61. Bundeskongress in Berlin, 31. Oktober bis 2. November 2014

Europäischer Föderalismus statt regionaler Nationalismus!

Beschluss im Wortlaut:

Das Unabhängigkeitsreferendum in Schottland sowie das möglicherweise bevorstehende katalanische Referendum am 9. November zeigen, dass die Frage nach nationaler Eigenständigkeit noch immer eine große Rolle in vielen Teilen Europas spielt. Wir begrüßen, dass durch das schottische Referendum in London das Bewusstsein dafür geschaffen wurde, über die Möglichkeiten einer weiteren Föderalisierung des Vereinigten Königreichs nachzudenken.

Der Wunsch nach nationaler Eigenständigkeit ist jedoch nicht nur ein schottisches und katalanisches Phänomen, sondern auch in vielen anderen europäischen Regionen sehr lebendig. Diese Entwicklungen stellen uns als Junge Europäische Föderalisten vor die Frage, wie wir mit diesen regionalen Unabhängigkeitsbewegungen – die man in einigen Fällen durchaus als regionale Nationalismen bezeichnen kann – umgehen.

Wir begrüßen zunächst, dass sich viele der Unabhängigkeitsbewegungen zu Europa und zur EU bekennen, ihren unabhängigen Staat als Teil der EU sehen und sich als europäische Bürger*innen verstehen.

Gleichzeitig sind wir der Auffassung, dass regionale Nationsbildungsprozesse nicht mit unserem Verständnis von europäischem Föderalismus übereinstimmen. Die europäische föderalistische Bewegung hat sich von Beginn an dem Ziel verschrieben, den Nationalismus in Europa zu überwinden und die Nationen in eine Föderation einzubinden. Letztlich sollte es daher nicht um die Frage der nationalen Unabhängigkeit sondern um die beste Eingliederung der Region in ein föderales europäisches Mehrebenensystem gehen – um die Frage also, wie Kompetenzen am sinnvollsten zwischen lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene verteilt werden. Diese Kompetenzverteilung ist nicht in Stein gemeißelt, sondern sollte ein dauerhafter, gleichberechtigter Aushandlungsprozess zwischen den Ebenen sein. Dabei sind zunächst die Nationalstaaten in der Pflicht, auf Forderungen nach mehr regionaler Autonomie einzugehen und sich innerstaatlich zu föderalisieren. Sowohl aus praktischen Gründen als auch aus Subsidiaritätserwägungen ist eine innerstaatliche Föderalisierung der Abspaltung von Regionen vorzuziehen.

Wird ein solcher Aushandlungsprozess dauerhaft von der übergeordneten Ebene behindert, erkennen wir jedoch die Notwendigkeit von Unabhängigkeitsbewegungen als ultima ratio an, sofern die handelnden Eliten der Unabhängigkeitsbewegungen nicht kompromisslos auf eine ethnisch-nationale Abgrenzung zielen, sondern im Falle einer erzwungenen Verhandlungsbereitschaft der übergeordneten Ebene ebenfalls bereit zu Verhandlungen über Kompetenzneuordnungen sind.

Die europäische Demokratie muss die Balance wahren zwischen Entscheidungen, die möglichst nah an den Bürger*innen getroffen werden und der Lösung überragender europäischer wie globaler Probleme. Viele Fragen können und sollten in Edinburgh, Stuttgart und Barcelona entschieden werden, aber angesichts globaler Herausforderungen kann nationale Eigenständigkeit heute nur noch formal souverän sein, da viele Fragen nur noch auf europäischer oder globaler Ebene gelöst werden können. Gleichzeitig ist die Vielfalt regionaler Identitäten eine Stärke Europas, die es zu bewahren und zu fördern gilt.

jefwpEuropäischer Föderalismus statt regionaler Nationalismus!