gemeinsame Regeln für die Stimmabgabe Wir fordern, dass die Wahlzettel in ganz Europa einheitlich gestaltet werden. Des Weiteren sollte die Zugehörigkeit nationaler Partien zu ihren jeweiligen europäischen Parteifamilien auf dem Stimmzettel (zumindest in Klammern) bereits zur Europawahl 2019 kenntlich gemacht werden.
- Wir fordern ein einheitliches Europäisches Wählerverzeichnis, das bei Europawahlen Anwendung findet. Es kombiniert die nationalen, regionalen und/oder kommunalen Wählerlisten.
- In unserer Eigenschaft als europäischer Jugendverband setzen wir uns für ein gemeinsames europäisches Wahlrecht ein, das der sozialen Vielfalt in Europa gerecht wird. Wir fordern deshalb einheitliche europäische Altersgrenzen zum aktiven und passiven Wahlrecht (16 sowie 18 Jahre). Diese Senkung des Wahlalters muss zwingend mit einem Ausbau der politischen Bildung für Jugendliche einhergehen.
In unserem Bestreben für Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Föderalismus in Europa engagieren wir uns weiter für tiefgreifende und langfristige Reformen. Über die teilweise schon kurzfristig anwendbaren Maßnahmen hinaus setzen wir uns anlässlich der Europawahlen weiterhin für die Einführung eines transnationalen und eines einheitlichen Wahlsystems in der EU ein. Dies schließt entsprechende Wahllisten und europäische Direktkandidat*innen ein, die die Vielfalt Europas im Parlament angemessen und verhältnismäßig widerspiegeln. Wir fordern die Einführung eines Zwei-Stimmen-Wahlsystems in der ganzen EU. Dabei sollen mit der Erststimme Direktkandidaten gewählt werden, die in Einzelwahlkreisen kandidieren (nach dem Vorbild der personalisierten Verhältniswahl auf Bundesebene in Deutschland). Mit der Zweitstimme sollen transnationale Listen der europäischen Parteien gewählt werden. Dieses Wahlsystem ist ein weiterer Schritt auf unserem Weg hin zu wahrhaftig europäischem Parlamentarismus.